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80. Geburtstag von Erika Weinzierl  
  Ihr Leben hat die Zeithistorikerin Erika Weinzierl der Aufarbeitung des Nationalsozialismus gewidmet. Im Jahr 1969 erschien erstmals ihr bekanntestes Buch: "Zu wenig Gerechte - Österreicher und Judenverfolgung 1938-1945". Am Montag feierte die "Grande Dame" der österreichischen Zeitgeschichte ihren 80. Geburtstag.  
Frühe Beschäftigung mit Antisemitismus
Neben ihrer frühen kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema "Katholische Kirche und Nationalsozialismus" hat sie sich in ihren mehr als 30 Büchern insbesondere mit dem Thema "Antisemitismus" beschäftigt.

Erika Weinzierl hat aber auch immer wieder auf die lange vergessenen Opfer des nationalsozialistischen Regimes wie Roma und Sinti, Homosexuelle, Bibelforscher oder Wehrdienstverweigerer verwiesen.
Kritische Position und moralische Instanz
Bild: APA
Erika Weinzierl
Sie habe die Zeitgeschichteforschung aus einer sehr zurückhaltenden, neutralen Position herausgeholt und stets sensible politische Themen aufgegriffen, sagt der Historiker Oliver Rathkolb.

Und die Historikerin Heidemarie Uhl betont die - wie sie sagt - paradigmatisch kritische Position als moralische Instanz, da sie sich immer öffentlich zu Wort gemeldet habe, wenn dies demokratiepolitisch notwendig gewesen sei.

Früh vorweggenommen habe Erika Weinzierl Themen, die erst Jahre später Schwerpunkt zeitgeschichtlicher Forschungen geworden seien. So etwa sei, als das Buch "Zu wenig Gerechte" erstmals erschien, die österreichische Zeitgeschichteforschung noch mit der Frage "Wer hat Schuld am Untergang der Ersten Republik" beschäftigt gewesen.
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Radio-Hinweis
Auch die Ö1-Dimensionen widmen sich unter dem Titel "Zu wenig Gerechte" dem 80. Geburtstag von Erika Weinzierl: Montag, 6. Juni 2005, 19.05 Uhr.
->   Mehr dazu in oe1.ORF.at
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Vorbild einer ganzen Generation
Erika Weinzierl hat eine ganze Generation von Zeithistorikern und -historikerinnen ausgebildet. Sie habe jedoch nie versucht, ihre Zugänge und Interpretationen den angehenden Wissenschaftlern aufzudrängen, sondern sie vielmehr bei deren Erkenntnisinteressen unterstützt.

Ingrid Bauer, eine ihrer früheren Studentinnen, ist der Meinung, ihre Liberalität und ihr engagierter Nonkonformismus hätten es möglich gemacht, sich an tabuisierte zeitgeschichtliche Fragen heranzuwagen und sich Themen zu widmen, die noch weit entfernt waren, Teil des fachwissenschaftlichen Kanons zu sein.

Bauer, heute Professorin für Neuere Geschichte und Frauen- und Geschlechtergeschichte an der Universität Salzburg, hat in den 70er Jahren bei Erika Weinzierl studiert. "Für mich ist sie die große, unkonventionelle, nichtkonformistische Dame der österreichischen Zeitgeschichteforschung", so Bauer.
Eindringen in männliche Geschlechterordnung
Bild: APA
Eine wichtige Symbolfigur sei Erika Weinzierl in jenen Jahren gewesen, nicht nur deshalb, weil sie unter Wissenschaftlern noch tabuisierte Themen aufgegriffen habe, sondern auch, weil sie als damalige junge Studentin gesehen habe, dass - wie sie aus heutiger Sicht sagt -, in der männlichen Geschlechterordnung der Universität es doch ein Gruppenbild mit starker Dame geben könne, meint die 1954 geborene Ingrid Bauer.

Und sie fügt hinzu: "Sie hat mir einen guten Start in die Wissenschaft ermöglicht und die Geisteshaltung, dass es mir zusteht, meiner eigenen wissenschaftlichen Neugierde nachzugehen und mich nicht an Konventionen halten zu müssen. Das hat mir den Weg in die Wissenschaft sehr selbstbewusst möglich gemacht."
Auch viele Feinde gemacht
Und eine langjähriger Mitarbeiter meinte, sie habe das österreichische kollektive Gedächtnis in sehr positiver Weise beeinflusst, sie halte nichts von der Kollektivschuldthese, aber sehr viel von kollektiver Verantwortung.

Mit ihrem Engagement hat sich Erika Weinzierl in Österreich auch sehr viele Feinde gemacht. In ihrem Postfach befanden sich immer wieder anonyme Briefe mit Beschimpfungen oder rechtsextremistische Schriften.

Erika Weinzierl schrieb in der Zeitschrift "Zeitgeschichte" im Jahr 2003: "Die Änderung, die ich inzwischen bemerke, ist, dass jetzt manche dieser Briefe nicht mehr anonym sind. Es ist offenbar nicht mehr tabu, sich gegen jemanden zu stellen, der gegen Antisemitismus, gegen Neonazismus, gegen Faschismus ist."

Karin Lehner, Ö1-Wissenschaft, 6.6.05
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Veranstaltungshinweis
Zum 80. Geburtstag von Erika Weinzierl findet auch eine "Wiener Vorlesung" statt.
Ort: Wien Museum, Karlsplatz, 1040 Wien
Zeit: Montag, 6. Juni 2005, 19 Uhr
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->   Erika Weinzierl (AEIOU)
->   Erika Weinzierl (Uni Wien, Zeitgeschichte)
 
 
 
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01.01.2010