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Auf und Ab im Reich der Fossilien  
  Zwei US-Physiker haben die fossilen Belege der letzten 540 Millionen Jahre analysiert und dabei eine erstaunliche Entdeckung gemacht: In der Naturgeschichte gab es offenbar einen mysteriösen Zyklus des Artensterbens, der sich alle 62 Millionen Jahre wiederholte. Das Muster ist allem Anschein nach nicht zufällig, über die Ursachen kann man jedoch zurzeit nur spekulieren.  
Robert A. Rohde und Richard A. Muller von der University of California in Berkeley vermuten, dass dafür periodische Kometeneinschläge oder Vulkanausbrüche verantwortlich sein könnten.
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Die Studie "Cycles in fossil diversity" von Robert A. Rohde und Richard A. Muller erschien im Fachjournal "Nature" (Band 434, S. 208 - 210; doi:10.1038/nature03339).
->   Zur Studie
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Arten auf der Erde: Zahl unbekannt
Gegenwärtig sind rund 1,5 Millionen Tier- und Pflanzenarten beschrieben, wie viele es tatsächlich sind, ist nach wie vor Gegenstand von Diskussionen.

Die große Unbekannte Größe sind in diesem Zusammenhang die Gliederfüßler, zu denen u.a. die Insekten gehören. Aufgrund von Studien an Bäumen des tropischen Regenwaldes in Südamerika folgern nämlich manche Experten, dass die Erde sogar bis zu 30 Millionen verschiedene Spezies beherbergen könnte. Konservativere Schätzungen gehen hingegen von rund fünf Millionen aus.
Tendenz fallend
Wie groß auch immer die tatsächliche Zahl sein mag, fest steht, dass sie gegenwärtig im Abnehmen begriffen ist.

Während bis vor einigen Jahrzehnten noch Ausrottung und Jagd hauptverantwortlich für Verschwinden gefährdeter Spezies waren, nagen nun vor allem die Zerstörung ganzer Ökosysteme sowie der Klimawandel an der natürlichen Vielfalt.

Im großen Zeitmaßstab betrachtet ist das freilich nichts Unbekanntes: Globale, vermutlich durch Asteroideneinschläge bedingt Katastrophen haben im Lauf der Naturgeschichte mehr als nur einmal zu einem abrupten Absinken der Biodiversität geführt.
Leben heißt Sterben
Solche Faunenschnitte sind beispielsweise an geologischen Übergängen zwischen Perm und Trias sowie Kreide und Tertiär zu finden. Letzterer ist besonders berühmt: Er markierte das Ende des Dinosaurierzeitalters und läutete die Erfolgsgeschichte der Säugetiere ein, der letztlich auch wir unsere Existenz verdanken.
->   Meteorites, Impacts, and Mass Extinction
Sammlung fossiler Belege
Und sonst? Weist die globale Biodiversität - abseits dieser berüchtigten Einschnitte - irgendwelche Trends oder Muster auf?

Antwort darauf gibt eine einzigartige Datenbank, die vom US-amerikanischen Paläontologen Jack Sepkoski erstellt wurde.

Sepkoski vergrub sich in den letzten Jahren seiner Karriere förmlich in der paläontologischen Fachliteratur, kompilierte Daten, fasste zusammen, was andere an Fossilien entdeckt hatten und erarbeitete schließlich ein Konvolut, das nach seinem Tod unter dem Titel "A Compendium of Fossil Marine Animal Genera" veröffentlicht wurde.
Sepkoskis Modell der Artenvielfalt
Wie Derek E. G. Briggs von der University of Bristol in einem Nachruf auf den 1999 verstorbenen Forscher schreibt (Nature 400, S. 514), war Sepkoski nicht nur ein echter Historiograf der biologischen Vielfalt, sondern auch ein einflussreicher Theoretiker.

Er entwarf ein so genanntes kinetisches Modell der Artenentwicklung, das - in die Tiefenzeit projiziert - zu folgendem Bild führt:

Die Diversität der Tierarten soll, von den Wirkungen globaler Katastrophen abgesehen, nach der Entstehung der Vielzeller rasant angestiegen sein und sich dann auf einem konstanten Niveau eingependelt haben.
->   Zum Nachruf bei Nature
Neuanalyse mit Überraschungen
Seposki folgerte, dass dieses Muster auch aus den von ihm zusammengetragenen Daten herausgelesen werden könne. Hier irrte der Mann mit dem weiten Blick über die versteinerten Urkunden offenbar.

Die beiden Physiker Robert A. Rohde und Richard A. Muller von der University of California, Berkeley, unterzogen seine Datensammlung einer erneuten Analyse und kamen zu durchaus überraschenden Ergebnissen.
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Kompendium des Phanerozoikums
Seposkis "A Compendium of Fossil Marine Animal Genera" deckt die gesamte Entwicklung des Phanerozoikums, also der letzten 542 Millionen Jahre, ab - allerdings mit zwei Einschränkungen. Zum einen werden darin nicht Spezies, sondern nur Gattungen (d.h. die nächst höhere systematische Kategorie) erfasst. Grund dafür: Erstere fallen viel häufiger einer Revision zum Opfer, Gattungen bieten daher ein stabileres Bild von Naturgeschichte. Zum zweiten bearbeitete Seposki nur marine Organismen, da diese zumeist besser erhalten sind als ihre Gegenstücke an Land.
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Muster sichtbar gemacht
Rohde und Muller definierten Biodiversität einfach als die Zahl der bekannten Gattungen zu einem beliebigen Zeitpunkt erstellten für diesen Wert einen Verlauf der letzten 540 Millionen Jahre.

Die Kurve bereinigten sie dann von einem globalen Trend, nämlich einen S-förmigen Anstieg der Biodiversität bis zur Gegenwart. Das heißt, sie machten Schwankungen sichtbar, die ansonsten durch Entwicklungen im großen Maßstab verdeckt werden.
Mysteriöser Zyklus des Sterbens
 


Heraus kam ein verblüffend einfaches Muster: Die Zahl der Gattungen schwankte in der Naturgeschichte im Rhythmus von 62 Millionen Jahren, und zwar mit einer solchen Genauigkeit, dass dies keinesfalls zufällig entstanden sein kann (Bild oben).

Wie James W.Kirchner von der University of California in Berkeley und Anne Weil von der Duke University in einem Begleitkommentar schreiben, wurde die Existenz eines ähnlichen Musters bereits vom Paläontologen K.S. Thomson vor rund 30 Jahren vorgeschlagen (Nature 261, S.578).

Diese Hypothese konnte sich in der Fachwelt aufgrund gewisser Vagheiten nicht durchsetzen, Rohde und Muller setzen dem nun die klare Sprache der Statistik entgegen:

Wenn die Schwankungen nicht durch systematische Abweichungen bei geologischen Untersuchung zustande gekommen sind, dann sind sie real.

Ins Gesamtkonzept der Naturgeschichte passen sie jedenfalls sehr gut, liegen doch die bekannten Massensterben just in jenen Phasen, wenn sich der Pendelschlag der Fossilien nach unten neigt.
Viele Hypothesen ...
Fragt sich nur: Was hat sie ausgelöst? Die beiden Physiker bieten in ihrer Studie 14 Erklärungsmöglichkeiten an, von denen sie keine als wirklich überzeugend einschätzen.

Muller favorisiert eine Theorie, derzufolge ein aus der Oortschen Wolke stammender Kometenschauer regelmäßig auf die Erde niedergegangen sein soll.

Dieses Bombardement müsste durch die periodische Passage eines massereichen kosmischen Objekts ausgelöst worden sein. Wer oder was genau das gewesen sein könnte, ist indes völlig offen.
... keine definitiven Antworten
Rohde fühlt sich eher zur Vulkanismus-Hypothese hingezogen, nach der gewaltige Eruptionen durch so genannte Mantel-Plume, d.h. aufsteigendes Material im Erdmantel, ausgelöst worden sein könnten.

Eine weitere Möglichkeit wäre etwa, dass gar keine äußeren Ursachen für die Schwankungen im Jahrmillionentakt verantwortlich sind. Vielmehr könnte eine innere Dynamik der Ökosysteme zu einem An- und Abschwellen der biologischen Vielfalt geführt haben.
"Let the theorizing begin"
Doch hier wie dort fehlen die harten Belege: Was die Ursachen des fossilen Pendelschlages betrifft, können daher nur mehr oder weniger phantasievolle Vermutungen getroffen werden.

Nach Ansicht von James W. Kirchner und Anne Weil keineswegs ein Nachteil: "Es wurde oft behauptet, dass die besten Entdeckungen jene sind, die mehr Fragen als Antworten aufwerfen - und das ist hier definitiv der Fall. Lasst uns nun mit dem Schmieden von Theorien beginnen."

Robert Czepel, science.ORF.at, 15.3.05
->   University of California, Berkeley
->   Das Stichwort Massensterben im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010