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Affen interpretieren Roboterarm als "eigenen"  
  Vor zwei Jahren berichteten US-Neurowissenschaftler von den ersten Versuchsaffen, die über Elektroden im Gehirn einen Roboterarm steuern konnten. Wie sich nun herausgestellt hat, hatten die Tiere nicht nur gelernt, mit dem Werkzeug sinnvoll umzugehen - ihr Hirn hat sich derart verändert, dass es den Roboterarm als Teil des eigenen Körpers interpretierte.  
Darauf lässt die genaue Auswertung der neurologischen Daten schließen, die ein Team um den Neurobiologen Miguel Nicolelis von der Duke University im "Journal of Neuroscience" veröffentlicht hat.

Wie die Universität in einer Aussendung schreibt, hat das nicht nur Auswirkungen auf unser Verständnis von der außerordentlichen Adaptionsfähigkeit von Primatengehirnen. Auch potenzielle klinische Anwendungen - neue Werkzeuge für gelähmte Unfallopfer - könnten davon profitieren.
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Die Studie "Cortical Ensemble Adaptation to Represent Velocity of an Artificial Actuator Controlled by a Brain-Machine Interface " ist im "Journal of Neuroscience" (Bd. 25, S. 4681; Ausgabe vom 11.5.05 erschienen).
->   Abstract im "Journal of Neuroscience"
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Computerspiel per Gedankenkontrolle
Die neuen Ergebnisse basieren auf Forschungsresultaten aus dem Jahr 2003. Damals berichteten Nicolelis und sein Team von Affen, die erstmals ausschließlich über im Gehirn eingepflanzte Elektroden den Arm eines Roboters steuern konnten.

Zwei Versuchstiere hatten ihre eigenen Arme nicht mehr benutzt und ein Computerspiel nur mit Hilfe der Roboterarme gespielt.
Signale werden in Bewegung übersetzt
Einem Affen wurden der in "PLoS Biology" veröffentlichten Studie zufolge knapp hundert und einem zweiten mehr als 300 Elektroden in die Bereiche des Gehirns eingepflanzt, die für Muskelbefehle zuständig sind.

Die eingepflanzten Mikroelektroden sind kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haares. Sie empfangen die Signale, die bestimmten Bewegungen entsprechen, und übertragen sie auf ein speziell entwickeltes Computersystem. Dies wiederum übersetzen sie in Bewegungen des Roboterarms.
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Die Studie "Learning to Control a Brain-Machine Interface for Reaching and Grasping by Primates" ist im Public-Access-Journal "PLoS Biology" (Bd. 1, November 2003) erschienen.
->   Zur Studie
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Intelligentes Affenweibchen
Schon bei Experimenten zuvor hatten die Affen Roboterarme durch Hirnelektroden gesteuert, gleichzeitig aber noch die Arme bewegt. Ein Affenweibchen verstand dann als erste, dass dies nicht nötig ist.

"Ihre Armmuskeln wurden ganz ruhig, sie hielt die Arme am Körper und sie kontrollierte den Roboterarm ausschließlich durch ihr Hirn und das visuelle Feedback", so Nicolelis.
Erstaunliche Adaptionsleistungen der Neuronen
Soweit der Stand von 2003: Zumindest eine Frage blieb aber ungeklärt - wie das Gehirn der Affen den Übergang von der physischen zur gedanklichen Kontrolle "geschafft hat". Nicolelis und sein Team haben die neuronalen Daten deshalb nun umfassend ausgewertet.

Dabei zeigte sich, dass die Nervenzellen zu erstaunlichen Adaptionsleistungen fähig sind - die gleichen Neuronen können sich für tatsächliche oder vorgestellte Bewegungen aktivieren.
Das Werkzeug gehört zum "Selbst"
Die Repräsentationen des Gehirns vom Körper sind nach Ansicht von Nicolelis derart flexibel, dass "jedes Werkzeug, das wir schaffen, mit der Umwelt interagieren kann" - gleichgültig ob Roboterarm, PC-Tastatur oder Tennisschläger. Die Eigenschaften dieser Geräte würden buchstäblich in einen neuronalen Ort inkorporiert.

Diese Ansicht ist in der Neurowissenschaften durchaus umstritten - und reicht darüber hinaus bis tief in philosophische Fragen nach dem "Selbst". Nach Ansicht von Nicolelis endet dieses "Selbst" nicht an den Grenzen des Körpers, sondern dehnt sich aus bis zu unseren Werkzeugen.
Hoffnung auf vollfunktionale "Neuroprothesen"
Ganz handfest habe diese These eine Reihe - positiver - klinischer Implikationen. Nach Unfällen Gelähmte zählen zu den potenziellen Nutznießern der Forschungen: "Wenn das Gehirn tatsächlich statisch wäre, könnten Gelähmte in Zukunft niemals technische Hilfsgeräte mit großer Fertigkeit benutzen", meint Nicolelis. Die Studien seines Teams geben aber Anlass zu Hoffnung auf echte, voll-funktionale "Neuroprothesen".

Erste Schritte dazu werden in seinem Labor bereits getan. Das Zauberwort dabei heißt "Feedback": visuelle oder taktile Signale, die aus der Bewegung von Roboterarmen über die Elektroden ins Gehirn gelangen.

"Die Idee unserer neuen Experimente ist es, im Gehirn der Versuchstiere lebendige Bilder ihres 'dritten Arms' zu schaffen", so Nicolelis.

[science.ORF.at, 11.5.05]
->   Animation des Versuchs von Nicolelis et al.
->   Laboratory of Miguel Nicolelis
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01.01.2010