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Indien: Wissensmacht des 21. Jahrhunderts?  
  Seit der Goldrausch in der IT-Branche vorüber ist, ist es auch um Indien ruhiger geworden. Mit zahlreichen Forschungszentren im Land plant der Subkontinent, seinen Ruf als Wissenschafts-Mekka weiterzuentwickeln, und nimmt sich als nächsten Schwerpunkt die Biotechnologie vor. Durch Reformen des Rechtssystems und steigende Investments möchte Indien die Wissensmacht des 21. Jahrhunderts werden - ein Wunschtraum in einem Land mit 39 Prozent Analphabeten?  
Hochqualifizierte IT-Jobs wanderten nach Indien
In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wurde in "westlichen" Medien mehr als deutlich, dass das Klischee-Bild von Indien als eine arme und durch das Kastensystem lahm gelegte Nation zumindest teilweise veraltet ist:

Indien würde Arbeitsplätze aus dem "Westen" abziehen, hieß es, aber nicht die üblichen schlecht bezahlten und auf einfache manuelle Tätigkeiten beschränkten Arbeiten, sondern hochqualifizierte Jobs in der IT-Branche, viele davon sogar im Bereich Forschung und Entwicklung.
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Bangalore: Von General Electrics bis Google
Im Firmenverzeichnis von Bangalore, vor dem IT-Boom vor allem Indien-Kennern bekannt als einstiger Sommererholungsort der britischen Kolonialherren, fanden sich plötzlich Eintragungen, die sich wie das "Who is Who" der internationalen IT-Konzerne lesen:

General Electric gründete dort sein größtes Forschungszentrum außerhalb der USA mit einem Jahresbudget von 80 Millionen Dollar und 2.300 Angestellten, von denen 60 Prozent den "Doktor"-Titel führen. Aber auch Cisco, Intel, Sun Microsystems, Hewlett Packard, Infineon Technologies, Motorola und zuletzt Google zog es zu Forschungszwecken auf den "silicon subcontinent".

Die Dichte von mehr als 150.000 Software-Spezialisten in Bangalore wird nur mehr vom kalifornischen "Silicon Valley" übertroffen.
->   Internet City Guide von Bangalore
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Auf dem Weg zur weltweiten Nummer Eins?
Auf dieser Basis möchte Indien aufbauen und sich als nächsten zukunftsträchtigen und forschungsintensiven Bereich die Biotechnologie vornehmen. Geht es nach Raghunath Mashelkar, den Vorsitzenden des indischen Rats für Industrielle und Wissenschaftliche Entwicklung, ist es denkbar, dass sein Land im Jahr 2020 "die weltweite Nummer Eins unter den Wissenszentren" werden könnte, wie er in einem Kommentar für das Magazin "Science" schreibt.
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Der Artikel "India's R&D: Reaching for the Top" von Raghunath A. Mashelkar ist als Märzbeitrag in der Rubrik "Global Voices of Science" des Wissenschaftsmagazins "Science" erschienen.
->   Zum Originalartikel
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Stolpersteine: Analphabetismus, Armut, "Brain Drain"
Experten sehen auf den Weg Indiens zu einer wirklichen Wissensnation aber große Stolpersteine und erwähnen hauptsächlich die hohe Analphabetenrate (immerhin 39 Prozent der Erwachsenen können nicht lesen und schreiben), die Armut (mehr als ein Viertel der ärmsten Menschen der Welt lebt in Indien) und den "Brain Drain", also die Auswanderung von hoch qualifizierten Leuten: So schätzte der "Human Development Report 2001" der UNO, dass jährlich rund 100.000 gut ausgebildete Inderinnen und Inder in die USA emigrieren.

"Die Analphabetismus-Rate reduziert sich jährlich um 1,3 Prozent. Bei dieser Geschwindigkeit braucht Indien 20 Jahre, bis 95 Prozent der Bevölkerung lesen und schreiben können", gibt auch Mashelkar im Gespräch mit dem "New Scientist" zu.
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Technologien gegen Analphabetismus
Zur Alphabetisierung der Landbevölkerung setzen indische Wissenschaftler unter dem Titel "Rural Technologies" auch Hochtechnologie ein. So hat der indische Software-Pionier Faqir Chand Kohli ein Computerprogramm entwickelt, mit dem ein Erwachsener innerhalb von acht bis zehn Wochen seine erste Zeitung lesen können soll.

Wie Raghunath Mashelkar in seinem Science-Artikel schreibt, haben in den vergangenen zwei Jahren rund 40.000 Menschen mit diesem Programm lesen und schreiben gelernt.
->   Mehr zum "Computer-Based Functional Literacy Program"
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Reform der Universitäten nötig
Um den "Brain Drain" zu verlangsamen, fordert Mashelkar, seinerseits einflussreiche Berater der indischen Regierung, vor allem eine Reform der Universitäten, die heimischen Forschern bessere Perspektiven bieten müssen.
Gute Basis bei Biomedizin und Naturwissenschaften
 
Bild: Georgia Institute of Technology Research News

In der regionalen Konkurrenz steht Indien relativ gut da: Die Analyse der veröffentlichen wissenschaftlichen Papers zeigt, dass die Wissensbasis in den Bereichen Biomedizin und Naturwissenschaften mit den umliegenden Staaten, aber auch international durchaus mithalten kann (siehe Diagramm oben).
Neuorientierung hin zu Biotechnologie
Am Weg zur Wissensnation hat Indien bereits eine thematische Neuorientierung vorgenommen: Zwar bleiben die Informationstechnologien als stabile Basis wichtig, die nächste Erfolgsgeschichte möchte das Land aber im Bereich Biotechnologie schreiben.

Ob das gelingen wird, hängt nicht zuletzt vom Strukturwandel ab, von dem derzeit Indiens Pharmaziesektor erfasst ist. Der Grund: Indien musste bis Ende Jänner 2005 das TRIPS-Abkommen umsetzen.

Die Abkürzung steht für "Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights", das Dokument regelt als international verbindliche Richtlinie der Welthandelsorganisation die Bedingungen, unter denen Wissen und Erfindungen rechtlich zu schützen sind.
TRIPS: Auch Verfahren sind nun geschützt
Die Übernahme dieser Vorgaben in nationales Recht bewirkt in Indien tiefgehende strukturelle Änderungen: Bisher war es nach der indischen Gesetzeslage möglich, ein Produkt zu patentieren, nicht aber einen Prozess.

Das bewirkte, dass sich zahlreiche indische Unternehmen darauf konzentrierten, anderswo entwickelte Medikamente noch vor Auslaufen des Schutzes durch einen modifizierten Prozess nachzubilden und billiger als die "westliche" Konkurrenz zu verkaufen.
Hoffnung: "Biotech-Bangalore"
Das ist nach den neuen Richtlinien nicht mehr möglich, weil auch Herstellungsmechanismen geschützt werden können. Indische Firmen müssen, wenn sie überleben wollen, die eigene Forschung stärken, was wiederum zum qualitativ hochwertigen Aufschwung der Biotechnologie beitragen könnte.

In Kombination mit der schon im IT-Bereich erfolgreichen Strategie, internationale Forschungszentren durch gut ausgebildete Menschen und vergleichsweise niedrigere Löhne anziehen zu können, hofft Indien auf ein "Biotech-Bangalore".

Elke Ziegler, science.ORF.at, 16.3.05
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Serie "Wissenschaft Global"
science.ORF.at lädt mit der neuen Serie "Wissenschaft Global" zu einer wissenschaftlichen Weltreise. Im Mittelpunkt der unregelmäßig erscheinenden Beiträge werden Länder und Regionen stehen, von deren Wissenschafts- und Forschungslandschaft man in Österreich nur selten liest. Die nächsten Zwischenstopps werden der Iran und die "islamische Welt im Internet" sein.
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Der Vorsitzende des indischen Rats für Industrielle und Wissenschaftliche Entwicklung, Raghunath Mashelkar, wird bei den Alpbacher Technologiegesprächen referieren, die von 25. bis 27. August 2005 stattfinden.
->   Europäisches Forum Alpbach
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->   Indian Council of Industrial and Scientific Research
->   Report 2001: Making new technologies work for human development
Mehr über Indien in science.ORF.at:
->   Multikulturalismus in Europa und Indien (14.8.04)
->   "Forum Alpbach": Was heißt kulturelle Globalisierung? (14.8.02)
->   Datenbank zum Schutz traditionellen Wissens (19.2.02)
 
 
 
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01.01.2010