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Polyarthritis: Tierversuche für neue Medikamente  
  Tierversuche in der medizinischen Forschung polarisieren. In einem Gastbeitrag melden sich die Befürworter zu Wort und beschreiben, wie an Mäusen mit Polyarthritis neue Medikamente getestet werden. Ihre These: Ohne Studien am Tier wären neue Therapien nur sehr eingeschränkt beurteilbar.  
Polyarthritische Mäuse prüfen neue Medikamente
Von Georg Schett unter Mitarbeit von Susanne Krejsa

Eine Remission, also die Linderung der Krankheitssymptome, wird heute erst bei jedem dritten Polyarthritispatienten erreicht. Bei immerhin 70 Prozent der Patienten kommt es wenigstens zu einer deutlichen Besserung.

Solange Ursache und Auslöser des Krankheitsprozesses nicht bekannt sind, wird ein möglichst großes Arsenal an gut wirksamen und gut verträglichen Medikamenten angestrebt, um für jeden einzelnen Patienten die richtige Behandlung zu finden.
Tumor-Nekrose-Faktor-Blocker: Erfolgreichste Therapie
Die derzeit modernste Behandlungsform sind die Tumor-Nekrose-Faktor-Blocker, die gegen die pro-inflammatorische körpereigene Substanz Tumor-Nekrose-Faktor (kurz: TNF) wirken. TNF ist im Gelenk von Patienten mit chronischer Polyarthritis stark erhöht und spielt eine wesentliche Rolle bei der rheumatischen Gelenkzerstörung.
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Blockade: Besserung bei 60 bis 70 Prozent
Durch die Blockade mit Hilfe eines löslichen Rezeptors oder von Antikörpern kann TNF-alpha an seinen Zielzellen nicht mehr pro-inflammatorisch, also entzündungsverstärkend, wirken. Die Therapie mit TNF-Blockern bessert bei etwa 60 bis 70 Prozent der Kranken mit aktiver rheumatoider Arthritis die Krankheitssymptome und somit die Lebensqualität.

Dies trifft auch auf Patienten zu, die auf die üblichen Basistherapeutika nicht angesprochen hatten. Eine Verlangsamung bis hin zum Stillstand der Gelenkszerstörung lässt sich sowohl radiologisch als auch durch spezielle labormedizinische Parameter der Krankheitsaktivität nachweisen.
->   Mehr zu Polyarthritis und den TNF bei Medicine-Worldwide.de
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Drei Substanzen werden eingesetzt
Bereits drei unterschiedliche Substanzen dieser Gruppe (Etanercept, Infliximab und Adalimumab) haben es aus dem Syntheselabor über Zell- und Gewebekulturen und Studien am Tier bis zum breiten Einsatz am Menschen geschafft, drei bis vier weitere sind in fortgeschrittenen Stadien der Entwicklung.
Krankheit wird "nachgestellt" oder genetisch induziert
Bei Polyarthritisstudien an Tieren - Mäuse und Ratten - wird eine Entzündung der Gelenke hervorgerufen, die vollständig der Situation beim Menschen entspricht.

Dazu werden die Tiere entweder mit Antigeninjektionen zur Autoimmunreaktion veranlaßt oder es werden TNF-transgene Tierstämme verwendet, die im Alter von fünf Wochen spontan eine rheumatische Gelenksentzündung entwickeln.
Tiere bilden Krankheit im Vollbild aus
Mit ungefähr zehn Wochen ist die Krankheit im Vollbild ausgeprägt - gut sichtbar sind Gelenksschwellungen vor allem der kleinen Gelenke. Die Tiere bewegen sich weniger als ihre gesunden Artgenossen und ihre Griffstärke ist deutlich reduziert, was sich semiquantitativ leicht erfassen läßt. Auch Art und Ausmaß der Schmerzen entsprechen der Situation am Menschen (chronisch-dumpfer Schmerz).

Daher eignen sich derartige Tiermodelle nicht nur zum Studium des Mechanismus der Gelenkentzündung, sondern auch zur Prüfung neuartiger anti-rheumatischer Medikamente auf ihre Wirksamkeit, ehe eine Studie am Menschen durchgeführt wird.
Kreuzungsversuche zwischen unterschiedlichen Stämmen
Eine Studienmethode, die speziell in der Rheumaforschung intensiv genützt wird, sind Kreuzungsversuche zwischen Stämmen unterschiedlicher Knochendichte, unterschiedlichem Krankheitsverlauf und unterschiedlicher genetischer Ausstattung. Vor allem hinsichtlich der Osteoporoseentstehung sowie spontaner Arthritisentwicklung ist diese Methode sehr aussagekräftig.
Zehn bis zwölf vielversprechende Ansätze
Gleichzeitig mit der erwähnten Gruppe der TNF-Blocker werden weltweit rund viele weitere Zielmoleküle auf ihren therapeutischen Nutzen hin untersucht - in Computersimulationen, an Zell- und Gewebekulturen sowie in Studien an Mäusen und Ratten; rund ein Dutzend von diesen sind in ihrer Entwicklung schon weit fortgeschritten.
Osteoprotegerin: Knochendestruktion wird blockiert
Vielversprechend ist beispielsweise "Osteoprotegerin", das die Osteoklasten und dadurch auch die inflammatorische Knochendestruktion blockt. Ebenfalls interessant ist das Interleukin 1, dessen Blockade entzündungshemmend und knorpelprotektiv wirkt. Und schließlich wird auch daran gearbeitet, die Entzündung über die Blockade der Immunzellen zu beeinflussen.

Der Ansatz über die T-Zellen will in die Ko-Stimulation der inflammatorischen Vorgänge eingreifen. Noch immer gilt: Kann das Fortschreiten der Entzündung nicht gestoppt werden, haben die Patienten aufgrund resultierender kardiovaskulärer Erkrankungen und Osteoporosefolgen eine um zwei bis 13 Jahre verkürzte Lebenserwartung.
Arthrose derzeit in der Forschung unterrepräsentiert
Im kommenden Jahr wird der jährliche europäische Rheumatologenkongress EULAR in Wien tagen, bei dem wiederum mehrere tausend Ärzte und Wissenschafter den aktuellen Forschungsstand präsentieren werden. An vorderster Front stehen dabei USA und Japan, weiters Großbritannien und Holland.

Etwa die Hälfte der gesamten Forschungsanstrengungen gehen in die klinische Forschung, um bessere Prognoseparameter zu entwickeln. Vom Bereich der angewandten Grundlagenforschung betrifft der überwiegende Teil die Osteoporose sowie die rheumatoide Arthritis. Ungeachtet ihrer Häufigkeit ist die Arthrose derzeit forschungsmäßig vergleichsweise unterrepräsentiert.

[22.3.05]
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Die Autoren
Univ.-Prof. Dr. Georg Schett ist Oberarzt an der Klinik für Innere Medizin III/Klinische Abteilung für Rheumatologie der Medizinischen Universität Wien. Dr. Susanne Krejsa ist Wissenschaftsjournalistin in Wien.
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01.01.2010