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Lösen kleine RNA-Moleküle Krebs aus?  
  Während der letzten Jahre wurde eine völlig neue Klasse genetischer Regulatoren entdeckt: so genannte Mikro-RNAs, die beispielsweise in Wachstum und Embryonalentwicklung von Tier und Mensch eingreifen. Nun haben US-Forscher herausgefunden, dass diese kleinen Moleküle auch eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Krebs spielen.  
Wie ein Team um Todd R. Golub vom Broad Institute in Cambridge, USA, berichtet, weisen Tumoren eine Art Fingerabdruck auf Ebene der Mikro-RNAs auf, der sich von gesunden Zellen unterscheidet. Das eröffnet neue Möglichkeiten bei der Krebsdiagnose.
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Die Studie "MicroRNA expression profiles classify human cancers" von Jun Lu et al. erschien im Fachjournal "Nature" (Band 435, S. 834; Ausgabe vom 9. Juni 2005).
->   Abstract in Nature
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Kleine Moleküle, große Wirkung
Obwohl klein und unscheinbar sind sie "big player" im Netzwerk der genetischen Regulation. Die Rede ist von so genannten Mikro-RNAs (miRNAs) - Moleküle, die wie die berühmte DNA zur Klasse der Nukleinsäuren gerechnet werden, aber nur aus 21 bis 25 Bausteinen (Nukleotiden) bestehen.

Im Gegensatz zu "klassischen" Genen dienen diese Moleküle nicht direkt der Herstellung von Proteinen, sondern greifen in die mannigfaltigen Editierungsprozesse ein, die auf dem Weg von der nackten genetischen Information zum fertigen Protein ablaufen. Dieses Phänomen wurde ursprünglich am Fadenwurm entdeckt und als Kuriosum abgetan.

Im Jahr 2001 wiesen jedoch Forscher vom Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen solche Moleküle quer durch das Tierreich nach, nämlich bei Mäusen, Fischen und Fröschen (Science 294, S.853). Mittlerweile gelang das bei nahezu allen Organismen.
->   miRNA bei Wikipedia
Grundlegend für Tier- und Pflanzenzellen
Mikro-RNAs agieren, wie man heute weiß, als kleine Bremsen im Netzwerk der genetischen Regulation. Das heißt, sie verhindern oder drosseln die Herstellung von Proteinen, was wiederum die Zellteilung oder die Embryonalentwicklung beeinflusst.

Die Mechanismen, mit denen sie das erreichen, sind bei Pflanzen und Tieren sehr ähnlich, es handelt sich also offenbar um ganz grundlegende Prozesse in der lebenden Zelle (Cell 116, S.281).

Das sahen auch die Herausgeber des Fachjournals "Science" so, die Forschungen zu den kleinen RNAs im Jahr 2002 zum "Breakthrough of the Year" krönten.
->   Top Ten der Wissenschaft 2002
Neue Unterscheidung von Tumortypen
Ein Team um Todd R. Golub vom Broad Institute hat nun der aufregenden Geschichte um die kleinen Nukleinsäuren ein neues Kapitel hinzugefügt. Die Forscher untersuchten die Aktivierung von 217 humanen miRNAs in diversen Krebsproben und entdeckten systematische Unterschiede.

Tumoren, die von den gleichen embryonalen Geweben abstammen, weisen offenbar auch ein ähnliches Aktivierungsmuster der miRNAs auf. So ähnelten einander beispielsweise Krebszellen des Magens, des Darmes und der Leber, während sich Blutzellen von Leukämiepatienten klar von soliden Tumoren unterschieden.

Das eröffne völlig neue Möglichkeiten für die Krebsdiagnose, schreibt Paul S. Meltzer in einem begleitenden Kommentar, insbesondere bei Krebsarten, deren Ursprung noch unbekannt ist (Nature 435, S.745).
Gesunde Zellen haben andere RNA-Profile
Aufschlussreich war auch der Vergleich mit gesunden Zellen: Golub und seine Mitarbeiter fanden heraus, dass in Tumoren grundsätzlich weniger miRNAs hergestellt werden. Das könnte der Auslöser dafür sein, dass Krebszellen in ihrer natürlichen Reifung gestört sind und sich fortwährend teilen.
Ursache oder Begleiterscheinung?
Diese Interpretation passt auch zu zwei weiteren zeitgleich in "Nature" publizierten Studien, in denen direkte Wechselwirkungen zwischen Mikro-RNAs und dem so genannten Onkogen myc nachgewiesen werden konnten.

Allerdings bleibe zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch eine Schlüsselfrage unbeantwortet, betont Todd R. Golub: Es sei nicht klar, ob die in Tumoren gefundenen miRNA-Profile tatsächlich die Ursache von Krebs sind oder nur eine Begleiterscheinung darstellen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 9.6.05
->   Onkogene bei Wikipedia
->   Website von Todd Golub (Broad Institute)
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01.01.2010