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Gedenkjahr 2005: Bücher zur Zeitgeschichte  
  2005 kommen viel neue oder neu aufgelegte Bücher zur österreichischen Zeitgeschichte heraus. Im Mittelpunkt dabei stehen nicht nur die Jahre 1945 und 1955, sondern auch die Zeit davor - der Austrofaschismus.  
Die Flut an Neuerscheinungen ist unübersehbar. Daher gleich vorweg: Wer hier nicht vorkommt, hat ganz sicher trotzdem was zu sagen. Hier ein Einblick in die aktuellen Neuerscheinungen und Diskussionen rund um die österreichische Zeitgeschichte:
Flut an Erscheinungen
- Zum einen gibt es neue Quelleneditionen wie die Protokolle des Ministerrates der Zweiten Republik weiter, Herausgeber sind Gertrude Enderle- Burcel und Rudolf Jerabek.

- Die Akademie der Wissenschaften gibt "Russische Quellen zur Sowjetbesatzung in Österreich 1945-1955" mit bisher unerschlossenen sowjetischen Berichten der sowjetischen Besatzung heraus.

- "Vom Staatsvertrag zur EU" führt bei Böhlau Felix Butschek durch die österreichische Wirtschaftsgeschichte.

- Rolf Steininger bringt unter dem Titel "Österreich ist frei!" die Geschichte Österreichs von 1938 bis 1955 im Studienverlag einen Überblick.

- Das harte Leben zu Kriegsende ist bei Molden Gudula Walterskirchens "Bomben - Hamstern - Überleben. Österreich 1945" Thema.

- Manfried Rauchensteiner analysiert in der Edition Steinbauer unter dem Titel "Stalinplatz 4 - das Schicksal Österreichs unter Alliierter Besatzung".

- Blasi, Schmidl und Schneider beleuchten bei Böhlau den militärischen Weg zum Staatsvertrag: die B-Gendarmerie, Waffenlager und Nachrichtendienste.

- Und zum Start der großen Staatsvertragsausstellung am 16. Mai 2005 erscheint das Buch "Das neue Österreich".
Austrofaschismus ...
Nicht zu trennen sind die Daten 1945 und 1955 von den Jahren vor 1938, der Zeit des autoritären Ständestaates. Neuauflagen von Büchern aus den 80er Jahren setzen sich mit diesem Thema auseinander.

Der Politikwissenschaftler Emmerich Talos zum Beispiel hat gemeinsam mit dem Historiker Wolfgang Neugebauer im Lit-Verlag den Sammelband "Austrofaschismus" neu bearbeitet.

Talos stellt Dollfuß' und Schuschniggs autoritäres System als brutales Arbeiter mordendes Regime in abgestuften, doch direkten Vergleich mit Hitler und Mussolini.

"Der österreichische Faschismus war ein Imitationsfaschismus, stark angelehnt an die faschistischen Nachbarn Italien und Deutschland. Aufgrund der unübersehbar größeren Nähe der österreichischen Diktatur zu den Faschismen in Italien und Deutschland ist dieses System mit dem Begriff ¿Austrofaschismus¿ charakterisierbar", so Talos im ORF-Radio.

Er betont, dass dieser von ihm und anderen verwendete Begriff auf Forschungsanalysen basiert, und sich nicht der politischen Auseinandersetzung verdanke.
... oder autoritärer Ständestaat?
Anders sieht das die Historikerin Gudula Walterskirchen, die in den letzten Jahren Biographien von Kanzler Dollfuß und Heimwehrführer Starhemberg herausgebracht hat - nämlich den Ständestaat im Kampf gegen und nicht als Wegbereiter des Nationalsozialismus, und die Sozialdemokratie nicht als makellose Hüterin der Demokratie:

"Die damalige Sozialdemokratie war sehr stark vom Austromarximus geprägt, daher auch die Ängste des bürgerlichen Lagers, denn man wollte keinesfalls Zustände wie damals in Russland haben. Und es gab nicht wenige in der Sozialdemokratie, die definitiv auf ein marxistisches Vorbild hinarbeiteten", meint Walterskirchen.
Ende der Konsensgeschichtsschreibung
Jenseits des Streits beobachtet der Doyen der österreichischen Zeitgeschichte Gerhard Jagschitz die Diskussion, und ortet mehrere Privat-Wahrheiten:

"Auf der einen Seite eine starke Vertuschung der undemokratischen Entwicklung des Ständestaats, der Zerstörung von Demokratie und Parlamentarismus. Andererseits geht es jetzt natürlich darum, und das hat immer mit aktueller politischer Situation zu tun, dass die Sozialdemokratie nicht an der politischen Macht ist, und jetzt nur sozusagen die Macht in ihrer Geschichte zurückerobern will", so Jagschitz.

Eines dürfte jedenfalls schön langsam vorbei sein: die jahrzehntelange großkoalitionäre Konsensgeschichtsschreibung. Vielleicht wird sie gerade im Gedenkjahr 2005 zu Grabe getragen.

Martin Haidinger, Ö1-Wissenschaft, 15.4.05
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Gedenkjahr 2005
In loser Folge erscheinen in science.ORF.at redaktionelle Texte und Gastbeiträge zu dem Schwerpunkt "Gedenkjahr 2005". Bisher erschienen:
Austrofaschismus: Politischer Wille zur Umgestaltung (7.4.05)
Otto Urban: Vor 65 Jahren "endgültige" Liquidierung Österreichs (30.3.05)
Michael John: Neo-Mythologisierung der Zeitgeschichte (18.3.05)
Materieller und geistiger Wiederaufbau Österreichs (16.3.05)
Siegfried Mattl: Beglaubigte Geschichte (9.3.05)
Die ursprünglichen Pläne von "25 Peaces" (28.1.05)
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01.01.2010