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Kunst und Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert  
  "Öffentlichkeit" war eine zentrale Anforderung der Moderne an die bildende Kunst: Wie sie sich konkretisiert hat, zeichnet die Kunsthistorikerin Eva Kernbauer, derzeit Junior Fellow am IFK in Wien, in einem Gastbeitrag beispielhaft an den zwei Kunstzentren des 18. Jahrhundert nach - Paris und London.  
"Der Platz des Publikums"

Von Eva Kernbauer

'Öffentlichkeit' ist ein Schlüsselbegriff des 18. Jahrhunderts: Öffentlichkeit, wie sie sich als Merkmal aufklärerischen Selbstbewusstseins formierte und als Urteilsinstanz für politische wie auch ästhetische Fragen etablierte.

In den Kernländern der europäischen Aufklärung - England und Frankreich - wurde das moderne Ausstellungssystem zu einem Anziehungspunkt für breite Bevölkerungsschichten, zu einem Instrument des Markts und einem Ort der Kunstkritik, den jeder Künstler, jede Künstlerin fortan adressieren muss.
Zwischen "Publikum" und "Öffentlichkeit"
Und es gab kaum eine Ausstellungskritik, die sich nicht zuallererst darauf berufen würde, die Meinung der Öffentlichkeit wiederzugeben. Das 18. Jahrhundert brachte nicht zuletzt das Sprechen über die Öffentlichkeit hervor: als einen zutiefst funktionalen Begriff, einen Wertmaßstab für politische und zivilisatorische Reife.

Die Auseinandersetzungen über diese "Kunstöffentlichkeit" in England und Frankreich vollziehen sich innerhalb des Bedeutungsspektrums des Begriffs "the public"/"le public" zwischen "Publikum" und "Öffentlichkeit". Denn seit dem 17. Jahrhundert wurde dieser auch im Sinne eines Theater-, Lese- oder Ausstellungspublikums verwendet.
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Vortrag am IFK
Eva Kernbauer hält am Montag, 20. Juni 2005 um 18 Uhr c.t. einen Vortrag zum Thema "Der "Platz des Publikums: Kunst und Öffentlichkeit in Paris und London im 18. Jahrhundert".
Ort: IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschschaften, 1010 Wien, Reichsratsstraße 17
->   IFK
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Publikum als Instanz einer "Kunstöffentlichkeit"
Der neue Öffentlichkeitsbegriff traf daher auf bereits vorhandene Diskurse, etwa auf die Publikumstheorien der französischen Klassik, die diesem "Publikum" als überzeitlicher, abstrakter Urteilsinstanz und Quelle künstlerischen Ruhmes eine zentrale Stellung einräumten.

Wenn nun im 17. Jahrhundert das Publikum immer dann punktuell angerufen wurde, wenn ein Künstler sein Werk gegen Kritiker verteidigen wollte (Peter Bürger), so wurde dieses "Publikum" als Instanz einer "Kunstöffentlichkeit" im 18. Jahrhundert zu einem prinzipiellen, allgegenwärtigen Grundsatz.
Wechselnde Plätze des Publikums
Als der traditionelle Publikumsbegriff auf die nun konkret sichtbar werdende Gruppe von Ausstellungsbesuchern, Kunstkritikern und Autoren trifft, entzündet sich ein bemerkenswert spannungsgeladener Diskurs.

Dabei sind die positiven Definitionen der 'Öffentlichkeit' wenig aufschlussreich: Wenn im frühen 18. Jahrhundert immer wieder von "enlightened public" oder "public eclairé" die Rede ist, dann ist es oft schwierig, die Grenzen zwischen höflicher Leerformel, Ironie und oratio pro domo - im Sinne einer Aufwertung der eigenen Publikation - richtig zu lesen.

Die Funktion, und damit der Platz, den das Publikum zugewiesen bekommt, wechseln immer wieder. Es wurden Zweifel erhoben, ob das versammelte Publikum in den Ausstellungen überhaupt repräsentativ für die 'Öffentlichkeit' sei, ja ob denn so eine 'Öffentlichkeit' überhaupt existiere.
Kunstrezeption als soziale Praxis
Um die Anforderungen einer Urteilsinstanz erfüllen zu können, fielen manche Rezeptionsformen bildender Kunst - etwa die des vereinzelten Connoisseurs aus der Tradition der Kunst- und Wunderkammer oder der spektakelsüchtigen, wankelmütigen Besuchermengen ('multitudes') - aus dem klassizistischen Wertekanon heraus.

Kunstrezeption wurde als soziale Praxis beschrieben, vorexerziert, und im entstehenden System der Kunstausstellung institutionalisiert.
Kunstöffentlichkeit zwischen Öffnung und Schließung
Die negativen Zerrbilder des Publikums geben darüber Aufschluss, wie der Öffentlichkeitsbegriff imaginiert wird, und entlang welcher Linien die Ausschlussmechanismen dieses Begriffs verlaufen: Kunst sollte zu einer Angelegenheit einer Öffentlichkeit werden, die durchaus offen war für staatliche Zugriffe, patriarchale Diskurse und didaktische Nutzbarmachung.

Die Konstruktion der Kunstöffentlichkeit bewegte sich dialektisch zwischen Öffnung und Schließung, und dieser konfliktreiche Prozess macht deutlich, wie wandelbar der Begriff der 'Öffentlichkeit' ist, mit dem sich auch die Zugangsberechtigungen der Institution Kunst veränderten.

[20.6.05]
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Über die Autorin
Mag. Eva Kernbauer, Kunsthistorikerin, studierte in Wien und Berlin, kuratorische Erfahrung in Galerien und Museen in Wien und New York, Dissertation zum angekündigten Thema an der Universität Trier, IFK_Junior Fellow in diesem Studienjahr in Wien und im nächsten Studienjahr als Gast des IFK am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris.
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01.01.2010