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Tierversuche nötig, da Gewebekulturen nicht langen  
  In die Diskussion um Tierversuche greift der Dermatologe Klaus Wolff von der Medizinischen Universität Wien ein: Studien an Gewebekulturen reichen ihm zufolge in der Krebsforschung nicht aus, da diese keine Tochtergeschwülste bilden. Deshalb seien Studien am lebenden Organismus notwendig, schreibt er in einem Gastbeitrag.  
Tiere für die Melanomforschung:
Von Klaus Wolff unter Mitarbeit von Susanne Krejsa

Entsprechend der Definition der Bösartigkeit eines Geschwulsts (Malignität) durch die beiden Faktoren 'Wachstum' und 'Metastasierung' - also die Bildung von Tochtergeschwülsten - zielen alle Forschungsanstrengungen auf Stopp des Tumorwachstums unterhalb der kritischen Größe, um die Metastasierung zu verhindern.

Den Tumor mit seinen eigenen Waffen zu schlagen - ihn nämlich am Wachsen zu hindern - ist daher eines der aktuellen Ziele der Melanomforschung, für die auch Versuchstiere eingesetzt werden.
Tumoren wachsen in Labormäusen wie im Menschen
Paradoxerweise sind es Labormäuse, die den Melanom-Forschern den Schritt vom tierischen in den menschlichen Organismus ermöglichen: Die so genannten SCID-Mäuse; SCID steht für 'Severe Immuno Deficient Mouse' und beschreibt das Fehlen eines eigenen zellulären Immunsystems dieser Mäuse, das als Spontanmutation aufgetreten ist und seither in Zuchtstämmen fortgeführt wird.

In diesen Mäusen können humane Tumore zum Wachsen gebracht werden, wo sie sich genau wie im Menschen verhalten.
Unbegrenztes Wachstum von Tumorzellen
Das Wachstumsvermögen von Melanomen und anderen Tumoren liegt in Bezug auf Zahl und Geschwindigkeit der Zellteilungen hinter der normaler Hautzellen, scheint aber in Summe unbegrenzt: So genannte onkogene Suppressorgene blockieren das Gen BCL2 und andere Erbfaktoren, die zum programmierten Zelltod führen.
Suche nach Täuschungsmanövern
Durch biochemisch täuschend ähnliche RNA wird versucht, die BCL2-blockierenden onkogenen Suppressorgene 'irrezuführen': zuerst auf zellulärer Ebene, im nächsten Schritt in Gewebekulturen.

Ob das geplante 'Täuschungsmanöver' im lebenden, komplexen Gesamtorganismus klappt, wird schließlich zuerst an tierischen Tumoren der Maus untersucht und anschließend an humanen Tumoren - bei den oben geschilderten SCID-Mäusen. Erst nach positivem Abschluss dieser Testreihen darf der Schritt zum menschlichen Patienten folgen.
Tierstudien führen schneller zu neuen Therapien
Neben der Entwicklung und Erprobung möglicher Therapieansätze dient die Arbeit mit Versuchstieren auch zur rascheren Implementierung innovativer Konzepte: Entsprechend unseren Ethikrichtlinien dürfen neue Therapien bei Patienten nur nach Ausschöpfung bisher bewährter Methoden eingesetzt werden.

Erweisen sie sich dort als überlegen, so dürfen sie auch in frühen Krankheitsstadien eingesetzt werden. Dieses ethische Postulat ist medizinisch nur die zweitbeste Lösung: Bekanntlich gilt der Grundsatz, dass Therapien umso effektiver sind, je früher sie eingesetzt werden.

In Studien am Tier können Erkenntnisse an frühen Krankheitsstadien gewonnen und neue Therapien daher früher nicht-vorbehandelten Patienten zugänglich gemacht werden.
Nährstoffversorgung des Tumors unterbinden
Die Nährstoffversorgung des Tumors zu unterbinden ist ein weiterer Forschungstrend beim Melanom: Lassen sich die Botenstoffe der Neoangiogenese erkennen und hemmen, wird der Tumor ausgehungert.

Zur Erzielung einer tumorselektiven Wirksamkeit wird dabei die Kombination anti-angiogener Substanzen - beispielsweise von Anti-VGEF (Vascular Growth Endothelial Faktor) - mit Zytostatika erforscht.

Auf erfolgreiche Versuche an Einzelzellen oder begrenztem Gewebe folgen Studien am lebenden Gesamtorganismus - zuerst am Tier -, um die Selektion auf den unmittelbaren Tumor zu überprüfen.
Metastasierung durch virale Mitbeteiligung?
Viel versprechend ist auch die recht neue Beobachtung, dass Melanompatienten das so genannte Melanoma Endoginous Retrovirus (abgekürzt MERV) aufweisen. Ob seine Anwesenheit Relevanz hat - vielleicht sogar kausal (mit)verantwortlich - oder ob es ganz harmlos ist, wird derzeit untersucht. Erste Hinweise zeigen jedenfalls Infektiosität.
Gewebekulturen metastasieren nicht
Sehr viele Untersuchungsschritte sind im so genannten Soft-Agar - also in Einzelzellen oder Gewebekulturen möglich. Doch nur im lebenden Gesamtorganismus lässt sich die alles entscheidende Frage beantworten, ob der Tumor unter seinem Einfluss metastasiert.

In Gewebekulturen können humane Melanozyten proliferieren und aggregieren, doch Gewebekulturen metastasieren nicht. Daher sind für die Beantwortung dieser Frage Studien an Tieren erforderlich.
Tierstudien möglichst schmerzfrei
Studien am Tier unterliegen einer besonderen gesetzlichen Genehmigungspflicht, Aufsicht und Kontrolle. Sie werden wie Eingriffe an Menschen unter sterilen Bedingungen, Narkose und Anästhesieverfahren durchgeführt.

Die Tiere werden stressfrei an die Versuchsbedingungen gewöhnt, wenn notwendig rund um die Uhr betreut und schmerzfrei gehalten.

Bei Auftreten von nicht behandelbaren Schmerzen und Leiden werden die Versuche abgebrochen und die Tiere durch eine Überdosis von Narkosemitteln schmerzfrei eingeschläfert.

[21.4.05]
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Über die Autoren
O. Prof. Dr. Klaus Wolff ist Emeritus an der Universitätsklinik für Dermatologie der Medizinischen Universität Wien. Dr. Susanne Krejsa ist Wissenschaftsjournalistin in Wien.
->   Universitätsklinik für Dermatologie, Allgemeine Dermatologie Wien
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01.01.2010