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Moderner Sport vereint Sinn und Ökonomie  
  Unsere moderne Gesellschaft ist durch und durch "versportet". Der Bandbreite des Sports - von Sinnstiftung über Ästhetik bis zur Vermarktung - geht das Ernst-Mach-Forum kommende Woche in Wien nach. Vorab schreibt der Soziologe Gunter Gebauer in einem Gastbeitrag dem heutigen Sport eine einzigartige Rolle zu: Erstmals in der Geschichte vereinige dieser die Werte des Lebenssinns mit jenen der Ökonomie.  
Zwischen Sinnstiftung, Ästhetik und Vermarktung
Von Gunter Gebauer

Seit einigen Jahrzehnten tritt in der modernen Gesellschaft eine neue Art der Sinnsstiftung auf, die es früher nicht gegeben hat. Ihr hervorstechendes Merkmal ist die wesentliche Beteiligung des Sports.

Der Sinn, den sich einzelne Individuen, aber auch ganze Nationen zuschreiben, bezieht seine Überzeugungskraft von erfolgreichen Athleten, mit denen auf eine bestimmte Weise zusammen gehören: Sinnstiftung dieser neuen Art macht das Leben der einzelnen wertvoll und lässt eine Nation gegenüber jeder anderen aufgrund ihrer sportlichen Großtaten als herausragend erscheinen.
Sinnlichkeit und Körper
Die neue Art der Sinngebung bringt wie mit einem Zauberstab einen Bereich zum Leuchten, der früher nicht zu den klassischen Sinnprovinzen gehörte: die Sinnlichkeit und den Körper.

Der zweite Unterschied betrifft die Beteiligung des Geldes. Traditionelle Formen der Sinnstiftung findet man in der Religion, Philosophie und Literatur, die weit entfernt vom Ökonomischen autonome Felder bilden. Sie wirken insbesondere mit der Kraft des Wortes.

Sport erzeugt Sinn durch Bilder; diese repräsentieren Werte, die für unsere Gesellschaft besonders wünschenswert sind. Die von vielen Menschen gewünschten Werte sind vollkommen andere als jene der Schriftkultur - man findet sie vor allem in der Domäne der Werbung.
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Ernst-Mach-Forum
Zeit: Mittwoch, 13. April 2005, 18.00 Uhr
Ort: Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Theatersaal, Sonnenfelsgasse 19, 1010 Wien
Diskutanten: Anton Innauer/Rennsportdirektor ÖSV, Rosa Diketmüller/ Sportwissenschaftlerin, Gunter Gebauer/Philosoph, Günter Gmeiner/Dopingexperte, Erich Müller/Sportwissenschaftler; Moderation: Martin Bernhofer/Ö1
->   Mehr über die Veranstaltung (ÖAW)
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Von den Gegenbildern ...
Seit seiner massenhaften Verbreitung stellt der Sport der Öffentlichkeit seine Bilder zur Verfügung. In früheren Zeiten, beispielsweise in den 20er und 50er Jahren, waren diese oftmals Gegen-Bilder: sie stellten gegen die friedlose, steife, hässliche Gesellschaft Bilder der Grazie, Schönheit, der Freundschaft, des glücklichen Augenblicks.

Sie vermittelten die Utopie eines Lebens, das nicht mehr wirtschaftlichen und politischen Zwängen unterworfen ist.

Die großen Sportler/innen dieser Zeit wurden als Personen dargestellt, die über begehrte, unnachahmliche Eigenschaften verfügten. Es waren Bilder, für die es keinen Markt gab, weil sie gegen den Markt gerichtet waren.
... zu den Bildern des Marktes
Die heutigen Bilder des Sports sind marktkonform; sie stellen ein hohes ökonomisches Gut dar. Sie transportieren Werte, in denen die Wünsche des Publikums mit den Angeboten der Wirtschaft zusammenfallen. Es ist ein ungezwungenes, freies Übereinstimmen, das sich in der Lust an den Bildern vollzieht.

Während früher die durch den Sport erfüllten Wünsche oft gesellschaftlich als illegitim abgetan wurden, sind sie heute volkswirtschaftlich bedeutsam geworden und haben es zu hohem Ansehen gebracht.
Neue Werte
Im Sport findet man eine Fülle von Werten, darunter nach wie vor jene der Erziehung, der Freundschaft, des Vorbilds, aber die neuen Werte haben diese in den Hintergrund treten lassen.

Heute dominieren Werte des Emotionalen, der Macht, der Ästhetik, des Nationalen und des Religiösen. Ich werde sie im Folgenden kurz umreißen.
Unvergleichliche Emotion
Die Zuschauer großer Sportereignisse sind mehrheitlich bereit, sich für einen Athleten oder eine Mannschaft zu engagieren. Ihre Existenz wird weit über das Alltagsleben herausgehoben durch unvergleichbare Spannung, durchlebte Hoffnungen, Zuneigungen, intensive Wünsche und - in großen Momenten - durch Wunscherfüllung.

Aber selbst wenn das Geschehen mit einer Enttäuschung endet, bietet es eine exquisite emotionale Fülle.
Macht in Echtzeit präsentiert
Wettkämpfe zeigen, wie ein Athlet sich durchsetzt und alle Konkurrenten aus dem Feld schlägt. Der Stärkere erhält Recht, ohne moralische Rücksichten auf die Schwächeren; Mitleidlosigkeit gehört konstitutiv zum Wettkampf.

Die Art und Weise, wie sich jemand immer wieder gegen andere durchsetzt, macht ihn zu einem stilprägenden Typ. Hier berührt sich der Athlet mit dem Filmhelden - nur kämpft er wirklich, und sein Stil setzt sich tatsächlich durch.
Ästhetische Vorbilder
Erfolgreiche Sportler sind Modelle eines vorbildhaften körperlichen Aussehens: Ihre Muskeln, Schlankheit, Trainiertheit, die Weise ihrer Bewegung und Kleidung machen sie zu modischen Schauobjekten und Vorbildern für erotische Attraktion, die sich nicht mehr nur auf den Markt der Partnersuche beschränkt, sondern zu einem Wert auf dem Arbeitsmarkt geworden ist.
Nationales Schmiermittel
Im Zeitalter der Globalisierung nehmen sich die Mitglieder regionaler Gruppen, insbesondere von Nationen in einem Kampf gegen andere Gruppen wahr. Sie müssen erfahren, dass sie den Rahmenbedingungen ihrer Nation - Geschichte, Sprache, Kultur, Bildungssystem - nicht entkommen können; sie müssen deren negativen Effekte mit tragen.

Aber der Sporterfolg ihrer Nation führt ihnen deren unverwechselbare und bewundernswerte Züge vor Augen und bieten ihnen - aufgrund ihrer Zugehörigkeit - die Möglichkeit zur Teilhabe an.

Über Herkunft, Aussehen, ähnliche Kindheit, Vertrautheit mit Sprache und Denken "ihrer" Athleten können sie sich in imaginative Nähe zu ihnen versetzen.
Fortsetzung der Religion mit anderen Mitteln
Helden im Spitzensport werden von ihren Fans mit ungeheurer Macht ausgestattet. Sie erhalten von ihnen einen Status, der Heiligen nahe kommt. Auf diese Weise erzeugen sich die Anhänger Objekte der Verehrung, der kultischen Erhöhung und emotionalen Unterordnung, einer Fortsetzung der Religion mit anderen Mitteln.

Wenn Athleten diese Verehrung auf sich selber beziehen und den Mechanismus der Heiligung nicht wahrhaben, können sie bereit sein, alles zu tun, um diesen Zustand immer wieder zu erneuern. Einer der Gründe für die Einnahme verbotener Substanzen ist in diesem Willen zur Gottähnlichkeit zu finden.
Sinn- und Ökonomie-Werte fallen zusammen
Zum ersten Mal in der Geschichte lässt sich im modernen Sport die Möglichkeit erkennen, die Hervorbringung von Werten der Lebensgestaltung und von ökonomischen Werten in eins zu setzen.

Der Sport vereinigt mit seinen Bildern Lebenssinn, die Ökonomie der Wünsche und die Wünsche der Ökonomie.
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Über den Autor
Gunter Gebauer ist Professor am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin und Professor für Sportsoziologie im Fachbereich Erziehungswissenschaften und Psychologie. Arbeitsgebiete: Sprachphilosophie, Sozialphilosophie, Anthropologie.
->   Homepage an der FU Berlin
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Aktuelles zum Thema Sport in science.ORF.at:
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Das ernst mach forum. Wissenschaften im dialog wird von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, gemeinsam mit der Wissenschaftsredaktion der ORF-Radios und der MA 7 - Wissenschafts- und Forschungsförderung der Stadt Wien veranstaltet.
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01.01.2010