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Ein Gen kontrolliert Sex-Verhalten von Fliegen  
  Ein am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) arbeitender Forscher konnte zeigen, dass ein einzelnes Gen ein komplexes Verhaltensmuster von Tieren steuern kann. Dabei handelt es sich um die Veranlagung zu männlichem bzw. weiblichem Sexualverhalten bei Fruchtfliegen.  
Der Arbeit des aus Australien stammenden Fliegengenetikers Barry Dickson und der Doktorandin Ebru Demir ist die Titelgeschichte der neuesten Ausgabe des renommierten Biologie-Magazins "Cell" gewidmet.
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Der Artikel "fruitless Splicing Specifies Male Courtship Behavior in Drosophila" von Ebru Demir and Barry J. Dickson ist am 3. Juni 2005 in "Cell" erschienen (Band 121, S. 785-794, DOI 10.1016/j.cell.2005.04.027).
->   Cell
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Verhalten der Geschlechter wurde genetisch manipuliert
Bild: Cell
"Wir haben gezeigt, dass ein einziges Gen bei Drosophila-Fliegen alle Aspekte der sexuellen Orientierung und des sexuellen Verhaltens spezifiziert. Normalerweise 'verfolgen' männliche Fliegen die weiblichen Artgenossen. Aber durch verschiedene Manipulationen an dem Gen haben wir männliche Exemplare geschaffen, die sich an männliche Fliegen heran machten und weibliche, die gleichgeschlechtliche umwarben.

Schließlich gab es auch noch weibliche Insekten, welche die Männchen 'hofierten'", stellte Dickson in einer Aussendung anlässlich der Publikation fest. Der Wissenschaftler wird ab Beginn 2006 als Nachfolger von Kim Nasmyth Leiter des Instituts für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien.
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"fruitless"-Gen
Die Arbeiten beschäftigten sich mit dem "fruitless"-Gen (fru), das schon länger in Verdacht stand, das Sexualverhalten zu beeinflussen. Zwar gilt das Paarungsverhalten als hochkomplex, dennoch scheint dieses Gen eine zentrale Rolle einzunehmen - zumindest bei den Fliegen.
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Komplizierte Verhaltensmuster
Der Sexakt der Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster) - die Insekten gelten seit Jahrzehnten als Modellorganismen für die Genetiker - folgt komplizierten Verhaltensmustern. Die männlichen Tiere berühren die Weibchen, sie "singen" durch Vibrieren der Flügel und lecken die Geschlechtsorgane der Umworbenen.

Erst dann - so sie nicht kurz vorher bereits begattet worden sind - reagieren die eher passiven Weibchen und sind zur Kopulation bereit.
Kommando der fru-Gene
Das steht offenbar unter dem Kommando der fru-Gene - und zwar bei beiden Geschlechtern. Das Genprodukt, ein Protein, wird nämlich - je nachdem ob Männchen oder Weibchen - unterschiedlich zurechtgeschnitten. Es gibt also eine männliche und eine weibliche Variante.
Vertauschte Gene drehten auch Verhalten um
Die Wissenschaftler bauten nun männliche "fruitless"-Gene in Weibchen ein und weibliche in Männchen. Damit änderte sich das Sexualverhalten, unabhängig vom biologischen Geschlecht, radikal: Drosophila-Männchen mit dem weiblichen Gen umwarben kaum Weibchen. Dafür aber machten sie sich häufiger an andere Männchen heran.

Männchen mit dem männlichen fru-Gen hingegen suchten Kontakt zu Weibchen, gleichzeitig gab es keine gleichgeschlechtlichen Annäherungsversuche.

Weibliche Drosophilas mit der männlichen Version des Gens hingegen wurden wie "echte" Männchen sexuell aktiv, indem sie männliche Artgenossen zum Sex bewegen wollten. Dickson: "Wir konnten also die Sex-Rollenverteilung umdrehen."
Lernen, wie Tiere zu ihrem Verhalten kommen
Der Wissenschaftler weiter: "Das 'fru'-Gen bewirkt hier etwas. Wir lernen - genau so wie in der Entwicklungsbiologie - wie Tiere zu ihrem Verhalten kommen."

Vielleicht könnten auch andere Verhaltensmustern - zum Beispiel "Freundschaft" bzw. "Feindschaft" - bei den Fliegen eine Sache der Gene sein.
Erst Spitze einer Kaskade von Abläufen identifiziert
Mit dem bei den genetisch veränderten Tieren künstlich hergestellten Rollentausch beim Sexualverhalten haben die Wissenschafter allerdings nur die Spitze einer ganzen Kaskade von biologischen Abläufen identifiziert, die im Endeffekt zu einem bestimmten Verhalten führen.

Dickson: "Wir kennen den 'Schalter', was sich aber darunter abspielt, wissen wir nicht." Jetzt müssten erst die vom "fru"-Gen abhängigen Mechanismen geklärt werden.
Erforschung von angeborenem Verhalten von Tieren
Doch es soll nicht bei der Aufklärung der genetischen Grundlagen für das Sexuallverhalten der Fruchtfliegen bleiben. Der Experte: "Wir werden uns gemeinsam mit einem Wissenschaftler von der Harvard-Universität in Boston die Aggressionen ansehen."

Die nun erzielten Ergebnisse könnten am Beginn der Erforschung von angeborenem Verhalten von Tieren stehen, das genau so für die Experten zugänglich werden könnte wie es die Embryonalentwicklung von Organismen in vielfacher Hinsicht bereits seit längerem geworden ist.

[science.ORF.at/APA, 2.6.05]
->   ÖAW-Institut für Molekulare Biotechnologie
->   Website von Fliegengenetiker Barry Dickson
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01.01.2010