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Menschliches X-Chromosom umfassend analysiert  
  Das menschliche X-Geschlechtschromosom ist umfassend analysiert. Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass X- und Y-Chromosomen in Urzeiten einen regen Tauschhandel an Genen unterhielten, der vor etwa 300 Millionen Jahren ein Ende gefunden hat.  
Drei der weltgrößten Genomzentren in Großbritannien und den USA sowie vier deutsche Gruppen waren zwölf Jahre an der Erstellung dieser aktuellen Studie beteiligt.
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Zu diesem Thema erschienen im Fachjournal "Nature" (Bd. 434) zwei Studien. "The DNA sequence of the human X chromosome" von Mark T. Ross et al. (S. 325-337) sowie "X-inactivation profile reveals extensive variability in X-linked gene expression in females" von Laura Carrel und Huntington F. Willard (S. 400-404).
->   Nature
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X: Frauen besitzen zwei, Männer nur eines
Schon seit langem interessieren sich Genetiker für die besondere Struktur des geschlechtsbestimmenden X-Chromosoms beim Menschen, weil dort häufig Gendefekte vorkommen.

Die wiederum betreffen vor allem Männer, weil sie anders als Frauen nur ein X-Chromosom besitzen. Das männliche Geschlecht wird durch ein Y- und ein X-Chromosom bestimmt, das weibliche durch zwei X-Chromosomen.
->   Geschlechtschromosomen bei Wikipedia
99,3 Prozent sequenziert

99,3 Prozent des genhaltigen Anteils des X-Chromosoms seien nun detailliert sequenziert, teilten die Forscher mit.

Obwohl sich nur etwa vier Prozent der menschlichen Gene auf diesem Chromosom befinden, werden ihm doch zehn Prozent aller bisher bekannten, nur auf ein Gen zurückzuführenden Erbkrankheiten zugeschrieben.

Nun gelte es beispielsweise, zu den 45 bereits bekannten X-chromosomalen Genen, deren Defekte eine verzögerte geistige Entwicklung (mentale Retardierung) verursachten, rund 100 weitere zu identifizieren, die für dieses Krankheitsbild wesentlich seien, hieß es. Dies könne möglicherweise zur Entwicklung neuer Therapien beitragen.
Überraschend: Viele Gene im Hodengewebe aktiv
Bemerkenswert sei zudem, dass ausgerechnet auf dem X-Chromosom etwa drei Viertel der Gene gefunden wurden, die normalerweise nur in den Hoden und im Krankheitsfall in Krebsgeschwüren aktiv sind.

Dies schreiben die Forscher vom Leibniz-Institut für Molekulare Biotechnologie (Jena), Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik (Berlin-Dahlem), der Ludwigs-Maximilian-Universität (München) und des Deutschen Krebsforschungszentrums (Heidelberg).

Federführend für die Veröffentlichung war Mark Ross vom Sanger Institute in Hinxton (GB).
Evolution: Vor 300 Mio. Jahren wurde Gentausch beendet
Auch zur Evolution der Chromosomen gibt es nun neue Hinweise: Vor rund 300 Millionen Jahren begann eine Unterdrückung des genetischen Austausches zwischen den beiden Kopien eines Vorläufer-Chromosoms, die schließlich die drastische Verkleinerung des späteren Y- Chromosoms zur Folge hatte, schreiben die Forscher.
Komplizierte Stilllegung
Laut Lehrbuchmeinung wird bei Frauen eines der beiden X-Chromosomen inaktiviert, allerdings nicht komplett: Wie eine der beiden publizierten Studien ergab, können bis zu einem Viertel aller Gene der Stilllegung entgehen. Noch dazu mit individuellen Unterschieden zwischen Frau und Frau, Mann und Frau - medizinische Anwendungen dieser Erkenntnis sind freilich nicht ausgeschlossen.

Was die genauen molekularen Vorgänge am X-Chromosom während der Embryonalentwicklung betrifft, beginnt sich ebenfalls der Vorhang des Unwissens erst langsam zu lüften.

Die weiblichen Körperzellen entscheiden sich zufällig für eines der beiden Chromosomen, ihr Körper stellt daher ein genetisches Mosaik weitgehend aktiver bzw. passiver elterlichen X-Chromosomen dar. Die Folge: Vielfalt, Variabilität, Unterschiede selbst zwischen Zellen ein und des selben Körpers. Das X-Chromosom sträubt sich also offenbar gegen genetische Gleichförmigkeit.
->   The Mechanisms of X Chromosome Inactivation
"X moves in a mysterious way"
Seinen Namen hat es im Übrigen nicht von seiner Form: das "X" wurde vielmehr als Kürzel für "unbekannt" eingeführt. Die nun erschienenen Studien haben zweifelsohne Licht ins Dunkel der Molekularbiologie von "X" gebracht, dennoch gibt es auch jetzt noch eine Reihe offener Fragen.

Dementsprechend bilanziert Chris Gunter, Senior-Herausgeber von "Nature", in einem Begleitartikel, dass diese Sequenzierung ein Startschuss sei, um weitere Geheimnisse der Evolution zu erforschen:

"Die Rockband U2 würde dazu sagen, 'X moves in a mysterious way' - und wir haben davon bis jetzt gerade mal die Preview gesehen."

[science.ORF.at/dpa, 17.3.04]
->   Das Stichwort Chromosom im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010