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Die Frage nach dem Sinn von Sein  
  Martin Heideggers Philosophie war radikal. Er plädierte für eine Neubewertung der europäischen Philosophiegeschichte und sprach vom Ende der herkömmlichen Philosophie, "von einer Preisgabe des bisherigen Denkens".  
"Widersacherin des Denkens"
Seinen Hauptgegner sah Heidegger im Rationalismus. "Das Denken beginnt erst dann", so schrieb er, "wenn wir erfahren haben, dass die seit Jahrhunderten verherrlichte Vernunft die hartnäckigste Widersacherin des Denkens ist."

Heidegger ging vom menschlichen Dasein aus, vom Existieren in der Welt, das weit über das bloße Denken hinausgeht. Faktoren wie Angst, Langeweile und vor allem die Todesverfallenheit des Menschen faszinierten ihn.
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"Sein und Zeit"
Geboren wurde Martin Heidegger am 26. September 1889 als Sohn einfacher Leute in Meßkirch. Er studierte Philosophie und Theologie in Freiburg und befasste sich mit der Phänomenologie von Edmund Husserl.

Ein Resultat der intensiven Auseinandersetzung mit der Phänomenologie war Heideggers Hauptwerk "Sein und Zeit", das unbestritten zu den zentralen philosophischen Abhandlungen dieses Jahrhunderts zählt.
->   Biografische Daten
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"Seinsvergessensheit"
Heidegger spricht in diesem Zusammenhang von der Seinsvergessenheit der akademischen Philosophie. Das heißt, dass die "Frage nach dem Sinn von Sein", die das menschliche Dasein betrifft, mindestens seit dem Beginn des neuzeitlichen Denkens nicht mehr gestellt wurde.

Vielmehr wurde die Berechenbarkeit des Menschen verherrlicht. Nicht das Unbewusste, die Triebe oder Emotionen waren wichtig, sondern die Ratio, die die Berechenbarkeit menschlichen Verhaltens garantierte.
Herrschaft der Vernunft
Heidegger lehnte die seit der Aufklärung angestrebte Universalherrschaft der instrumentellen Vernunft ab; er beschrieb die Ausgesetztheit des Menschen, der von Stimmungen wie Angst oder Todesfurcht bestimmt wird. Diese grundlegenden Stimmungen reißen den Menschen aus seiner Geworfenheit in den Alltag heraus.
"Geworfenheit"
Mit dem Ausdruck "Geworfenheit" bezeichnet Heidegger die Eingebundenheit in Familie, Kultur, Religion und Gesellschaftsform, die mehr oder weniger zufällig ist. Angst und Vorlaufen zum Tode bilden exemplarische Weisen, sich aus der Normalität des Alltag zu lösen.

Heidegger stellte dieser Verfallenheit an den Alltag, die er als Uneigentlichkeit versteht, das Leben im "Eigentlichen", die "Lichtung" gegenüber.
Im Dienst des Führers?
Diese "Lichtung" - die Dezentrierung der Vernunft - wie es die französische Postmoderne nannte - glaubte Heidegger im Nationalsozialismus zu finden. 1933 plädierte er dafür, die Philosophie und Wissenschaft in den Dienst des Führers zu stellen und "das Schicksal des deutschen Volkes in das Gepräge seiner Geschichte zu zwingen".
Späte Philosophie
In seiner Spätphilosophie befasste sich Heidegger hauptsächlich mit dem Wesen der Kunst, die er vom altgriechischen Verständnis der "poiesis", des Kreativen her interpretierte.
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Darüber sprach er mit so unterschiedlichen Künstlern wie Paul Celan und Rene Char. Allein im Kunstwerk sah Heidegger das einzig verbleibende Subversionspotenzial, das der Funktionalität
der instrumentellen Vernunft entgegenwirken könne.
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Postmodernes Echo
Heideggers Opposition gegen den Geist der aufklärenden Vernunft beeindruckte vor allem die Philosophen der Postmoderne. Jacques Derrida, Michel Foucault, Jean-Francois Lyotard, Gianni Vattimo und Richard Rorty bezogen sich in ihren unterschiedlichen Werken ausdrücklich auf Heidegger.

"Dezentrierung des Subjekts", Dekonstruktion der abendländischen Metaphysik, das Plädoyer für die Nobilitierung der Kunst; all diese Stichworte waren für die Postmoderne wesentliche Anregungen.

"Die konstruktive Stellung Heideggers innerhalb der Postmoderne" - so notiert Gianni Vattimo - "hat mit dem zu tun, was ich als Schwächung des Seins bezeichne, die eine Destruktion der Metaphysik betreibt."

Nikolaus Halmer, Ö1-Wissenschaft
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Literaturhinweis:

Die Gesamtausgabe von Heidegger erscheint im Vittorio Klostermann Verlag.

Eine verständliche Einführung zu Heidegger wurde - verfaßt von Walter Biemel - im Rahmen der rowohlt Monographien als Band Nr. 200 publiziert.
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->   Wegweiser durch die Heidegger-Literatur
->   Martin Heidegger-Gesellschaft
->   Heidegger im Deutschen Literaturarchiv Marbach
 
 
 
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01.01.2010