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Mit den Ohren sehen können: Das Projekt DAISY- Digital Accessible Information System  
  Josef Bichler über die Präsentation von Heinz Zysset, Schweizerische Bibliothek für Blinde und Sehbehinderte (SBS), Zürich.  
Lesen gehört gehört
Hörbücher sind längst aus ihrem Schattendasein als Nischenprodukt für blinde und sehbehinderte Menschen getreten. Akustische Informationsträger gewinnen zusehends an Bedeutung. Ein großes Problem der Audiobooks waren bislang die fehlenden Navigationsmöglichkeiten. Der Umstieg von Kassette auf CD erwies sich dabei als vermeintlicher Fortschritt.

Für Heinz Zysset von der Schweizerischen Bibliothek für Blinde und Sehbehinderte (SBS) sind CDs "die schlechteste Lösung, die man sich vorstellen kann". Zysset kritisiert damit nicht die Silberscheibe an sich, sondern das simple Bespielen der Musik-CDs mit gesprochenem Text, dass den raschen Neueinstieg bei der letztgehörten Passage oder das Ansteuern einer bestimmten Seite verhindert.
DAISY - ein Gänseblümchen mit Ohren
Die SBS hat mittlerweile praktisch ihren gesamten Bestand an gedruckten Büchern digitalisiert und viele davon im so genannten DAISY-Format archiviert. Das Anfang der 1990er Jahre in Schweden entwickelte Verfahren ermöglicht sinnesbehinderten Menschen den gleichwertigen Zugang zu Büchern und elektronischen Texten.

Mit DAISY, dem "Digital Accessible Information System" können erstmals auch bei akustischen Medien Kapitelüberschriften angesprungen, Textmarken gesetzt oder Fußnoten gelesen werden. Das DAISY-Konsortium definiert und spezifiziert dabei die technologischen Standards und gewährt so eine weltweit einheitliche Nutzung und Weiterentwicklung des neuen Audioformates.
Vom Rand in die Mitte
Längst haben auch die großen Buchverlage erkannt, dass mit einer "originalgetreuen" Abbildung von Text auf Ton nicht nur sehbehinderten Menschen geholfen ist, sondern auch die breite Masse der Audioleserschaft die Vorzüge der DAISY-Bücher zu schätzen weiß. Der Branchenriese Time Warner hat erste belletristische Titel im DAISY-Format produziert und deren Markttauglichkeit in einer Studie getestet.
Das Zauberwort heißt "XML"
Technologische Basis des DAISY-Formates sind XML-Dateien, die als nicht-proprietäre Speicherformate von textbasierten Informationen weltweit rapide an Bedeutung gewinnen. "Daisyfizierte" Texte leisten nebst der akustischen Aufbereitung vor allem die synchronisierte Wiedergabe von geschriebenem und gesprochenem Text, aber auch von Großschrift oder tastbarer Blindenschrift.

Im Gegensatz zu vielen patentgeschützten Lösungen bietet DAISY bereits auf der Quellebene einen barrierefreien Zugang zu Informationen. In enger Anlehnung an das Worldwide Web-Konsortium (W3C) werden die technologischen Spezifikationen für DAISY-Formate möglichst nahe an den Mainstream-Standards ausgerichtet.

Für den Schweden Markus Gylling, Software-Ingenieur beim DAISY-Konsortium, ist die Mission Klar: "Das Ziel von Organisationen wie der unseren kann es letztlich nur sein, dass sich ihre Existenz erübrigt, weil Informationen von Haus aus so aufbereitet sind, dass sie für jeden Menschen zugänglich sind."
Eine Frage der Vermittlung
Eine der größten Herausforderungen in diesem Zusammenhang ist es, diese Standards so zu definieren, dass sie auch von Menschen verstanden und angewendet werden können, die nicht unmittelbar in der IT-Branche beschäftigt sind. Nur so kann eine Implementierung der Richtlinien auf breiter Basis und quer über Sprach-, Landes- oder Kulturgrenzen hinweg gewährleistet werden.

Ungeachtet singulärer Schwierigkeiten ist Markus Gylling vom unaufhaltsamen Durchbruch XML-basierter Technologien überzeugt: "Das ist nicht nur ein enormer Fortschritt in der ganzen Accessibility-Debatte. XML ist ja auch die gültige Antwort auf die Frage nach der nachhaltigen Archivierbarkeit von textbasierten Informationen."
Gewinnbringende Gemeinnützigkeit
Die traditionellen Konflikte zwischen den verschiedensten Interessensgruppen hält Gylling dank XML für überwunden, weil das Dateiformat nebst freier Zugänglichkeit auch für Content-Provider jede Menge Vorteile bringt. So können etwa XML-Datensätze ohne weitere Bearbeitung in beliebige User-Interfaces eingespeist werden: ganz gleich, ob PC-Bildschirm, Handy- oder PDA-Screen.

Es sind zuweilen sehr pragmatische Interessen der großen Medienkonzerne, die in Sachen Barrierefreiheit mehr Fortschritt bringen als die jahrzehntelangen Anstrengungen der einschlägigen Interessensvertretungen.

Die jüngst im US-amerikanischen Kongress eingebrachte Gesetzesvorlage, die vorsieht, von jedem publizierten Werk eine XML/DAISY-Version einzufordern, bestätigt Markus Gylling in seiner Überzeugung: "Mit XML steht die Technologie für langfristige Datensicherheit und freier Zugänglichkeit bereit. Wenn es uns gelingt zu kommunizieren dass alle etwas davon haben, dann haben wir unseren Job erledigt."
->   www.audible.com
->   www.daisy.org
->   www.sbs-online.ch
->   www.w3c.org
->   Programm: "Ohne Barrieren? Körper -Technologien - Behinderungen"
 
 
 
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01.01.2010