News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Mäuse auf "Knopfdruck" in Winterschlaf versetzt  
  US-amerikanischen Medizinern ist es gelungen, Mäuse innerhalb von fünf Minuten in einen künstlichen Winterschlaf sinken zu lassen. Dazu versetzten sie die Atemluft der Tiere mit Hydrogensulfid-Gas, woraufhin Atemfrequenz und Körpertemperatur absanken. Sollte dieses Experiment auch am Menschen gelingen, könnten sich neue Möglichkeiten in Notfallmedizin und Krebsbehandlung eröffnen.  
Übertragbarkeit auf Menschen?
Das Gas blockierte einen Teil der Sauerstoff-Rezeptoren und bewirkte damit bei den Tieren einen ohnmachtsähnlichen Zustand. Wurde die Atemluft vom Gas gereinigt, kamen die Mäuse wieder zu sich und zeigten keinerlei Schäden an Körper oder Verhalten.

Da der Mensch über das gleiche Rezeptorsystem verfügt, gehen die Wissenschaftler des Fred-Hutchinson-Krebsforschungszentrums in Seattle von einer prinzipiellen Übertragbarkeit des Versuchs aus.
...
Die Studienergebnisse sind in dem Artikel "H2S Induces a Suspended Animation-Like State in Mice" von Eric Blackstone, Mike Morrison und Mark Roth am 22. April 2005 im Fachmagazin "Science" erschienen (Band 308, S. 518, DOI:10.1126/science.1108581).
->   Science
...
Alle Säugetiere mit der Fähigkeit zum Winterschlaf?
"Im Grunde haben wir die warmblütigen Mäuse zu 'Kaltblütlern' gemacht, was genau der Verwandlung entspricht, die Tiere im Winterschlaf erleben", so Mark Roth, der leitende Wissenschaftler des Experiments, in einer Presseaussendung des Krebsforschungszentrums.

Er spricht von einer Fähigkeit zum Winterschlaf, die offensichtlich alle Säugetiere inklusive Mensch hätten, die aber von vielen nicht mehr genutzt wird.
Science-Fiction oder seriöse Forschung?
Obwohl die Vorstellung, einen Menschen künstlich in Winterschlaf zu versetzen, mehr nach einem Science-Fiction-Roman als nach seriöser Forschung klingt, weisen Roth und seine Kollegen auf zwei Vorfälle hin, bei denen extrem unterkühlte Menschen wiederbelebt werden konnten.
...
Körpertemperatur von rund 15 Grad überlebt
So lag im Mai 1999 eine norwegische Schifahrerin für mehr als eine Stunde im eiskalten Wasser. Als sie gerettet wurde, war sie klinisch tot: Sie hatten keinen Herzschlag und keine Atmung mehr, ihre Körpertemperatur betrug nur mehr knapp 14 Grad Celsius. Sie wurde wiederbelebt, sowohl Körper und Geist erholten sich gut von dem Unfall.

In die Schlagzeilen geriet auch Erika Nordby. Das 13 Monate alte Kind aus Kanada wurde nach einer eiskalten Nacht im Freien ohne Herzschlag und mit einer Körpertemperatur von 16,1 Grad Celsius gefunden. Auch sie wurde wiederbelebt und überstand den Vorfall ohne Schäden.
...
Mäuse reduzierten Atmung und Körpertemperatur
Um den Winterschlaf bei den Mäusen herbeizuführen, gingen die Wissenschaftler folgendermaßen vor: Sie mischten der Atemluft 80 ppm (Teile pro Million) Hydrogensulfid bei.

Innerhalb von fünf Minuten hörten die Tiere auf, sich zu bewegen, ihre Atemfrequenz fiel von 120 Atemzügen pro Minute auf nur mehr zehn und die Körpertemperatur sank von 37 auf elf Grad Celsius.

Wurde das Gas-Luft-Gemisch durch reine Luft ersetzt, kamen die Tiere wieder zu sich und wiesen keine Schäden an Körper oder Verhalten auf.
...
Schwefelwasserstoff natürlich im Körper vorhanden
Das Gas, das die US-Wissenschaftler für ihren Versuch verwendeten, ist in einer sehr geringen Konzentration sogar im menschlichen Körper vorhanden. Interessant für die Forschung ist Schwefelwasserstoff (Hydrogensulfid), weil seine molekulare Struktur jener des Sauerstoffs gleicht. Es kann über die gleichen Rezeptoren in die Zelle eindringen, bringt aber die Energieproduktion, bei der Sauerstoff verbraucht wird, zum Erliegen.

Bei geringen Dosen fällt der Organismus laut der nun vorliegenden Studie in den "Winterschlaf", höhere Dosen führen zu einem innerlichen Erstickungstod. Die sehr geringe Konzentration Hydrogensulfid im Körper sorgt unter anderem dafür, dass die Körpertemperatur stabil bleibt - egal, ob man sich in Alaska oder der Karibik befindet.
->   Mehr über Schwefelwasserstoff bei Wikipedia.de
...
Hohes Fieber mit Winterschlaf bekämpfen
Sollte sich das Experiment auf Menschen übertragen lassen, hoffen die Wissenschaftler auf neue Ansätze in der Notfallsmedizin und bei der Behandlung von Krebserkrankungen.

Bei extrem hohem Fieber mit unbekannter Ursache musste bisher der Befund aus dem Labor abgewartet werden, um die richtige Behandlung zu wählen. Trotzdem muss das Fieber auch in dieser kurzen Zeitspanne gesenkt werden, damit keine langfristigen Schäden eintreten - der künstliche Winterschlaf wäre eine Möglichkeit.
Krebstherapie: Gesunde Zellen widerstandsfähiger machen
Bei der Krebsbehandlung würde der künstliche Winterschlaf eine höhere Dosis bei der Strahlentherapie erlauben: Krebszellen sind nicht so stark von Sauerstoff abhängig wie gesunde Zellen, was sie auch gegen Bestrahlung und Chemotherapie resistenter macht. Könnte der Sauerstoffbedarf des gesunden Gewebes reduziert werden, würde es von der Therapie weniger geschädigt.

Hinsichtlich der Frage, ob tatsächlich einmal Menschen in einen Winterschlaf-ähnlichen Zustand versetzt werden, geben sich Mark Roth und seine Kollegen optimistisch: Innerhalb der nächsten fünf Jahre könnte es ihrer Meinung nach erste klinische Versuche geben.

[science.ORF.at, 22.4.05]
->   Fred Hutchinson Cancer Research Center (Seattle)
->   "Kühlmethode" gegen Schäden nach Herzstillstand (25.2.02)
Mehr zum Thema Winterschlaf in science.ORF.at:
->   Halbaffen halten Winterschlaf - bei größter Hitze (24.6.04)
->   Auch Rothirsche sparen im Winter Energie (5.3.04)
->   Alzheimer als fehlgeleiteter Winterschlaf? (17.12.03)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010