News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Methusalem-Wurm in freier Natur kurzlebig  
  Bei der Suche nach den genetischen Ursachen der Alterung sind Forscher vor mehr als zehn Jahren auf eine "Methusalem-Mutante" gestoßen. Der Träger dieser Mutation, ein Fadenwurm, wurde berühmt, weil er doppelt so lang lebte wie seine Artgenossen. Aktuelle Versuche zeigen nun, dass das allerdings nur für Laborbedingungen gilt. Im natürlichen Lebensraum ist die Mutation sogar kontraproduktiv: Dort verkürzt sie die Lebenserwartung.  
Dies habe wichtige Konsequenzen für die Interpretation genetischer Studien, wie Wayne A. Van Voorhies und Kollegen von der New Mexico State University berichten.
...
Die Studie "The longevity of Caenorhabditis elegans in soil" von Wayne A. Van Voorhies et al. erscheint im Fachjournal "Proceedings of the Royal Society: Biology Letters" (doi:10.1038/rsbl.2004.0278).
->   Zum Artikel (sobald online)
...
Ein Tier als Modell

Die Ursachen des Alterns sind vielfältig, eine wichtige Rolle spielen dabei ohne Zweifel die Erbanlagen. Den Großteil des Wissens darüber bezieht man aus Versuchen mit den drei liebsten "Haustieren" der Molekularbiologen: Hefe, Fruchtfliege und Fadenwurm (Caenorhabditis elegans).

Letzterer ist besonders beliebt: Er lässt sich ohne großen Aufwand züchten und besitzt eine konstante Zahl von Körperzellen, nämlich exakt 959. Vollends zum idealen Modellorganismus wird der gar nicht so fade Wurm durch sein Erbgut. Er weist mit rund 18.000 Erbfaktoren ein relativ umfangreiches Genom auf (zum Vergleich: beim Menschen sind es höchstens 30.000).

Außerdem finden sich darunter erstaunlich viele verwandte Varianten, die auch Homo sapiens in seinen Zellkernen von trägt. Kein Wunder also, dass Caenorhabditis elegans zum Liebkind der genetischen Altersforschung avancierte.
->   Caenorhabditis elegans WWW Server
Suche nach Alterungs-Genen
Seit 1998 das Erbgut des ein Millimeter kleinen Tieres komplett sequenziert wurde, hat man eine Reihe von Alterungs-Genen gefunden. Zwei Gruppen davon - sinniger Weise als clock- und age-Gene bezeichnet - greifen etwa in den Stoffwechsel der Antioxidantien ein und regeln somit den Schutz vor schädlichen Radikalen.

Besonders prominent ist das so genannte daf-2-Gen, das die Herstellung eines Moleküls aus der Familie der Insulin-Rezeptoren steuert.

Dieses dürfte bei so ziemlich allen wichtigen biologischen Vorgängen die Finger im Spiel haben: daf-2 wird für die Larvalentwicklung, die Fortpflanzung und den Fettstoffwechsel benötigt, hat mit der der Verarbeitung von Stress zu tun, und nicht zuletzt: Es spielt eine Schlüsselrolle bei der Festlegung der Lebensspanne.
->   Mehr zu daf-2 bei Wikipedia
Mutation verlängert Leben
Das weiß man seit dem Jahr 1993. Damals berichteten US-Forscher von Fadenwürmern mit einer daf-2-Mutation, die genau doppelt so lange wie ihre Artgenossen lebten (Nature 366, S. 461).

Warum, ist bis heute nicht ganz klar. Man vermutet aber, dass die Mutanten entweder einen verlangsamten Stoffwechsel aufweisen oder - wahrscheinlicher - einfach besser mit oxidativem Stress zu Rande kommen (Nature 408, S.258).
Das verflixte Kleingedruckte
Den Stein der Weisen (und Alten) dürften man mit den daf-2-Genen dennoch nicht gefunden haben, wie nun eine Veröffentlichung von US-Forschern nahe legt. Denn in den bisherigen genetischen Studien hat man offenbar dem Kleingedruckten der Rubrik "Materials and Methods" zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet.
Einfluss des Lebensraumes
Fadenwürmer werden für gewöhnlich in Agar-Schalen gezüchtet, in denen sie sich an Bakterien gütlich tun. In der freien Natur leben sie hingegen im Boden gemäßigter Klimazonen.

Genau an diesem Punkt begannen nun Wayne A. Van Voorhies und Kollegen von der New Mexico State University nachzufragen: Inwieweit beeinflusst eigentlich der Lebensraum das maximale Höchstalter von C. elegans?

Zunächst wenig überraschend das erste Ergebnis: Im Boden ist das Leben offenbar beschwerlicher als unter Laborbedingungen. Während Fadenwürmer im wohl temperierten Nähragar im Durchschnitt 12 Tage alt werden, segnen sie im natürlicheren Lebensraum schon nach einem Tag das Zeitliche.
Im Boden Schluss mit Lustig
Aufschlussreich war das zweite Experiment, bei dem das Team um Van Voorhies die daf-2-Mutanten mit dem Wildtyp (also unmutierten Fadenwürmern) verglich. Das Ergebnis: Unter Laborbedingungen lebten die Methusalem-Mutanten wie erwartet rund doppelt so lang, nämlich 27 Tage.

Im Boden hauchten sie hingegen bereits nach 0,8 Tagen ihr Leben aus. Mit anderen Worten, unter diesen Bedingungen erwies sich der Wildtyp als die beständigere Variante und die daf-2-Mutation sogar als lebensverkürzend.
Studien neu zu interpretieren
Dieser Befund zeigt, dass Mutationen selten per se das Leben verlängern, sondern stark von der Wechselwirkung zwischen Umwelt und Genotyp abhängen. Das gilt zumal, wenn man Studien an Modellorganismen auf andere Lebewesen - wie etwa den Menschen - umlegen will.

Van Voorhies und seine Kollegen drücken das in ihrer Veröffentlichung sehr vorsichtig aus: "C. elegans bleibt ein wertvoller Organismus für die Untersuchung der Alterung. Wenn man die Ergebnisse solcher Studien interpretiert, ist es aber entscheidend, dessen natürliche Lebensweise zu berücksichtigen."

Robert Czepel, science.ORF.at, 4.5.05
->   New Mexico State University
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Forscher verspricht "tausend Jahre Leben" (6.12.04)
->   Stress lässt Zellen altern (30.11.04)
->   Zellkraftwerke lösen Alterung aus (27.5.04)
->   Gen-Trick versechsfacht das Leben von Würmern (23.10.03)
->   Yoga-Effekt beschert Würmern längeres Leben (5.9.03)
->   Wissenschaftler entdecken ein "Alterungs-Gen" (27.12.02)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010