News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Philosophie: Vom Wert des "Nutzlosen"  
  Über den Stellenwert der Philosophie angesichts einer universalen Ökonomisierung sprach der Philosoph Otfried Höffe vom Philosophischen Seminar in Tübingen am Montag in Wien. Anlässlich des "Dies Facultatis" der neu geschaffenen Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft der Universität Wien fragte er nach dem Nutzen der Philosophie im Zeitalter eines offensiven Neoliberalismus und wozu man Philosophie - die vermeintliche Verkörperung des Nutzlosen - studieren sollte.  
Der medienpräsente Philosoph und Autor zahlreicher Bücher über Ethik und Sozialphilosophie gilt als einer der renommiertesten Philosophen Deutschlands.
Der Manager-Philosoph
Die akademische Philosophie befindet sich wieder einmal in der Krise. Der rigorose Wille zum Einsparen macht auch vor der Philosophie nicht Halt. Gefragt ist nunmehr das Zwitterwesen eines Philosophie-Managers, der seine Ware - sprich die philosophische Tradition seit der Antike - möglichst gut verkaufen kann. Das gehe dann auf die Kosten von Lehre und Forschung, gab Höffe zu bedenken.
Differenziertes und kritisches Denken
Bild: Philosophisches Seminar Tübingen
Otfried Höffe
Höffes Alternative zur "Fast-food-science", die sich allmählich der Marktstrategien von McDonalds bedient, lautet: "Mehr Philosophie!" Die Verbreitung der Philosophie ist deswegen notwendig, weil die voranschreitende Globalisierung mit ökonomischen Holzhammermethoden arbeitet. Sie lässt kaum Platz für ein differenziertes Denken und kritische Fragen.

Höffe versteht sich keineswegs als radikaler Gegner der Ökonomisierung. Er kennt durchaus die Vorteile des Wohlstandes, die auch die Grundlage für die philosophische Kontemplation darstellen. Wichtiger ist es jedoch, nicht alles dem goldenen Kalb "Wohlstand" zu opfern, sondern sich für eine rechtsstaatliche Demokratie und eine aktive Bürgergesellschaft einzusetzen.
Auf Herausforderungen der Biowissenschaften reagieren
Seit der Antike sieht sich die Philosophie als Leitwissenschaft, die als Orientierungsgrundlage für andere Wissenschaften dient. Sie darf sich jedoch nicht als museale Wissenschaft verstehen, die nur die Kommentierung der "heiligen" philosophischen Hauptwerke eines Aristoteles, Kant oder Wittgenstein betreibt.

Vielmehr muss sie auf die Herausforderungen reagieren, die von den Biowissenschaften und der Hirnforschung ausgehen.
...
Literaturtipps
Von Otfried Höffe sind unter anderem folgende Bücher erschienen:
"Strategien der Humanität", Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft Band 540
"Politische Gerechtigkeit", Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Band 800
"Moral als Preis der Moderne", Suhrkamp Taschenbuch Wisssenschaft , Band 1046
->   Mehr zu den Büchern von Otfried Höffe bei Perlentaucher.de
...
Gegen den philosophischen Eurozentrismus
Die Philosophie sollte auch eigene Traditionen radikal in Frage stellen. Statt die Suche nach der einen, ewig gültigen Wahrheit fortzusetzen, sollte die Vielfalt theoretischer Ansätze akzeptiert werden.

Auch der Eurozentrismus muss bekämpft werden, wie er sich bei dem Phänomenologen Edmund Husserl findet: "Wir verspüren es an unserem Europa" - so notierte er - "es liegt darin etwas Einzigartiges".
Verstehen des Anderen
Die Anerkennung von verschiedenen Kulturen führt zu einer interkulturellen Philosophie, die in drei Stufen erfolgt: Sie belässt den Anderen in seinem Anders-sein und versucht dennoch, Gemeinsamkeiten herauszufinden. Im Sinne der Hermeneutik hilft diese Entdeckungsreise, sich selbst besser zu verstehen. Hans-Georg Gadamer sah darin die "menschliche Grundaufgabe".
Philosophie lehrt Verblüffungsresistenz
Eine genaue Kenntnis der unterschiedlichen Traditionen führt zu einem Verhalten, das Höffe als "Verblüffungsresistenz" bezeichnet. Nicht jede Innovation sollte eine panikartige Reaktion auslösen.

Höffe spricht sich dagegen aus, Neuerungen gleich abzulehnen oder sie enthusiastisch zu begrüßen. Er plädiert für eine "judikative Kritik", die in einer sorgfältigen Abwägung der Vor- und Nachteile der jeweiligen Innovation besteht.
Mut zur Autonomie
Eine weitere wichtige Aufgabe der Philosophie besteht darin, den Menschen zum "Selbstdenken" zu bewegen. Philosophisches Selbstdenken sprengt die Ketten des politischen und religiösen Dogmatismus.

Schon Immanuel Kant forderte den Menschen auf, sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien, Mut zum Denken zu entwickeln und sich des Verstandes ohne Gängelung durch einen Anderen zu bedienen.
Aufforderung zur Theorieresistenz
Für Höffe ist Immanuel Kant noch immer eine zentrale Orientierungshilfe in den Stürmen der postmodernen Beliebigkeit. Seine Fragen "Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?" bestimmen noch immer das menschliche Leben.

Das geduldige Eingehen auf diese Fragen befähigt den Menschen zur "Ideologieresistenz". Die Rede von der Nutzlosigkeit der Philosophie ist dann die Rache jener, die sich in den Ideologien bequem eingerichtet haben - angeblich zum Wohl der Menschheit.

Nikolaus Halmer, Ö1-Wissenschaft, 31.5.05
->   Website von Otfried Höffe am Philosophischen Seminar in Tübingen
->   Institut für Philosophie (Uni Wien)
->   Institut für Bildungswissenschaft (Uni Wien)
->   Mehr über Philosophie im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010