News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Des Dopings überführt - alles nur "Chimäre"?  
  Bei den Spielen in Athen 2004 war der Radfahrer Tyler Hamilton Olympiasieger geworden. Einen Monat später wurde er des Dopings überführt: Er soll unzulässige Transfusionen mit Fremdblut erhalten haben. Nun gab er dafür eine überraschende Erklärung ab: Bei ihm handle es sich um das seltene Phänomen einer "Chimäre" - das fremde Blut in seinem Körper stamme in Wirklichkeit von einem nie geborenen Zwillingsbruder.  
Die "New York Times" berichtete diese Woche über den bisher vielleicht kuriosesten Fall von Sportlern, die nach einem Verstoß gegen die Dopingregeln ihr Verhalten zu rechtfertigen versuchten.

Dabei gebe es "große innovative Energien", wie es Günter Gmeiner vom Antidoping-Labor der Austrian Research Centers gegenüber science.ORF.at nannte. Vom "verstorbenen Zwilling" als Erklärung für Doping ist ihm nichts bekannt.
Mehr rote Blutkörperchen für mehr Sauerstoff
Bild: EPA
Hamilton nach seinem Olympiasieg
Die Vorgeschichte: Vor einem Monat wurde Tyler Hamilton von der amerikanischen Anti-Doping-Agentur (USADA) zu einem Startverbot von zwei Jahren verurteilt. Der Grund: Nach einem Sieg beim Zeitfahren während der Spanien-Rundfahrt im September 2004 war er in A- und B-Probe positiv getestet worden.

Durch Blutdoping kann die Zahl der roten Blutkörperchen erhöht werden, die für den Sauerstofftransport im Blut zuständig sind und somit die Leistungsfähigkeit erhöhen.
->   Hintergrund zum "Fall Hamilton" (pdf-Datei; USADA)
Molekularbiologe via Zeitungen aufmerksam
Als die Zeitungen erstmals von Hamiltons Vergehen berichteten, wurde der Molekularbiologe David Housman vom M.I.T. aufmerksam. Die standhaften Leugnungen von Hamilton ließen ihn laut "New York Times" auf eine andere Erklärungsmöglichkeit kommen - eine durchaus natürliche Erklärung:

Bei Hamilton könnte es sich um ein chimäres Wesen handeln, lautete nun die verblüffende - von Housman und den Verwandten des Radfahrers gemeinsam konzipierte - Version.
Chimären: Organismen mit zwei Erbsubstanzen
Allgemein gesprochen sind Chimären Organismen, die aus genetisch verschiedenen Zellen oder Geweben bestehen. Künstlich hergestellt werden sie etwa in der Gentechnik: Chimären von zwei Mäusen verschiedenen Genotyps sind voll lebensfähig und besonders wichtig zur Herstellung von Knock-out-Mutanten.

Chimären kommen aber auch in der Natur vor. Blutchimären sind z.B. Organismen mit genotypisch verschiedenen Blutzellpopulationen. Diese können sich bei zweieiigen Zwillingen im embryonalen Zustand durch den Austausch von Blutstammzellen bilden. Denkbar ist auch die Aufnahme mütterlichen Bluts durch den Fetus.
...
Eine komplette Form von Chimärismus kann entstehen, wenn zweieiige Zwillinge in einem embryonalen Frühstadium miteinander verschmelzen. Komplette Körperteile können dabei später eine unterschiedliche DNA aufweisen.
...
Reste des Zwillings im Blut?
Wie David Housman in der "New York Times" argumentiert, könnte der Zwilling von Tyler Hamilton in der Gebärmutter gestorben sein, nachdem sich einige seiner Blutstammzellen übertragen hatten.

Diese könnten nach wie vor im Körper von Hamilton kleine Mengen von Blutzellen produzieren, die von der Dopingkontrolle als Fremdblut erkannt wurden.
Theoretisch möglich - und überprüfbar
Rein theoretisch ist das möglich, wie Simon Panzer von der Universitätsklinik für Blutgruppenserologie am AKH Wien ausführt: "Mit den herkömmlichen Methoden der Blutdoping-Analyse kann Chimärismus nicht erkannt werden."

Eine Frage der Methoden: Würde man seine Mittel der Blutserologie anwenden, wäre das kein Problem, so Panzer gegenüber science.ORF.at.
Ausrede oder Tatsache?
Bild: EPA
Ob das nun etwas an der gängigen Praxis der Blutdoping-Analysen ändern wird, ist unklar. Die Mehrheit der amerikanischen Experten hält die Wahrscheinlichkeit, dass Hamilton tatsächlich keine Schuld trifft, für vernachlässigenswert.

Schließlich wurde er nur einen Monat nach dem positiven ersten Test noch einmal überprüft. Das Ergebnis diesmal war negativ - was dafür spricht, dass er nach der Transfusion von Fremdblut und der Überführung damit aufgehört hat. Außerdem wurde ein weiterer Spitzenfahrer des gleichen Teams - der Spanier Santiago Perez - zur selben Zeit des Blutdopings überführt. Und das wären der Zufälle dann doch zuviel.

Hamilton hat gegen das Urteil aber in jedem Fall Berufung angekündigt.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 12.5.05
->   New York Times
->   USADA
->   Tyler Hamilton
->   David Housman vom M.I.T.
->   Antidoping-Labor, ARC
Mehr zum Thema Doping in science.ORF.at:
->   "Marathon-Mäuse" aus dem Gentech-Labor (23.8.04)
->   Schneller, höher, weiter: Grenzen der Leistung (17.8.04)
->   Muskel-Doping dank Gentechnik (17.2.04)
->   Forscher warnt vor "Gen-Doping" im Sport (29.10.03)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010