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Fernsteuerung für Fruchtfliegen  
  Autos, Flugzeuge und Boote mit Fernsteuerung gibt es schon lange. Seit kurzem auch Insekten: US-Forscher haben Fruchtfliegen mit einem speziellen Gen ausgestattet, mit dem sie gewissermaßen auf Knopfdruck zu spontanen Flug- oder Sprungbewegungen veranlasst werden können.  
Bei der von Susana Q. Lima und Gero Miesenböck von der Yale-University vorgestellten Methode wird ein bestimmter Ionenkanal von Nervenzellen durch Laserlicht aktiviert. Dies führt zu spezifischen Erregungsmustern und könnte in Zukunft zur Behandlung neurologischer Schäden genutzt werden.
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Die Studie "Resource Remote Control of Behavior through Genetically Targeted Photostimulation of Neurons" von Susana Q. Lima und Gero Miesenböck erschien im Fachjournal "Cell" (Band 121, S.141-152, doi:10.1016/j.cell.2005.02.004).
->   Zur Studie bei Cell
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Denkorgan Gehirn
"Die Gedanken verhalten sich zum Gehirn wie der Urin zur Niere", schrieb der deutsche Naturforscher und Materialist Carl Vogt im 19. Jahrhundert. Kein besonders schmeichelhafter Vergleich, aber im Kern richtig.

Bewusstsein, Emotionen und Verhalten sind an physische Prozesse im Gehirn gebunden - sind die Nervenzellen stumm, dann ist es auch unser Geist.

Eindrucksvoll unter Beweis gestellt wurde diese These vor rund 50 Jahren vom kanadischen Neurologen Wilder Penfield, der sich die Tatsache zunutze machte, dass die "Sprache" der Neuronen auf elektrischen Entladungen an der Zellmembran beruht.

Penfield nahm elektrische Reizungen an der Großhirnrinde von Personen vor, die unter lokaler Betäubung am Gehirn operiert wurden. Die Patienten berichteten daraufhin von scheinbar realen Empfindungen - sie hörten Stimmen, sahen Bilder, selbst komplette Szenen des Lebens liefen vor dem geistigen Auge der Probanden ab.
Elektrostimulation ohne Draht
Mittlerweile wird die so genannte Elektrostimulation nicht nur in der Grundlagenforschung sondern auch im therapeutischen Bereich eingesetzt, etwa zur Behandlung von chronischen Schmerzen oder Muskelschwund.

Eines hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten an der Methode nicht geändert: Damals wie heute verwendete man feine Drähte, um Neuronen zu stimulieren. Susana Q. Lima und Gero Miesenböck von der Yale-University haben nun einen Weg vorgestellt, bei dem man den selben Effekt quasi per Fernbedienung erreichen kann.
"Empfänger" Ionenkanal,...
Die beiden Zellbiologen statteten Nervenzellen der Fruchtfliege mit einem Gen aus, das zur Herstellung des Ionenkanals P2X2 führt. Dieser funktioniert nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip.

Im Grundzustand ist er verschlossen, tritt er jedoch mit dem Molekül Adenosintriphosphat (ATP) in Wechselwirkung, öffnet er sich: dann strömt Kalzium in die Zelle und löst auf diese Weise ein Aktionspotenzial aus.
->   Aktionspotenzial bei Wikipedia
..."Fernsteuerung" Laser
Das Besondere daran: ATP kann in einem molekularen Käfig verpackt werden, der unter Einwirkung von Laserlicht zerfällt. Auf diese Weise ist es möglich, die Erregung einzelner Nervenzellen per Knopfdruck auszulösen. Das legten zumindest Versuche im Reagenzglas nahe, die Lima und Miesenböck durchführten.

Die Schwierigkeit bestand jedoch darin herauszufinden, ob das Kontrollsystem auch in erwachsenen Fruchtfliegen funktioniert, denn schließlich können die Insekten nicht über ihre Empfindungen Auskunft erteilen.
Nervenzellen kontrollieren Muskeln
Dieses Problem lösten die beiden Forscher, indem sie das P2X2-Gen in die so genannten Riesenfasern des Insektengehirns einschleusten.

Dieses System besteht - wie der Name bereits andeutet - aus großen Neuronen, deren Synapsen mit Flug- und Beinmuskeln verbunden sind. Eine Reizung der Riesenfasern sollte also die Bewegungsmuster von Fliegen beeinflussen.
Fliegentanz auf Knopfdruck

Das war in der Tat der Fall: Lima und Miesenböck ließen verpacktes ATP in das Nervensystem der Fruchtfliegen diffundieren und setzten sie dann rund 200 Millisekunden dauernden UV-Laserpulsen aus.

Daraufhin begannen 60 bis 80 Prozent der Insekten mit spontanen Tanzeinlagen. Sie sprangen, schlugen mit den Flügeln und führten andere Flugbewegungen aus. Dieser Effekt hielt Sekunden, in manchen Fällen sogar mehrere Minuten an.
->   Video der Tanzeinlage
Langfristiger Einsatz in der Medizin
Wer angesichts dieser Versuche nun auf die Entwicklung "ferngesteuerter" Haustiere hofft, dürfte allerdings enttäuscht werden. Lima und Miesenböck wollen die Phototrigger-Methode langfristig im medizinischen Bereich einsetzen. Denkbar wäre etwa, dass auf diese Weise Nervensignale wiederhergestellt werden könnten, die durch Krankheiten oder Verletzungen verloren gingen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 12.4.05
->   Yale-University
 
 
 
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01.01.2010