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Neues Buch über das "Russendenkmal"  
  Als Befreiungs- und Gedenkmal für die Opfer der Sowjetarmee im Kampf gegen den Nationalsozialismus wurde es errichtet. Die Österreicher haben es schnell zum "Russendenkmal" abgewertet.  
Dem beinahe in Vergessenheit geratenen Monument in Wien geht ein soeben erschienenes Buch nach - und gewinnt ihm im Gedenkjahr 2005 neue Aspekte ab.
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Marschik/Spitaler (Hg.): Das Wiener Russendenkmal. Verlag Turia und Kant, Wien 2005.
->   Mehr über das Buch (Turia und Kant)
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Stalinbarock, das "stört"
Bild: science.ORF.at/lw
Wer von der Ringstraße in Wien auf den Schwarzenbergplatz schwenkt, der könnte auf ein Sinnbild der Verbindung von Monarchie und Republik blicken, schreiben die Herausgeber und Kulturwissenschaftler Matthias Marschik und Georg Spitaler: im Vordergrund das 1867 errichtete Denkmal für Feldherrn Karl Philipp Fürst Schwarzenberg, dann der 1873 eröffnete Hochstrahlbrunnen, dahinter das Schloss Belvedere, in dem 1955 der Abschluss des österreichischen Staatsvertrags verkündet wurde.

Könnte, denn dazwischen "stört" das "Russendenkmal": Auf einem 20 Meter hoher Sockel steht ein zwölf Meter hoher Soldat, dahinter acht Meter hohe, abgerundete Balustraden mit 26 Säulen, die den Soldaten abgrenzen; ein Denkmal des sozialistischen Realismus, "despektierlich-treffend" auch "Stalinbarock" genannt, wie es der Architekturtheoretiker Jan Tabor beschreibt.
Erstes Bauwerk der Zweiten Republik
15 Tonnen Bronze und 300 Quadratmeter verschiedenartiger Marmor sind für dieses "erste Bauwerk der Zweiten Republik" (Erich Klein) verwendet worden. Wie kaum eines danach wurde es in enormer Geschwindigkeit fertig gestellt: enthüllt am 19. August 1945 nach nur wenigen Monaten Planungs- und drei Monaten Bauzeit.

Über den Tag der Enthüllung selbst gibt es unterschiedliche Angaben: Während einige Zeitungen von Tausenden Wienern berichten, die dem feierlichen Akt samt Wiedererrichtung des Hochstrahlbrunnens beiwohnten, sind auf den historischen Fotos weit weniger Menschen zu erkennen.
Renner und Figl danken der Roten Armee
 
Bild: science.ORF.at/lw

Faktum ist: Für die provisorische - und noch nicht von allen Besatzungsmächten anerkannte - Staatsregierung war die Eröffnung ein wichtiger Moment, um öffentlich Stellung zu beziehen.

Kanzler Karl Renner rühmte die "heilige Opferbereitschaft der Sowjetsoldaten und die meisterhafte Führung ihres Generalissimus Joseph Stalin", die das "fluchwürdige Regime des völkerversklavenden Faschismus vernichtet" hätten. "Die ganze Menschheit ist in ihrer Schuld. Ehre ihrem Angedenken!", so Renner.

Der damalige Staatssekretär Leopold Figl schloss sich dem mit weniger emphatischen, aber inhaltsgleichen Worten an: "Wenn wir heute als freie Menschen wieder ein freies Wort reden dürfen, so danken wir dies in der österreichischen Volkspartei den alliierten Mächten, hier besonders der siegreichen Roten Armee."

Was Georg Spitaler in der Analyse der Politikerreden besonders auffällt sind die Leerstellen - etwa, dass kein Wort über die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus fällt.
Aus der Befreiung wird die "Befreiung"
Was nach der Eröffnung passiert ist, ist bekannt: Aus dem Befreiungsdenkmal wurde schnell das "Befreiungsdenkmal" unter Anführungszeichen - denn das "Volk weiß, dass es mit Deutschland im Krieg unterlegen ist", wie es der Schriftsteller Jean Amery ausdrückte - bzw. das "Russendenkmal".

Und dies teilte das Schicksal anderer Gedenkstätten, die "einmal errichtet ..., gleichsam unsichtbar werden und aus der Wahrnehmung ihrer Adressaten verschwinden - insbesondere was deren Widmung und konkrete Bedeutung angeht," so die Politologin Karin Liebhart in ihrem Buchbeitrag.

Im besten Fall kann man das eine "Laissez-faire-Mentalität" (Marschik/Spitaler) der Österreicher im Umgang mit diesem Gedächtnisort nennen.
Die Hauptinschrift des Mahnmals
Was hat es nun auf sich mit der "konkreten Bedeutung"? Die Hauptinschrift des Mahnmals auf Kyrillisch lautet: "Ewigen Ruhm den sowjetischen Soldaten, die im Kampf gegen die deutsch-faschistischen Besatzer für die Befreiung und Unabhängigkeit der Völker Europas gefallen sind".

In einer "entschärften Fassung" wurde in den 70er Jahren auf Deutsch ergänzt: "Denkmal zu Ehren der Soldaten der Sowjet-Armee, die für die Befreiung Österreichs vom Faschismus gefallen sind".
Nobel selbstbezogen
Bild: science.ORF.at/lw
Jan Tabor nennt es deshalb ein "überaus nobel selbstbezogenes Denkmal": Es wendet sich an die Sowjets und nicht an die Österreicher, es macht keine Vorwürfe und rechnet nicht ab - was nach zig Millionen im Krieg gegen die Nationalsozialisten durchaus nachzuvollziehen wäre.

Aber im Gegenteil: "Das Wiener Befreiungsdenkmal ehrt sowjetische Gefallene, feiert die Befreiung Österreichs und bescheinigt Österreichs Unschuld", so Tabor.

Es ist ein kriegerisches Denkmal, aber zugleich "auch ein Mahnmal des Friedens, denn der Soldat hat seine Waffen niedergelegt, sein Schild abgestellt" (Marschik/Spitaler).
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Drei Kriminalfälle nach 1945
Dass nicht alle Waffen nach 1945 am Schwarzenbergplatz gestreckt wurden, beweist der Beitrag des Historikers Rudolf Jerabek, der drei Kriminalfällen nachgeht. Der erste ereignete sich 1947, als eine "Werwolfgruppe" von ein paar Jugendlichen damit prahlte, ein Attentat gegen das Denkmal am Stalinplatz durchzuführen.

Handfester dann schon der "Mordfall Ilona Faber" im Jahr 1958 - in einem aufsehen erregenden Indizienprozess wurde danach ein damals Verdächtigter Unterstandsloser freigesprochen. Und schließlich die "Höllenmaschine" aus dem August 1962 - fünf Kilogramm Sprengstoff, die nicht explodierten - hinterlassen von jungen italienischen Neofaschisten in der Zeit der "Südtirolbumser".
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"Russendenkmal": Stimmt und stimmt nicht
Der Architekturtheoretiker Jan Tabor macht im vielleicht lesenswertesten Beitrag des Buches auf einen weiteren Punkt aufmerksam: Das oft abwertend "Russendenkmal" Genannte stimmt - und es stimmt auch wieder nicht. Es stimmt, weil alle Inschriften auf Russisch in kyrillischen Buchstaben verfasst sind.

Es stimmt aber nicht, "weil unter den Gefallenen Männer vieler Nationalitäten waren". Und schließlich waren es mit dem Bildhauer Michail Intisarjan, dem Ingenieur Michail Scheinfeld und dem Architekten Major Jakowlew "ein Armenier, ein Ukrainer jüdischer Herkunft und ein Russe, die das 'Russendenkmal' errichtet haben".

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 6.5.05
->   Das Russendenkmal in aeiou
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Gedenkjahr 2005
In loser Folge erscheinen in science.ORF.at redaktionelle Texte und Gastbeiträge zu dem Schwerpunkt "Gedenkjahr 2005". Bisher erschienen:

Peter Filzmaier: Opferkult und Neutralität als Geschichtsmythen in Österreich (2.5.05)
Aleksandr Cubarjan: Die UdSSR und Österreich in der Nachkriegszeit (27.4.05)
Christian Fleck: Österreichs Unis nach 1945 "selbstprovinzialisiert" (25.4.05)
Barbara Stelzl-Marx: "Russenkinder" zwischen Tabuisierung und Stigmatisierung (22.4.05)
Fotos und Dokumente zur "Roten Armee in Österreich" (22.4.05)
Sieglinde Rosenberger: Geschichte als Projekt mit "Open End" (15.4.05)
Otto Urban: Vor 65 Jahren "endgültige" Liquidierung Österreichs (30.3.05)
Michael John: Neo-Mythologisierung der Zeitgeschichte (18.3.05)
Materieller und geistiger Wiederaufbau Österreichs (16.3.05)
->   2005.orf.at
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01.01.2010