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Die UdSSR und Österreich in der Nachkriegszeit  
  Als Befreier vom Nationalsozialismus rückte die Rote Armee in Österreich 1945 ein, als Besatzer blieb sie bis 1955. 50 Jahre später geht dieser sensiblen Zeitspanne eine Konferenz nach, die erstmals gemeinsam von österreichischen und russischen Historikern veranstaltet wird. Vorab fasst Aleksandr Cubarjan, wissenschaftlicher Leiter der Konferenz und Historiker an der Russischen Akademie der Wissenschaften, den Stand der Forschung in einem Gastbeitrag zusammen.  
Sowjetisierung Österreichs nach 1945?
Von Aleksandr Cubarjan

Die Nachkriegspolitik der Sowjetunion wird gelegentlich anhand eines einfachen Schemas dargestellt: das Ziel - die Errichtung eines Gürtels von Satellitenstaaten; die Mittel - größtmögliche Unterstützung für die kommunistischen Parteien mit - gegebenenfalls auch gewaltsamer - Beseitigung ihrer politischen Konkurrenten, also eine "Sowjetisierung".

Allerdings lassen sich zumindest die Entwicklungen in zwei Staaten nicht in dieses Schema pressen. Der eine Staat ist Finnland, der andere Österreich. In beiden Fällen handelte es sich dabei um Staaten, die entweder direkt einen Teil des Aggressors darstellten (Österreich) oder zu einem von diesem angeführten Block zu zählen waren (Finnland).
Zusammenarbeit mit Westmächten und Gemäßigten
In beiden Fällen kam es dabei zu einem gewissen Maß an Zusammenarbeit der UdSSR mit Vertretern der Westmächte - eine Tatsache, die einseitigen Handlungen auf beiden Seiten bestimmte Grenzen setzte.

In beiden Fällen waren die wichtigsten Partner der sowjetischen Vertreter sowohl auf lokaler als auch auf höherer Ebene nicht die Kommunisten (mit denen man wohlgemerkt dennoch enge und überaus vertrauliche Kontakte unterhielt), sondern Politiker mit einer gemäßigten Weltanschauung, wie etwa Juho Paasikivi oder Urho Kekkonen auf finnischer bzw. Karl Renner, Julius Raab oder Bruno Kreisky auf österreichischer Seite.
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Internationale Konferenz ab 27. April
Die Konferenz "Die Rote Armee in Österreich" findet von 27.- 29. April 2005 auf dem Schloss Schallaburg statt und wird vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung (BIK), der Russischen Akademie der Wissenschaften, dem Land Niederösterreich und dem NÖ Institut für Landeskunde veranstaltet. Wissenschaftliche Leiter sind Aleksandr Cubarjan und Stefan Karner vom BIK.
->   Das Programm (pdf-Datei)
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Stalin: "Und womit hätten wir sie ernähren sollen?"
Worin liegen nun die Gründe für die "Sonderbehandlung" dieser beiden Staaten? Eine Rolle spielten natürlich geopolitische Erwägungen, Bewertungen historischer Erfahrungen und Beweggründe wirtschaftlicher Natur.

Bezüglich wirtschaftlicher Erwägungen sollte darauf hingewiesen werden, dass Stalin die Möglichkeiten der "sozialistischen" Wirtschaft, im Unterschied zu dem, was von der Propaganda verbreitet wurde, überaus skeptisch bewertete.

Im Zusammenhang damit genügt es, sich Stalins Reaktion auf die Aussagen Marschall Semen Budennyjs in Erinnerung zu rufen, der im Jahr 1945 sein Missfallen darüber zum Ausdruck brachte, dass die Sowjetische Armee ihren Vormarsch in Richtung Westen eingestellt und nicht ganz Europa unter ihre Kontrolle gebracht hatte.

Stalins Reaktion darauf beschränkte sich auf die nüchterne Bemerkung: "Und womit hätten wir sie ernähren sollen?"
Kritik an Österreichs Behörden, aber ...
In den Beständen des RGASPI, des früheren Parteiarchivs in Moskau, wird eine überaus interessante Quelle verwahrt, nämlich ein Stenogramm der im Mai 1948 anlässlich der Tätigkeit des sowjetischen Propagandaapparates in Österreich abgehaltenen Beratung der obersten Führung des Sowjetischen Teils des Alliierten Rates für Österreich.

Worum geht es in diesem Stenogramm? Es versteht sich, dass die Reden von Mitarbeitern und der Leiter der Abteilung für Propaganda des sowjetischen Besatzungsapparates - Generaloberst Vladimir Kurasov, Generalleutnant Aleksej Zeltov und des Vertreters des sowjetischen Außenministeriums Michail Koptelov - nicht gerade frei waren von an die österreichischen Behörden und führende Persönlichkeiten der Sozialistischen Partei und der Volkspartei gerichteten Vorwürfen.
... keine Installierung volksdemokratischer Strukturen
Es gibt auch einzelne Aussagen bezüglich einer "Stärkung der demokratischen Kräfte" u. Ä., doch wenn es um konkret praktische Schlussfolgerungen ging, wurde ein anderer Ton angeschlagen.

Man sprach dabei nicht von einer Installierung volksdemokratischer Strukturen in Österreich, sondern, ganz im Gegenteil, vielmehr von der "Gefahr", die Österreich für seine volksdemokratischen Nachbarstaaten (und nicht nur Nachbarstaaten) darstellen würde.
Propagandakrieg der Alliierten?
Eine solche Aussage ist etwa auch im Bericht des Leiters der Abteilung für Propaganda, Oberst Lev Dubrovickij, beinhaltet: "Warum ist es zu einer Verschärfung der Propaganda der Alliierten in Österreich gekommen? Die Sache liegt meiner Meinung nach darin begründet, dass Österreich von volksdemokratischen Staaten umgeben ist und unsere 'Alliierten' das Land als Fenster nutzen wollen, durch das sie ideologisch auf die volksdemokratischen Staaten Einfluss ausüben können.

An dieser Stelle können zwei Faktoren hervorgehoben werden: Die volksdemokratischen Staaten sind ehemalige Provinzen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und ein großer Teil ihrer Bevölkerung spricht deutsch. Auf diese Weise sickert die Propaganda der 'Alliierten' auch nach Rumänien, Polen, Ungarn, in die Tschechoslowakei und nach Jugoslawien ein. Zweitens verfügt die Propaganda der 'Alliierten' unter der österreichischen Bevölkerung und unter DPs über eine Unmenge an Mitarbeitern, die Einfluss auf gewisse Bevölkerungsschichten ausüben."
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Zwei Bücher zu "Die Rote Armee in Österreich"
Als Ergebnis eines dreijährigen Forschungsprojektes des BMBWK zur sowjetischen Besatzung Österreichs (Leitung: Stefan Karner, Koordination: Barbara Stelzl-Marx) liegen nun zwei Publikationen vor: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Beiträge und - gemeinsam mit Aleksandr Cubarjan - ein Dokumentenband mit mehr als 900 Seiten ehemals geheimer Akten (Verlag Oldenbourg; 24,80 Euro).
->   BIK
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"Bösartiger Einfluss" des besetzten Landes
Es bietet sich ein klares Bild des defensiven, sich verteidigenden Charakters der sowjetischen Propaganda in Österreich. Dabei ging es nicht um Stärkung des eigenen Einflusses in einem besetzten Land, sondern in erster Linie darum, wie man sich vom "bösartigen" Einfluss, der von einem besetzten Land ausging, schützen konnte.

Dazu stellt sich die Frage, inwieweit die alarmierende Einschätzung tatsächlich zutreffend war. Als Kuriosum kann die Tatsache angeführt werden, dass man zu den ehemals zu Österreich-Ungarn gehörenden Staaten auch Rumänien zählte, obwohl dieses Land niemals Teil der Doppelmonarchie war.
"Reaktionäres Lager" in Österreich ...
In der Rede des stellvertretenden politischen Beraters Koptelov wurden die Thesen Dubrovickijs einer scharfen Kritik unterzogen. Koptelov gefiel weder die Idee des Abschlusses eines sowjetisch-österreichischen Kulturabkommens noch die These, dass in Österreich der "Kapitalismus Fuß gefasst" hätte, noch die allgemeine Einstellung in Bezug auf die reale Lage in Österreich.

Es ist jedoch bezeichnend, dass sich der führende Exponent der sowjetischen Militäradministration, Generaloberst Vladimir Kurasov, bei seinen die Konferenz beschließenden Worten im Wesentlichen nicht mit Koptelov, sondern mit Dubrovickij solidarisierte, indem er anmerkte, dass "das Kräfteverhältnis, wie hier gesagt wurde, nicht günstig für uns erscheint. Das Lager der reaktionären Kräfte verfügt über größere Kräfte und Mittel als das Lager der Demokratie."
... machte auch ideologische Zensoren sehr defensiv
Es ist bemerkenswert, dass ans Ende dieser Aussage im Stenogramm ein Fragezeichen gesetzt wurde, mit dem ein für ideologische Belange zuständiger Zensor wohl offensichtlich seine persönliche Meinung zum Ausdruck bringen wollte.

Als ob er die Möglichkeit eines solchen Eingriffes vorausgesehen hätte, beendete Kurasov seine Rede und somit die Konferenz mit einem "kämpferischen" Aufruf: "Man hat dafür Sorge zu tragen, dass unsere Propaganda offensiv - ja nicht nur offensiv, sondern sogar letztendlich entscheidend werden möge."

Doch steht dieser letzte Aufruf in augenscheinlichem Widerspruch zur Grundaussage seiner Rede.

[27.4.05]
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Über den Autor
Aleksandr Cubarjan ist Leiter des Instituts für allgemeine Geschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau.
->   Russische Akademie der Wissenschaften
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->   Österreich ist frei (Schallaburg)
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Gedenkjahr 2005
In loser Folge erscheinen in science.ORF.at redaktionelle Texte und Gastbeiträge zu dem Schwerpunkt "Gedenkjahr 2005". Bisher erschienen:

Christian Fleck: Österreichs Unis nach 1945 "selbstprovinzialisiert" (25.4.05)
Barbara Stelzl-Marx: "Russenkinder" zwischen Tabuisierung und Stigmatisierung (22.4.05)
Fotos und Dokumente zur "Roten Armee in Österreich" (22.4.05)
Sieglinde Rosenberger: Geschichte als Projekt mit "Open End" (15.4.05)
Austrofaschismus: Politischer Wille zur Umgestaltung (7.4.05)
Michael John: Neo-Mythologisierung der Zeitgeschichte (18.3.05)
Materieller und geistiger Wiederaufbau Österreichs (16.3.05)
Siegfried Mattl: Beglaubigte Geschichte (9.3.05)
Die ursprünglichen Pläne von "25 Peaces" (28.1.05)
->   2005.orf.at
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01.01.2010