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Dunkles Erbe der deutschen Max-Planck-Gesellschaft  
  Deutsche Spitzenwissenschaftler waren in die Gräuelexperimente und Rüstungsforschung der Nationalsozialisten weit mehr verstrickt, als bisher belegt war. Das zeigt die nun aufgearbeitete Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft.  
60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) die dunkle Geschichte ihrer berühmten Vorgängergesellschaft nun weitgehend veröffentlicht.

Nach den Dokumenten entwickelten Forscher der Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft zwischen 1933 und 1945 Kampfgase, duldeten Menschenversuche oder griffen auf Zwangsarbeiter zurück.
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Die Ergebnisse von 21 Teilprojekten der wissenschaftlichen Aufarbeitung, die unlängst auf einer Abschlusskonferenz in Berlin präsentiert wurden, sind in Form von Preprint-Dateien (.pdf) online verfügbar.
->   Zu den Ergebnissen
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Verstrickungen reichten von Arrangieren bis zum Jubilieren
"Es gab eine sehr große Bandbreite von unterschiedlichen Einbindungen der Wissenschaftler in das NS-System", erläuterte Projektleiterin Susanne Heim der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Mit zehn weiteren Forschern hat sie für die MPG sechs Jahre die Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft untersucht.

"Typisch war ein Arrangieren der Wissenschaftler mit dem NS-Regime, sei es zähneknirschend oder jubilierend", berichtete sie. Dabei hätten Spitzenwissenschaftler große Schuld auf sich geladen. "Sie haben Enteignung, Plünderung, Menschenversuche oder Morde in ihren Bereichen mit vorangetrieben."
Auch nach dem Krieg Beißhemmung gegen Kollegen
Dass die Frage nach Verantwortung erst jetzt endgültig geklärt wird, sieht Heim durchaus kritisch. "Da hätte man eine Menge viel früher machen können", urteilte sie. Doch lange habe es wohl eine Art Beißhemmung gegen geschätzte Kollegen in den eigenen Reihen gegeben.

Trotz zweifelhafter Vergangenheit hätten sie bis in die 80er Jahre hinein als graue Eminenzen gewirkt und in der Max-Planck-Gesellschaft eine offene Auseinandersetzung über die Historie verhindert.
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Befleckte Vergangenheit
Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hatte einst Genies wie Albert Einstein in ihre Mitte geholt und hat zahlreiche Nobelpreisträger hervorgebracht. Unbefleckt war die Wissenschaft jedoch auch vor 1933 nicht gewesen.

Der Chemiker und spätere Nobelpreisträger Fritz Haber entwickelte beispielsweise das Giftgas, das 1915 an der Front bei Ypern Tausende von Franzosen zu Tode gequält hatte.
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Wenig Widerstand bei Machtantritt der Nazis
Beim Machtantritt der Nationalsozialisten regte sich in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft auch vergleichsweise wenig Widerstand. Viele Spitzenforscher, so die heutige Analyse, beteiligten sich an der Vertreibung jüdischer Kollegen. Karriere war ihnen wichtiger als vieles sonst.
Kontakte zwischen Leiter der Anthropologie und Mengele
Die Aufwertung der Rassenforschung durch das NS-Regime habe manche Wissenschaftler geradezu beflügelt, erläuterte Susanne Heim. Ohne Druck und Zwang arbeiteten die Forscher mit ihren Versuchen den Machthabern in die Hände.

Wie das Magazin "Der Spiegel" berichtet, gab es zum Beispiel eine persönliche Verbindung zwischen dem KZ-Arzt und Massenmörder Josef Mengele und dem Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie. "Einige Forscher hatten keine Skrupel, für Versuche auf Menschen in Konzentrationslagern zurückzugreifen, andere schon", erläuterte Heim.
1991 Überlebende um Verzeihung gebeten
Die heutige Max-Planck-Gesellschaft hat sich bereits 1991 zur historischen Verantwortung und zur Schuld der damaligen Wissenschaftler bekannt. Die wenigen Überlebenden der menschenverachtenden Zwillingsversuche von Auschwitz bat die MPG damals beispielsweise ausdrücklich um Verzeihung.

[science.ORF.at/APA/dpa, 21.3.05]
->   Website der Max-Planck-Gesellschaft zur Aufarbeitung ihrer NS-Vergangenheit
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Wissenschaftlich getarntes Morden (29.10.01)
->   Zwangsarbeit in der NS-Wissenschaft (19.12.00)
->   Max Planck und der Nationalsozialismus (14.12.00)
 
 
 
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01.01.2010