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"Kurzvertrag": Episode der Staatvertragsverhandlungen  
  Zehn Jahre dauerte es von der Befreiung vom Nationalsozialismus durch die alliierten Truppen bis zum Abschluss des Staatsvertrags. Eine "Episode der Diplomatiegeschichte" betrifft den so genannten "Kurzvertrag" von 1952. Wie der Historiker Günter Bischof von der University of New Orleans in einem Gastbeitrag schreibt, war er Teil der amerikanischen Propaganda im Kalten Krieg - die Verzögerungen bis zur Unterzeichnung des Staatsvertrags erwiesen sich für Österreich aber als durchaus positiv.  
US-Propagandaoffenisve im Kalten Krieg
Von Günter Bischof

Für den Historiker sind auch die Momente in der Geschichte wichtig, die nicht von Erfolg gekrönt worden sind, wie etwa die "Kurzvertragsepisode" von 1952, die neues Leben in die Staatvertragsverhandlungen hätte einhauchen sollen. Wie kam es zu diesem kaum bekannten Kapitel der langen achtjährigen Staatsvertragsverhandlungen?

Am 13. März 1953 deponierten die Westmächte eine Note im Moskauer Außenministerium, in der ein neuer Entwurf des Staatsvertrags zur Wiederaufnahme der im Koreakrieg stillgelegten Verhandlungen zur Diskussion gestellt wurde.

In diesem von den Amerikanern initiierten so genannten "Kurzvertrag" wurden die 59 Artikel und zehn Annexe des "langen" Staatsvertragsentwurfes von 1949 auf ganze zehn Artikel zusammengestaucht.

Die Amerikaner hofften damit die Verhandlungen auf der Deputiertenebene, die seit Mai 1950 stillstanden, wieder in Schuss zu bringen. Die westliche Kurzvertragsinitiative war aber von Anfang an auf dem Holzweg, wurde sie doch von den Kommunisten in Wien und Moskau als "Skelettvertrag" denunziert.
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Günter Bischof hält einen Vortrag zur amerikanischen Vertragsdiplomatie auf der internationalen Tagung zum Staatsvertrag, die die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) von 8. bis 11 Mai in Wien veranstaltet.
->   Programm (pdf-Datei; ÖAW)
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Ein Argument im Kalten Krieg
Den Diplomaten im amerikanischen State Department - allen voran dem Österreichexperten Francis Williamson - ging es mit diesem neuen Staatvertrags-Entwurf um zwei Dinge: Sie hofften erstens dem österreichischen Volk wieder psychologischen Aufwind zu geben, waren die Österreicher doch über die halbe Ewigkeit und den neuerlichen Stillstand der Verhandlungen seit längerem äußerst deprimiert.

Washington wollte zudem zweitens in den anhaltenden Propagandaschlachten des Kalten Krieges (der in Korea "heiß" war), dem Kreml die Schuld über den Stillstand in den Österreichvertrags-Verhandlungen in die Schuhe schieben.
"Positionen der Stärke"
Außenminister Dean Acheson klagte über "lost memomentum" und versuchte bereits seit 1950 "die Initiative" im Kalten Krieg zurückzugewinnen und in laufenden deutschen, japanischen und österreichischen Friedensvertragsverhandlungen "aus Positionen der Stärke" verhandeln zu können.

Diese Position wurde auch ins grundlegende Memorandum # 68 des Nationalen Sicherheitsrates geschrieben, das den Kalten Krieg grundlegend militarisierte und gefährlicher machte.
Aufbau von heimischen Sicherheitskräften
Im Zuge der "Militarisierung" des Kalten Krieges nach dem Prager Putsch im Februar 1948 und der Berlinkrise (1948/49) dominierte das amerikanische Verteidigungsministerium zunehmend die westliche Positionierung im Österreichvertrag.

Die Pentagon-Agenda war eine versteckte, die an der Öffentlichkeit damals nicht bekannt war. Der amerikanische Hochkommissar in Wien General Geoffrey Keyes bestand darauf, dass kein Österreichvertrag unterzeichnet werden würde, solange nicht genügend heimische Sicherheitskräfte ausgebildet waren.

Diese sollten einem hausgemachten kommunistischen Putschversuch "a la Prague" der Subversion Paroli bieten könnten. Nach dem so genannten "Putschversuch" vom Herbst 1950 begann dann auch die Ausbildung der heimischen "B-Gendarmerie", der "Kern" einer zukünftigen österreichischen Armee, zügig, sowie zahlreiche andere geheimen Remilitarisierungsanstrengungen in den österreichischen Westzonen.
Skepsis von Franzosen und Briten gegen US-Vorschlag
Als sich im September 1951 die westlichen Außenminister in Washington trafen, um über die westlichen Positionen bei den Waffenstillstandsverhandlungen im Koreakrieg und der deutschen Wiederbewaffnung zu beraten, zündete Acheson die Bombe eines Kurzvertrages für Österreich.

Die britischen und französischen Außenminister waren entsetzt und das Wiener Außenministerium ebenso. Die Sowjets würden kaum auf der Grundlage eines Vertragsentwurfs verhandeln, bei dem die Frage des so genannten "Deutschen Eigentums" gänzlich weggelassen würde. Seit 1948 hatte der Kreml doch grundsätzlich einer Entschädigung für die Rückgabe dieses "Deutschen Eigentums" an Österreich in der Höhe von 150 Millionen Dollar zugestimmt.

Stalin und Molotov würden kaum einem Vertrag zustimmen, in dem diese sowjetische "Reparationsforderung" nicht befriedigt würden, darüber waren sich die Außenminister Anthony Eden und Gruber sicher. Die Franzosen beharrten zusätzliche auf einem "Anschlussverbot", das ebenfalls nicht im neuen amerikanischen Vertragstext vorkam.
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Radio-Hinweis
Auch die Ö1-Dimensionen widmen sich der ÖAW-Konferenz zum Staatsvertrag: Mittwoch, 11. Mai, 19.05 Uhr, Radio Österreich 1.
->   Österreich 1
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"Reine Propaganda"
Francis Williamson hatte bereits im Mai 1950 im grundsätzlichen Memorandum des Nationalen Sicherheitsrates zu Österreich (NSC-38/6) den Entwurf einer "Viermächteerklärung" deponiert, die die Initiative in der Österreichfrage auf der Seite des Westens behalten wollte, indem der "den Sowjets die Schuld für das andauernde Ausbleiben eines Vertrages in die Schuhe" geschoben würde.

Dieser "Williamson-Plan" stellte den eigentlichen Ursprung von Achesons Kurzvertragsinitiative des Herbstes 1951 dar. Williamson und dem State Department war es klar, das der Kurzvertrag eine "reine Propagandasache" sein würde.
Brüchige westliche Einheitsfront
Williamson drängte Acheson zum Vorlegen des Kurzvertragesentwurfs in Moskau - den Gruber unflätig ein "Evakuierungsinstrument" nannte - , obwohl die Briten und Franzosen auf eine Wiederaufnahme der Staatvertragsverhandlungen im Jänner 1952 auf der Grundlage des älteren langen Vertragsentwurfes beharrten.

Um überhaupt den Schein einer brüchige westliche Einheitsfront in der Vertragsdiplomatie zu wahren, stimmten die widerwilligen Amerikaner einer Wiederaufnahme der Deputiertenverhandlungen in London auf Grundlage des alten Vertragstextes zu.

Als der sowjetische Deputierte sich aber weigerte, überhaupt an den Verhandlungen teilzunehmen, drückten die Amerikaner endgültig bei ihren Alliierten und den Österreicher das Vorlegen des Kurzvertrages als das neue Verhandlungsinstrument durch.
In McCarthy-Ära kaum Chance auf Abschluss
Dies war auch die Zeit, als Stimmen des Pentagon im National Sicherheitsrat laut wurden, dass überhaupt kein Österreichvertrag unterzeichnet werden dürfte, solange das Land nicht irgendwie in die westlichen Verteidigungspläne integriert werden würde.

Außenminister Acheson war auch vollkommen klar, dass im Zeitalter der Kommunistenhatz in Washington ("McCarthyismus") selbst bei einem Durchbruch in den Verhandlungen, wohl kaum ein Österreichvertrag im Senat ratifiziert werden würde.
Versuch, Zeit zu gewinnen
Mit der Vorlage des Kurzvertragsentwurfes als neue Verhandlungsgrundlage auf der diplomatischen Bühne hofften die Amerikaner Zeit zu gewinnen, um die Remilitarisierung Österreichs, Deutschlands, und Westeuropas voranzutreiben.

Gleichzeitig wollten sie den Österreichern die Hoffnung geben, das das Anliegen ihre endgültige Freiheit zu erlangen, trotz anhaltender Besatzung des Landes im Westen nicht vergessen werden würde, obwohl am 10. März 1952, drei Tage vor Deponierung des Kurzvertragsentwurfs in Moskau, Stalin mit seiner Note zur Wiedervereinigung und Neutralisierung Deutschlands die internationale Bühne total in Beschlag nahm.

Wieder einmal wurde eine Lösung des Österreichproblems von der "Deutschen Frage" überschattet.
Verzögerungen gar nicht so schlecht für Österreich
Aus der größeren Perspektive der Historiographie zu den Staatsvertragsverhandlungen müssen wir uns aber endlich von der traditionellen Vorstellung trennen, dass immer nur die bösen Sowjets die Unterzeichung des Vertrages verhinderten.

In der Phase der "Militarisierung des Kalten Krieges" auch in Österreich nach 1948, trifft die Amerikaner soviel Schuld in der Verzögerung des Vertragsabschlusses wie den Kreml.

Der Verbleib der westlichen Besatzungsmächte bis 1955 war aber vielleicht gar nicht so schlecht für Österreich, garantierte sie doch die grundlegende politische (unbedingte Erhaltung der "Großen Koalition") und wirtschaftliche (mittels Marshall Plan) Stabilisierung des Landes, während die Diplomaten endlos verhandelten.
Episode der Diplomatiegeschichte
Im Herbst 1953 zog die neue Eisenhower Administration den totgeborenen Kurzvertragsentwurf ohne großes Aufsehen zurück. Der Kurzvertrag blieb Episode der Diplomatiegeschichte.

Als nach Stalins Tod (März 1953) und auf Grund der Veränderungen im Kreml der Staatsvertrag 1955 auf Grundlage des überarbeiteten alten Vertragsentwurfes von 1949 endlich unterzeichnet wurde, war Österreich ausreichend gefestigt für Unabhängigkeit und Freiheit, nicht zuletzt auch weil die "geheime Wiederbewaffnung" in den Westzonen, den Kern des zukünftigen Bundesheeres geschaffen hatte.

[9.5.05]
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Über den Autor
Günter Bischof ist Professor für amerikanische Geschichte, Direktor des CenterAustria, und interimistischer Leiter des Eisenhower Center for American Studies an der Universität von New Orleans. Im Laufe des Frühjahrs 2005 hält er Vorträge auf Staatsvertragssymposien in New Orleans, Minneapolis, Ottawa, Budapest und Andelsbuch (Vlbg.)
->   CenterAustria, Universität New Orleans
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Gedenkjahr 2005
In loser Folge erscheinen in science.ORF.at redaktionelle Texte und Gastbeiträge zu dem Schwerpunkt "Gedenkjahr 2005". Bisher erschienen:

Wolfgang Mueller: 50 Jahre Staatsvertrag: Der Blick der Sowjetunion (6.5.05)
Neues Buch über das "Russendenkmal" in Wien (6.5.05)
Peter Filzmaier: Opferkult und Neutralität als Geschichtsmythen in Österreich (2.5.05)
Ausstellung über Zwangsprostitution im KZ (2.5.05)
Aleksandr Cubarjan: Die UdSSR und Österreich in der Nachkriegszeit (27.4.05)
Christian Fleck: Österreichs Unis nach 1945 "selbstprovinzialisiert" (25.4.05)
Barbara Stelzl-Marx: "Russenkinder" zwischen Tabuisierung und Stigmatisierung (22.4.05)
Fotos und Dokumente zur "Roten Armee in Österreich" (22.4.05)
Sieglinde Rosenberger: Geschichte als Projekt mit "Open End" (15.4.05)
Michael John: Neo-Mythologisierung der Zeitgeschichte (18.3.05)
Siegfried Mattl: Beglaubigte Geschichte (9.3.05)
->   2005.orf.at
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01.01.2010