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Vor 100 Jahren: Maji-Maji-Krieg in "Deutsch-Ostafrika"  
  Vor hundert Jahren wurde ein besonders blutiges Kapitel der Kolonialgeschichte Europas geschrieben, das heute ziemlich in Vergessenheit geraten ist. Die einheimische Bevölkerung des heutigen Tansania - damals "Deutsch-Ostafrika" - erhob sich gegen ihre deutschen Besatzer. Zwei Jahre dauerte der ungleiche Kampf, bei dem vermutlich 100.000 Einheimische getötet wurden - aber nur 15 Europäer.  
Ein soeben erschienenes Buch geht den Geschehnissen in Afrika zum 100. Jahrestag des Beginns des Maji-Maji-Krieges nach. Von der Historikerin Felicitas Becker und dem Ethnologen Jigal Beez herausgegeben werden dabei sowohl die Vorgeschichte, der eigentliche Konflikt als auch seine Folgen beleuchtet.
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Felicitas Becker und Jigal Beez: Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika, 1905-1907, CH. Links Verlag 2005
->   CH. Links Verlag
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Nachzügler des Imperialismus

Das deutsche Kaiserreich zählte Ende des 19. Jahrhunderts zu den "Nachzüglern des Imperialismus". Während sich England, Frankreich, Portugal und Belgien den Kontinent bereits längst - mehr oder minder - aufgeteilt hatten, wurde "Südwestafrika", das heutige Namibia, erst 1884 "in Besitz genommen".

Wie der Afrikanist Reinhard Klein-Arendt in seinem Beitrag ausführt, lag dies vor allem an der strategischen Haltung des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck, der die europäischen Kolonialmächte lange nicht brüskieren wollte.
Kolonialisierung durch selbsternannte Abenteurer
Es waren so ursprünglich eher die Privatinteressen selbsternannter Abenteurer, die in Afrika auf der Suche nach Ruhm und Reichtum waren - unter ihnen Carl Peters, der 1884 die "Gesellschaft für deutsche Kolonialisation" gründete.

Noch im selben Jahr schloss er in Ostafrika mehrere "Schutzverträge" mit lokalen Herrschern ab, zumeist durch die Mischung von Drohungen und Versprechen. Innerhalb weniger Jahre gelang es ihm, große Besitzungen anzuhäufen und den Schutz des deutschen Kaiserreiches zu bekommen.

Nach ersten Auseinandersetzungen mit den Einheimischen wurde 1891 offiziell die Kolonie "Deutsch-Ostafrika" gegründet.
Überheblichkeitsgefühl und Sendungsbewusstsein
Von Beginn an geprägt war das Verhältnis der weißen Kolonialherren gegenüber den Afrikanern von einem absoluten Überheblichkeitsgefühl. "Zusammen mit der zeitgenössischen Fortschrittseuphorie in der europäischen Gesellschaft erweckte dies ein kulturelles Sendungsbewusstsein, das sich hervorragend zur Rechtfertigung der Kolonisierung heranziehen ließ", schreibt Klein-Arendt.

Gerechtfertigt wurden damit Landenteignung, körperliche und psychische Gewalt, Zwangsarbeit auf Plantagen und - last but not least - auch die Einhebung von Steuern.
Immer höhere Steuern
Und die waren für das deutsche Kaiserreich sehr wichtig - entgegen den Hoffnungen war "Deutsch-Ostafrika" auf Zuschüsse angewiesen und kein ökonomischer Gewinn. Dies führte zu immer höheren Steuerbelastungen der Afrikaner, ursprünglich waren die Abgaben noch in Naturalien möglich, ab März 1905 nur noch in Bargeld.

Gemeinsam mit den täglichen Erniedrigungen resultierte aus einer immer unrealistischeren Steuerpflicht der Aufstand der Einheimischen.
Gemeinsamer Krieg von 20 Völkern
Der Maji-Maji-Krieg war "die erste antikoloniale Erhebung, bei der sich viele unterschiedliche Völker - insgesamt etwa 20 - gemeinsam gegen die Kolonialherrschaft zur Wehr setzten", so Jigal Beez in seinem Buchbeitrag.

Trotz der ethnischen Vielfalt gab es einen gemeinsamen Feind - die Deutschen - und eine gemeinsame Vorstellung des Übernatürlichen. Diese Vorstellung sollte zum blutigen Scheitern ihres Krieges führen.
Vision von Wunderwasser gegen deutsche Kugeln
Ein Prophet namens Kinjikitile aus dem Volk der Ikemba hatte nämlich eine Vision, derzufolge man mit einem bestimmten "Maji" (auf Swahili: "Wasser") unverwundbar gegenüber den Gewehren der deutschen Besatzer werden würde.

Es formierten sich Gruppen unter Anleitung von Maji-Maji-Heilern, Ende Juli 1905 kam es zu den ersten Auseinandersetzungen.
Blutiges Scheitern
Zahlenmäßig waren die Afrikaner natürlich weit überlegen - ihr Glauben an die Wunderwirkung des Maji führte sie aber ins Verderben.

Ein deutscher Kommandant schrieb nach einem Frontalangriff der Maji-Kämpfer in sein Tagebuch: "Außer 20 Kiwanga-Leuten (Truppen eines mit den Deutschen verbündeten Machthabers) habe ich keinen Mann verloren. Aber der Gegner? Ganze Reihen, ja Berge von Toten konnte ich durch mein Glas auf allen Kampfplätzen erkennen."
Hunger als Kampfmittel der Deutschen
Nach anfänglichen offenen Feldschlachten mit verheerenden Folgen verlegten sich die Afrikaner zunehmend auf Guerilla-Methoden. Mit dieser Art der Kriegsführung hielten sie bis 1908 durch.

Die Kolonialtruppen bedienten sich nicht nur ihrer überlegenen Bewaffnung, sondern auch eines noch "stärkeren Verbündeten: des Hungers". Systematisch wurden Felder und Vorräte der Dörfer in den Aufstandsgebieten zerstört, eine schreckliche Hungersnot war die Folge.
100.000 tote Afrikaner, 15 Europäer
Genaue Zahlen zu den Toten gibt es bis heute keine: Geschätzt wird aber, dass rund 100.000 Einheimische Ostafrikas an den direkten oder indirekten Folgen des Krieges gestorben sind. Dem stehen rund 1.000 afrikanische Tote gegenüber, die auf Seiten der Deutschen gekämpft haben, - sowie 15 Europäer.

Das Buch liefert eine umfassende und wichtige Rekonstruktion eines Krieges, der schon in der zeitgenössischen Rezeption unterrepräsentiert war und heute beinahe völlig in Vergessenheit geraten ist.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 22.6.05
->   Bibliographie zu Maji Maji
->   Deutsches Kolonial-Lexikon von 1920
 
 
 
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01.01.2010