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Elite-Unis: Nationale Wünsche und EU-Strategien  
  Die Diskussion über Elite-Unis ist ein europäisches Phänomen - allerdings nur in dem Sinn, dass mehrere EU-Mitgliedsstaaten parallel über deren Errichtung diskutieren und sie vor allem aus standortpolitischer Sicht befürworten. Aber nicht nur die Politik, auch die Universitäten orientieren sich in erster Linie am nationalen Forschungssystem, schreibt die Politologin Elsa Hackl in ihrem Gastbeitrag.  
Der Europäische Hochschulraum, die nationale Standortpolitik und die österreichische Eliteuniversität
Von Elsa Hackl

Um die politische Einigung Europas voranzutreiben, wurden neben dem Europäischen Wirtschaftsraum eine Reihe anderer "Europäischer Räume", die geschaffen werden sollen, definiert: etwa 2000 in Barcelona der Europäische Forschungsraum und 1999 in Bologna der Europäische Hochschulraum.

Zu letzterem legte die Kommission 2003 die Mitteilung "Die Rolle der Universitäten im Europa des Wissens" vor. Der Kern dieser Mitteilung besteht aus drei Punkten:
1) Wenig Konkurrenzfähigkeit ...
Die Universitäten in der EU sind gegenüber jenen in den USA nicht konkurrenzfähig. Sie sind für Studierende und ForscherInnen weniger attraktiv. Denn die nationalen Hochschulstrukturen in Europa bewirken, dass die Universitäten häufig nicht die notwendige "kritische Masse" für Exzellenz erreichen:

Die EU hat etwas weniger Hochschulen als die USA und ihre Hochschulsysteme sind weniger hierarchisch gestaltet als die der USA, wo "auf etwa 50 (Universitäten) der Großteil der akademischen Forschungskapazität der USA, der staatlichen Fördermittel für die Forschung auf Hochschulebene und der Nobelpreise für US-amerikanische Wissenschaftler" entfällt.
2) Unterfinanzierung
Auch die Unterfinanzierung der Universitäten in der Europäischen Union hindert die Förderung von Exzellenz in Forschung und Lehre. Die Ausgaben für Hochschulbildung haben mit der wachsenden Zahl der Studierenden nicht Schritt gehalten und liegen in Europa erheblich unter denen der USA.

Während in der EU 1,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Universitäten ausgegeben wird, sind es in den USA 2,3 Prozent, also mehr als doppelt so viel. Die Lücke ist auf den geringen Anteil privater Hochschulfinanzierung in Europa zurückzuführen. Da die Hochschulausgaben nicht entsprechend steigen werden, muss die Effizienz erhöht werden.
3) "Centres of Excellence" fördern
Um die Konkurrenzfähigkeit der Hochschulsysteme Europas zu stärken, ist Gemeinschaftspolitik erforderlich. Die Mitgliedstaaten sollen daher nicht alle Forschungs- und Lehrbereiche fördern, sondern selektiv und europäisch abgestimmt vorgehen.

Auf diese Weise kann die kritische Masse für "Centres of Exzellence" erreichen werden, denn: "Heute ist es selbst in den großen europäischen Ländern nicht mehr möglich, auf nationaler Ebene Exzellenz zu schaffen und zu beurteilen".
->   Die Mitteilung der EU-Kommission als pdf-Download
Übereinstimmung mit Forschungspolitik
Diese Überlegungen der Kommission stimmen mit ihrer Forschungspolitik überein - bereits im 6. Rahmenprogramm (2002-2006) wurde die Schaffung von "Exzellenzzentren" festgelegt - und sie entsprechen damit auch dem Ziel, den Europäischen Forschungsraum und den Europäischen Hochschulraum zusammenzuführen.
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Der Frage " Braucht Österreich eine Eliteuniversität?" geht das "Hochschulpolitische Forum" am Donnerstag, 21. April 2005, nach. Beginn: 18.00 Uhr, ORF KulturCafe, Argentinierstrasse 30a, 1041 Wien.
->   Alle Informationen zu TeilnehmerInnen und Thema in science.ORF.at
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Rechnung ohne die Nationalstaaten gemacht?
Die Mitteilung sollte nach einem breiten Diskussionsprozess in umsetzbare Maßnahmen münden. Was den Vorschlag von europäischen "Centres of Excellence" betrifft, scheint die EU-Kommission aber die Rechnung ohne den nationalen Wirt gemacht zu haben.
Elite-Unis als Argument in der Standortpolitik
Die Diskussion dazu wird nämlich innerhalb nationaler Grenzen geführt. Eliteuniversitäten sind ein "starkes Element für eine erfolgreiche wissensbasierte Standortpolitik", wie es in der österreichischen Machbarkeitsstudie zur Gründung einer
Eliteuniversität heißt.
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Ähnliche Situation in Deutschland und Frankreich
Anderswo ist die Situation ähnlich. Bereits im Jänner 2004 hat in Deutschland die Regierung mit der Forderung nach einer Eliteuniversität in der Bundesrepublik aufhorchen lassen.

Auch in Frankreich gibt es derartige Vorhaben. Im Dezember 2004 legte dann der Wiener Bürgermeister seine Pläne für eine Eliteuniversität vor, auf Bundesebene folgt im Jänner 2005 die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Umsetzung dieser Pläne.
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Keine neue Diskussion
Völlig neu war die Diskussion um Eliteuniversitäten allerdings bereits 2004 nicht; sie ist seit etwa seit einem Vierteljahrhundert, also seit der ersten großen Expansion des Hochschulwesens, mehr oder weniger vorhanden.
Haltung der Universitäten
Was halten die Universitäten von Eliteuniversitäten? Unterstützen sie eher die europäische oder die österreichische Variante?

Generell kann man sagen, dass die Mitteilung der Kommission von den Universitäten weit weniger beachtet wurde als die Ankündigung einer "Eliteuniversität" auf nationaler Ebene.
Position im staatlichen Forschungssystem wichtig
Universitäten geht es um Positionen im staatlichen Forschungssystem und um nationale Finanzierung: Welche Disziplinen haben Vorrang? Wie sichert man seinem Spezialgebiet eine Sonderstellung in einem für seine Ansprüche zu gering finanzierten System, dessen MitarbeiterInnen sich zunehmendem Druck ausgesetzt fühlen?

Ist der eben gewonnenen institutionellen Autonomie zu trauen? Ist der Staat ein verlässlicherer Garant disziplinärer Interessen als die universitätsinterne Schwerpunktsetzung und das Verhandlungsgeschick der RektorInnen gegenüber dem Ministerium?
Universitäten weniger europäisch als die Präsentation
Die geringe Aufmerksamkeit, die die Mitteilung der Kommission "Die Rolle der Universitäten im Europa des Wissens" im Vergleich zu den Diskussionen um die Einrichtung einer Eliteinstitution in Österreich erlangte, lässt vermuten, dass die Universitäten weniger europäisch orientiert sind, als sie sich gerne präsentieren.

Ihre überwiegend staatliche Finanzierung bindet die Universitäten sehr an den Nationalstaat. Das unterschiedliche Engagement liegt auch darin, dass auf nationaler Ebene Verbindungen und auf europäischer Ebene mehr Wettbewerb bestehen.
Voraussetzung für Elite-Uni: Lösung schwieriger Fragen
Wie glaubt aber nun die Regierung, eine Eliteuniversität gründen zu können, und was sagt dies über ihr Wissenschaftsverständnis aus? Eine solche Gründung setzt ja die Lösung schwieriger Fragen voraus.

Erstens: Wie erkennt man in einem ausdifferenzierten Wissenschaftssystem, in welchen Fachbereichen einerseits mehr Begabung und Leistungswille sowie anderseits auch mehr Aussicht auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Innovation vorhanden sind? Wie reiht man die Disziplinen bzw. Wissensbereiche nach ihrer Bedeutung?

Zweitens: Entstehen Eliteuniversitäten "durch politische Patronage oder durch Wettbewerb", wie Hans Pechar zur deutschen Diskussion bemerkte? Macht die Etablierung einer Einrichtung als Eliteuniversität ihren Erfolg aus oder bringt die erfolgreiche Bewährung einer Einrichtung den Status einer Eliteuniversität ein?
Fairer Wettbewerb um Finanzmittel wird nicht erwogen
Nationale Standortpolitik scheint auch in Österreich mehr Bedeutung zu haben als der Europäische Hochschulraum und damit die Idee, dass Europa mehr ist als eine Wirtschaftsgemeinschaft. Die Möglichkeit, 2006 die österreichische Präsidentschaft für das Vorantreiben einer europäisch abgestimmten Politik nutzen, die die Entwicklung von "Centres of Excellence" durch einen fairen Wettbewerb um Forschungs- und Lehrmittel ermöglicht, wird primär nicht erwogen.

Denn anders als die Kommission scheint man am Minoritenplatz der Meinung: Heute ist es selbst in den kleinen europäischen Ländern möglich, auf nationaler Ebene Exzellenz zu schaffen und zu beurteilen.
Keine "Kränkung" zu erwarten
Ob die neue Einrichtung nun Eliteuniversität heißen wird oder nicht, ist in Zeiten willkürlichen Wortgebrauchs ziemlich unerheblich.

"Kränken" - wie nach einem Zitat der zuständige Sektionschef meinte - werden sich die bestehenden Universitäten ebenso wenig wie sie sich geschmeichelt fühlten, als ihnen staatlicherseits der Titel "Weltklasseuniversität" verliehen wurde.

[20.4.05]
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Zur Autorin
Elsa Hackl ist seit 2002 Mitarbeiterin des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Wien und war zuvor Abteilungsleiterin (Fachhochschulbereich) im Wissenschaftsministerium. Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Rechtswissenschaften in Salzburg, Dublin und Wien. Mag.iur., Dr.phil. Visiting Scholar an der University of British Columbia, Kanada, und am Europäischen Hochschulinstitut Florenz. Expertin für OECD, Europarat und Salzburg Seminar.
->   Institut für Politikwissenschaft
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->   Mehr zum Thema Elite-Uni im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010