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Autoreifen "importieren" exotische Pflanzensamen  
  Auf der Rückreise aus dem Urlaub hat so mancher Reisende nicht nur Souvenirs im Gepäck, sondern auch Pflanzensamen. Über tausende Kilometer rollen die blinden Passagiere im Profil der Autoreifen mit und wachsen schließlich fern ihrer Heimat heran.  
"Knapp die Hälfte der Samen, die wir in Berliner Autobahntunneln sammeln konnten, stammen von Pflanzen, die nicht ursprünglich in Berlin heimisch sind", berichtet der Ökologe Moritz von der Lippe.
"Biologische Invasion" via Autoverkehr
Für seine Doktorarbeit am Ökologischen Institut der Technischen Universität, Fachgebiet Ökosystemkunde, startete er im Rahmen eines Graduiertenkollegs ein Forschungsprojekt, das in dieser Form weltweit einmalig ist: Es geht um die "biologische Invasion" fremder Pflanzenarten via Autoverkehr.

Ein Jahr lang hat von der Lippe dafür in drei langen Berliner Autobahntunneln spezielle Fallen aufgestellt und das von Autoreifen und Stoßstangen abfallende Erdmaterial darin aufgefangen. Anschließend ließ er die Samen im Gewächshaus auskeimen.
200 Arten, Hälfte davon "fremd"
"Vom Ausmaß der Funde waren wir wirklich überrascht", berichtet der Ökologe. In den insgesamt 35 Fallen sammelten sich über 11.000 keimfähige Samen an, die zu mehr als 200 Arten gehören - fast die Hälfte davon fremder Herkunft.

Die meisten dieser nichteinheimischen Arten seien in Deutschland schon lange bekannt, sagt von der Lippe. Angefangen hat diese biologische Einwanderung schließlich bereits mit den Entdeckungsfahrten der Europäer im 15. Jahrhundert.
Neubürger aus Dänemark und Südafrika
Ein Neubürger zumindest in Berlin ist der Studie zufolge das Dänische Löffelkraut (Cochlearia danica) - eigentlich ein Küsten- und Salzwiesengewächs, das sich entlang von Autobahnen mittlerweile bis zum Berliner Norden vorgearbeitet hat.

Untersuchungen aus anderen Teilen Deutschlands bestätigen die Hypothese der beschleunigten Ausbreitung via Reifenprofil. "So hat sich beispielsweise das Schmalblättrige Greiskraut (Senecio inaequidens), das aus Südafrika stammt und zunächst durch Wollimporte eingeführt wurde, in rasantem Tempo entlang der Verkehrswege ausgebreitet", sagt der Berliner.
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Normalerweise keine Gefahr
Gefährlich für die einheimische Pflanzenwelt sind solche blinden Passagiere in der Regel nicht. "Sehr expansive Arten können jedoch auch in Deutschland gefährdete Lebensgemeinschaften verändern und seltene Arten verdrängen", sagt von der Lippe. So bedrohe die nordamerikanische Robinie in Brandenburg mittlerweile diverse Trockenrasenpflanzen und geschützte Biotope.
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Auf anderen Kontinenten auch nicht anders
Auch außerhalb Europas wird die Ausbreitung nichteinheimischer Arten aufmerksam verfolgt. So stellten die Berliner Forscher zusammen mit Kollegen von der University of Washington fest, dass 90 Prozent der Pflanzen an den Straßenrändern von Seattle ursprünglich aus Europa stammen.

In vielen US-Bundesstaaten wurden zum Schutz der einheimischen Flora bereits eigene Kontrollbehörden eingerichtet.

Neuseeland versucht sogar, solche Einwanderer gar nicht erst ins Land zu lassen: Die Einfuhr von Tieren und Pflanzen ist streng geregelt. Auch Gebrauchtwagen aus dem Ausland müssen eine aufwendige Reinigungsprozedur überstehen, inklusive Unterboden und Lüftung.
Trampen ohne erhobenen Daumen
Derart drastische Konsequenzen sieht von der Lippe nach seiner Arbeit für Deutschland nicht voraus. Dennoch: "Nicht nur Privatleute, sondern auch Straßenbaumeistereien sollten genau abwägen, ob sie nichteinheimische Sträucher und Bäume - wie etwa die Robinie - an Straßenrändern und Böschungen anpflanzen." Denn deren Samen trampen mit - auch ohne erhobenen Daumen.

Andrea Barthelemy, dpa, 27.6.05
->   Ökologisches Institut, Technische Universität Berlin
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01.01.2010