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TV-Comedies und ihre Frauenbilder  
  TV-Serien sagen oft eine ganze Menge aus über gesellschaftliche Veränderungen: Frauenfreundschaften stehen etwa im Mittelpunkt der beiden erfolgreichen Serien "Sex and the City" und "Desperate Housewives". Dass dahinter aber völlig konträre Geschlechterkonstruktionen und Botschaften stecken, meint der Soziologe Otto Penz in einem Gastbeitrag: auf der einen Seite ein aufgeklärter und urbaner Feminismus, auf der anderen eine neokonservative Familienideologie der Vorstadt.  
"Desperate Housewives" vs. "Sex and the City"
Von Otto Penz

Großes Vergnügen bereiten amerikanische Fernsehdramen immer dann, wenn sie am Puls der Zeit sind und sie sowohl akuten sozialen Veränderungen nachspüren als auch Lösungsmöglichkeiten anbieten, wie dieser Wandel auf befreiende Weise zu bewältigen ist.

Der Reiz besteht mit anderen Worten in der Personifizierung brisanter sozialer Problemlagen, die dem Massenpublikum (mehr als) geläufig sind, wobei die Charaktere Lebensstrategien erproben und anbieten, mit denen sich die Zuseherin und der Zuseher identifizieren kann.

Wie im alltäglichen Leben kommt es dabei zu Missverständnissen, Fehlschlägen und traurigen Ereignissen, während im Grunde regelmäßig die Tragfähigkeit der virtuellen Lebensentwürfe, welchen Herausforderungen sie auch immer ausgesetzt sein mögen, unter Beweis gestellt wird.
Welches Identifikationspotenzial ist vorhanden?
Konkret führt dies im Hinblick auf zwei höchst erfolgreiche Produktionen zum vordergründig gleichen Thema Frauenfreundschaft - "Sex and the City" und "Desperate Housewives" - zu einer Reihe offener Fragen, an welchen sich die unterschiedliche Botschaft der Serien erweist.

Auf welche Aspekte des sozialen Lebens rekurrieren die beiden Serien, und welche Konflikt- und Tabuzonen werden dabei angesprochen? Welches Identifikationspotential wohnt ihnen inne?

Vor allem aber stellt sich die Frage, ob diese Identifikationen ein aufklärerisches Moment beinhalten, im Sinne einer Anleitung zum Handeln jenseits traditioneller Geschlechterrollen und -stereotypen.
Moderne Urbanität vs. uniforme Vorstadt
Beide Fernsehserien spielen im gut situierten US-amerikanischen Milieu, wobei zwei Ausprägungen der oberen Mittelklasse vorgestellt werden, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: die eloquente, an Kunst und Kultur interessierte, hochmobile Szene urbaner Zentren im Gegensatz zum eher gemächlichen, uniformen und kulturell öden Alltag amerikanischer Vorstädte (die es in dieser Form in Österreich nicht gibt und die am ehesten mit Reihenhaussiedlungen am Rande von Ballungszentren oder Ferienhausagglomerationen vergleichbar sind).

Der situative Kontext bezeichnet Modernität und Weltoffenheit hie und Rückzug auf eine vormodern anmutende Eindimensionalität des intimen Lebens da, woraus sich letztlich die gesellschaftliche Brisanz der Problemstellungen ergibt, welche die Protagonistinnen zu lösen trachten.
"DH": Verzweifeltes Familienmodell der 50er Jahre
"Desperate Housewives" führt uns dabei auf mehr oder weniger amüsante Weise vor Augen, dass die suburbane Familienidylle eine trügerische ist und entlarvt gleichermaßen die Kernfamilie als Hort von Kränkungen und Konflikten wie die Kindererziehung als Belastungsprobe, womit der Plot auf das hegemoniale Familienmodell der fünfziger bis siebziger Jahre rückverweist, das längst seine normative Kraft verloren hat, wie die aktuelle Beziehungsvielfalt offenbart.
"SatC": Partnerschaft unter spätmodernen Bedingungen
Weit weniger atavistisch setzt sich "Sex and the City" mit dem Beziehungsthema auseinander, wo der grassierende Individualismus zur Debatte steht und (mit Ausnahme von Charlotte) jenseits des traditionellen Familialismus nach Wegen Ausschau gehalten wird, wie das gemeinsame Leben selbstständiger Persönlichkeiten, also eine Partnerschaft unter spätmodernen Bedingungen, funktionieren könnte.

Die Weltoffenheit wie Attraktivität von Carrie und ihren Freundinnen beruht im Wesentlichen auf deren professioneller Verankerung, zumal alle in Kreativberufen tätig sind. Die berufliche Praxis bildet das Zentrum ihrer Autonomie, die sich dem Serientitel gemäß v.a. auf sexuellem Gebiet (auf quasi männliche Weise besonders ausgeprägt bei Samantha) manifestiert.
Frauensolidarität vs. Identität durch Ehemann
Mindestens ebenso wichtig erscheint, dass die Lebenslust der Freundinnen von der Solidarität der Frauengruppe gespeist wird, abseits traditioneller Familienbande und losgelöst von der Instabilität der Männerbekanntschaften.

Demgegenüber leitet sich der soziale Status inklusive Eigenheim und Zweitwagen der "Desperate Housewives" (ebenfalls mit einer Ausnahme), wie in Versorgungsehen üblich, vom Ehemann her, und der zentrale Ort ihrer Identitätsstiftung ist die häusliche Gemeinschaft.
Konkurrenzsituation der Hausfrauen
Aus dieser Konstellation resultiert das Gegenteil von Frauensolidarität, nämlich eine latente Konkurrenzsituation der Hausfrauen, in der die alten Klischees - vom weiblichen Perfektionismus im Haushalt bis zur sexuellen Konkurrenz und ehelichen Untreue - zum Tragen kommen.

"Sex and the City" lädt also zur Identifikation mit einer Frauengruppe ein, welche die Chancen der urbanen Lebenswelt, mit allen damit verbundenen Risiken, für eine selbstbestimmte Lebensführung nützt, während "Desperate Housewives" die Abgründe hinter der kleinbürgerlichen Fassade der Suburbs offensichtlich macht und damit eine zynische Betrachtungsweise provoziert angesichts der Ausweglosigkeit aus der privaten Beschränktheit und Abhängigkeit.
Aufklärung vs. konservative Familienideologie
Im politischen Kontext versinnbildlichen die beiden Serien damit diametral entgegengesetzte Positionen. Carrie und Co. verkörpern die Erfolge der feministischen Aufklärung und modernen Frauenpolitik, während die Hausfrauenschicksale Sinnbild einer konservativen Familienpolitik sind, die in den letzten Jahren in den USA, aber auch in Österreich einen starken Aufschwung erfahren hat.

Bleibt im Sinne der Befreiung von alten Zwängen zu hoffen, dass die Verzweiflung der Hausfrauen auch Zweifel an der neokonservativen Familienideologie zu wecken imstande ist.

[2.5.05]
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Über den Autor
Otto Penz unterrichtet seit vielen Jahren Soziologie der Massenkommunikation an der Universität Calgary.
->   Department of Sociology, University of Calgary
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->   Desperate Housewives (tv.ORF.at)
->   Sex and the City (tv.ORF.at)
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Die nächsten beiden Folgen von Desperate Housewives und Sex and the City sind am 9. Mai in ORF 1 (ab 22.05 Uhr) zu sehen.
->   tv.ORF.at
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Weitere Beiträge von bzw. über Otto Penz in science.ORF.at:
->   Schönheit definiert sich kulturell (17.11.03)
->   Schönheit im Wandel der Geschichte (3.10.01)
 
 
 
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01.01.2010