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Prekäre Aussichten - prekarisierte Forscher  
  Prekäre Arbeitsverhältnisse greifen um sich: Wissenschaftler spielen bei diesem wirtschaftlichen Umwandlungsprozess seit Jahren eine ungewollte Vorreiterrolle. Geringe Entlohnung und eine verfehlte Förderungspolitik für alle Forscher, die keine institutionelle Bleibe gefunden haben, konstatiert die Historikerin Andrea Ellmeier von der IG Externe LektorInnen in einem Gastbeitrag - sie hält die Auswirkungen der Hochschulpolitik auf rund 5.000 freie Lehrbeauftragte in Österreich für eine "Verschleuderung von Wissenskapital".  
Die Verschleuderung von Wissenskapital
Von Andrea Ellmeier

In Österreich war der Begriff Prekarität bis vor kurzem im allgemeinen Sprachgebrauch noch recht wenig verbreitet, wenngleich ein Report der "IG Externe LektorInnen und freie WissenschafterInnen" bereits im Jahr 2000 für die Beschreibung gerade der freien WissenschaftlerInnen den Begriff "Prekarisierte" lanciert hatte.

Prekarisierte Intellektuelle sind - so Anne und Marie Rambach in dem Buch "Les intellos precaires", "Personen, die im kulturellen und intellektuellen Feld arbeiten und auf eine Art und Weise leben, die als unüblich gilt, ohne fixe Arbeit und ohne fixes Gehalt. Personen, die die Vorteile eines Berufs und der daraus sich ergebenden gesellschaftlichen Anerkennung genießen, ohne von dem Status, der sich normalerweise daraus ergibt, profitieren zu können".

Es handelt sich konkret um hochqualifizierte WissenschaftlerInnen, deren Qualifikation und soziales Prestige (verkörpert in akademischen Titeln wie Doktor, Habil: Doz., Prof.) in keinem Verhältnis zu ihren realen Lebensbedingungen - die oft überaus prekär sind - stehen.
->   IG LektorInnen 2000: "Zwischen Autonomie und Ausgrenzung" (pdf-Datei)
->   Franz Seifert über "Les intellos precaires" (9.12.02)
Immer weniger fixe Jobs
Die Situation des wissenschaftlichen und kulturellen Arbeitsmarkts hat sich in den letzten Jahren - wie auch der allgemeine Arbeitsmarkt - keinesfalls entspannt, sondern vielmehr weiter angespannt, zynisch gesprochen: auf einem recht schlechten Niveau eingependelt.

Immer weniger Vollarbeitsplätze, immer weniger fixe Jobs: meist Projektarbeit mit unbezahlten Vorlauf- und Nachbereitungszeiten, immer größere Unsicherheit der Auftragslage aufgrund zu geringer Forschungsbudgets, speziell im kultur- und sozialwissenschaftlichen Bereich.
Uni-Autonomie auf Kosten der Schwächsten
Die Autonomie der Universitäten geht auf Kosten der am schwächsten abgesicherten Gruppen: Im Lehrkörper sind das die externen LektorInnen (und freien WissenschaftlerInnen), deren Position sich in den letzten Jahren immer prekärer gestaltet - sei es in der Entlohnung, sei es durch eine aufgrund der finanziellen Engpässe zunehmend geringere Nachfrage seitens der Institute.

Die Schwächsten auf der anderen Seite sind die Studierenden, die zwar seit 2001 Studiengebühren bezahlen müssen, eine gute Studienbetreuung aber keinesfalls gewährleistet bekommen.
Rund 5.000 gering entlohnte Externe
Damit wird freilich das Arbeits- und Produktionsklima in Forschung und kreativer Wissenschaft von Tag zu Tag schlechter, prekärer. Die IG LektorInnen spricht von ungefähr 5.000 Lehrbeauftragten in Österreich, die sich rege am wissenschaftlichen Leben beteiligen, d.h. unentgeltlich Vorträge auf Konferenzen halten und Beiträge für wissenschaftliche Zeitschriften schreiben.

Sie tun dies, um Publikationen vorweisen und Lehraufträge und Forschungsprojekte bekommen zu können, müssen also vielerlei Arbeiten unentgeltlich oder gering entlohnt im Sinne einer "wissenschaftlichen Karriere" übernehmen, sind dann aber plötzlich zu alt für eine Antragstellung für ein Stipendium bzw. für einen Preis.
Überholte Forschungsförderung
"Damit ist ein grundsätzliches Problem angesprochen: Die Forschungsförderungspolitik orientiert sich an einem stringenten, traditionellen und institutionellen Karriereverlauf, der vielleicht vor 20 Jahren aktuell und 'normal' war. Die mit diesem Verständnis von WissenschaftlerInnenkarrieren einhergehende altersmäßige Limitierung läuft den realen Karriereverläufen von freien WissenschafterInnen diametral dagegen." (Margit Reiter, Vortrag bei der parlamentarischen Enquete "Frauen und Wissenschaft" am 11.4.2005 im Parlament in Wien). Frauen sind davon noch stärker betroffen als Männer.
->   Verband feministischer Wissenschafterinnen
Individuelle Schicksale - Resultate von Strukturen
Da Freie WissenschaftlerInnen zu unterschiedlichen Zeiten lehren, treffen sie sich nicht regelmäßig an ihrem Arbeitsplatz, der Universität, sondern arbeiten getrennt voneinander zu Hause: Die in Raum und Zeit derart partikularisierten WissensproduzentInnen von der Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens zu überzeugen, sie zu solidarisieren, war und ist das Anliegen der IG Externe LektorInnen bereits seit 1996, als es zu den ersten Universitätsbudgetkürzungen gekommen war.

Damit war auch gleich klar, dass davon die am wenigsten Abgesicherten am allermeisten betroffen sein werden: "Was als individuelles Schicksal erlebt wird - 15 und mehr Jahre zwischen prekären Arbeitsverhältnissen zu wechseln - ergibt sich notwendig aus Strukturen, in denen ein großer temporärer Arbeitsmarkt einem beständig kleiner werdenden Angebot an grundlagenfinanzierten Stellen gegenübersteht" (Günter Hefler in: MayDay-Zeitung. Supplement der Wiener Straßenzeitung Augustin, April 2005.)
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Protest mit positivem Ausgang
Welch positive Auswirkungen der Zusammenschluss von marginalisiert Beschäftigten haben kann, zeigt z.B. ein von vielen LektorInnen der historischen Institute der Universität Wien unterschriebener Protestbrief an die Studienprogrammleitung, den Dekan und Rektor im Februar 2005, in dem entschieden gegen die für das Sommersemester 2005 geplanten massiven Kürzungen der LektorInnnen-Gehälter (für zwei Wochenstunden - inklusive aller Vorbereitungs- und Nachbereitungsarbeiten, Sprechstunden, Betreuung - von 2.291,40 Euro auf 900 Euro für ein ganzes Semester) protestiert wurde. Der Protest war erfolgreich. Offen bleibt, wie die Entlohnung im Herbst 2005 aussehen bzw. wer dann überhaupt noch einen Lehrauftrag bekommen wird.
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Eine mögliche Realisierung: "WissenschaftlerInnenhaus"
Angekommen in einer Wirtschafts-Wissensgesellschaft ist es heute höchste Zeit, dass sich diese immer mehr werdenden "kulturellen ArbeitskraftunternehmerInnen" stärker für eine gemeinsame Vertretung ihrer Interessen engagieren.

Die IG Externe LektorInnen hat z.B. in diesem Sinne bereits im Jahr 2001 in einer Machbarkeitsstudie die Errichtung eines WissenschaftlerInnenhauses gefordert, das zunächst durch die Förderung der öffentlichen Hand ermöglicht und als genossenschaftliches Modell betrieben werden soll.
Intelligentes Konzept für die Verwertung von Wissenskapital
Das in seiner Struktur äußerst offen konzipierte Haus böte eine adäquate Möglichkeit für eine(n) intelligente(n Ausbau und) Nutzung des Wissens-Know-Hows einer bestens ausgebildeten, hoch motivierten, dennoch in prekären (Erwerbs-)Arbeitsverhältnissen lebenden Gruppe.

Ein WissenschaftlerInnenhaus bedeutet eine selbständige, "freie" Organisation der "freien ForscherInnen" und der Versuch einer bestmöglichen Aufbereitung ihrer Forschungsergebnisse durch ein verschiedenartiges Set an wissenschaftspolitischen Begleitmaßnahmen wie gemeinsame Infrastruktur, ein Wissenschaftsmanagement und PR - ein intelligentes Konzept für die Verwertung von Wissenskapital.

Die Europäisierung der politischen Aktionen gegen die rasante Zunahme von prekären Arbeitsverhältnissen am EuroMayDay ist eine gute Plattform für Allianzbildungen zwischen den unterschiedlichen Gruppen von Prekarisierten.

[29.4.05]
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Über die Autorin
Andrea Ellmeier ist Kulturwissenschafterin und Historikerin, Lehrbeauftragte an der Universität Wien sowie Vorstandsmitglied der IG Externe LektorInnen und Freie WissenschafterInnen.
->   IG Externe LektorInnen und freie WissenschafterInnen
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->   EuroMayDay
->   kulturrisse 02-05: EuroMayDay 05
->   Machbarkeitsstudie "WissenschafterInnenhaus", Wien 2001 (pdf-Datei)
->   Andrea Ellmeier: Prekäre Arbeitsverhältnisse für alle? (IG Kultur)
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Neue Selbstständigkeit: "Prekariat" verändert die Welt (29.4.05)
->   Bologna-Prozess: Wohin führen die Uni-Reformen? (10.11.04)
 
 
 
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01.01.2010