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Warum wir nicht schneller gehen können  
  Warum hören wir ab einer gewissen Geschwindigkeit mit dem Gehen auf und beginnen zu laufen? Ein britischer Forscher hat diese Frage nun mittels eines einfachen physikalischen Modells untersucht. Die Antwort: Theoretisch könnten wir auch schneller gehen, aber dann würden wir uns wie Geishas im Zeitraffer bewegen.  
Anders ausgedrückt: Weil der Mensch für gewöhnlich keine extrem kurzen und schnellen Gehbewegungen ausführt, beginnt er ab einer Geschwindigkeit von rund neun Kilometern pro Stunde zu laufen. Dies berichtet James R. Usherwood vom Royal Veterinary College.
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Die Studie "Why not walk faster?" von James Richard Usherwood erschien im Fachjournal "Biology Letters" (doi:10.1098/rsbl.2005.0312).
->   Zur Studie (sobald online)
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Immer einer am Boden
Gehen ist jene Bewegungsart, bei der mindestens ein Bein den Boden berührt. Diese Definition des Gehens ist jedem leidenschaftlichen Fernsehsportler bekannt, der sich schon einmal die Übertragung der olympischen Gehwettbewerbe zu Gemüte geführt hat.

Der Punkt, auf den es dabei ankommt: Sobald sich zwei Füße in der Luft befinden, geht man nicht mehr, sondern läuft. Daher ist das Gehen in der Leichtathletik eine Gratwanderung: Man muss schnell genug sein, um die Konkurrenten zu überholen. Aber nicht zu schnell, denn es genügt ein Lauf-Schritt - und schon ist man disqualifiziert.
Gehen als Pendelschwingung
Bild: Biology Letters
Warum das so ist, zeigt eine andere Definition des Gehens, die die Angelegenheit aus Sicht der Mechanik betrachtet: Die Beine eines gehenden Menschen sind so etwas wie ein umgedrehtes Pendel, bei dem die kinetische Energie des Körpers in der Mittelposition - Bein in rechtem Winkel zum Boden - kurz zu potenzieller Energie wird, um dann in der zweiten Bewegungshälfte wieder in kinetische Energie umgewandelt zu werden.

Zu unanschaulich? Also, noch mal von vorne: Man stelle sich ein Pendel vor und drehe es im Geiste auf den Kopf (Bild rechts). In diesem Bild ist dann die Aufhängung des Pendels der Fuß und der Schwingkörper das Hüftgelenk. Für einen Physiker ist die Hüfte ein Punkt, der am Ende einer starren Achse (dem Bein nämlich) liegt und pendelförmig schwingt.

Die ganze Konstruktion fällt nur deswegen nicht nach einem Schritt um, weil zum Glück zwei solche Pendel in gegengleichem Rhythmus arbeiten, womit wir bei der dritten und bekanntesten Definition angelangt sind: Gehen ist im Prinzip nichts anderes als kontrolliertes Fallen.
Zwei Zutaten nötig
James R. Usherwood vom Royal Veterinary College der University of London hat aus Definition Nummer zwei jene Bedingungen abgeleitet, die eine solche Bewegungsform überhaupt ermöglichen.

Dafür bedarf es aus physikalischer Sicht zweierlei: Zum einen muss genug Schwung vorhanden sein, um die Mittelposition zu überwinden, zum zweiten braucht es aber auch eine ausreichende Menge an Schwerkraft, um nicht abzuheben.
Warum heben wir so früh ab?
Die Tendenz, ab einer gewissen Geschwindigkeit "abzuheben", wird von Biomechanikern durch die so genannte Froud-Zahl ausgedrückt. Diese dimensionslose Größe gibt das Verhältnis von Zentrifugalkraft und Körpergewicht an, wobei der Begriff "Zentrifugalkraft" natürlich der Pendelsprache entlehnt ist.

Bisherige Modelle ließen erwarten, dass der Übergang vom Gehen zum Laufen genau dann einsetzt, wenn sich die beiden Kräfte aufheben. Empirische Studien haben aber gezeigt, dass das viel früher passiert.

Nämlich dann, wenn die Zentrifugalkraft rund die Hälfte des Körpergewichts erreicht und die Froud-Zahl daher ca. 0,5 beträgt. Das gilt nicht nur für Menschen verschiedener Gewichtsklassen, sondern auch für andere Zweifüßler, wie z.B. Vögel.
Hektische Bewegungen werden vermieden
Diese offene Frage konnte Usherwood nun mit einem neuen Modell beantworten, das sich strikt an das einfache Pendelbild hält. Demzufolge ist die Schrittlänge umso kürzer, je schneller man gehen will.

Geht man etwa mit einem Tempo von einem Meter pro Sekunde, dann darf man Schrittlängen von knapp 1,5 Metern machen, ohne dabei abzuheben. Bewegt man sich hingegen mit drei Metern pro Sekunde, dann schrumpft die Schrittlänge auf weniger als 50 Zentimeter.

Um diese Geschwindigkeit zu erreichen, muss man allerdings einen äußert hektischen Trippelschritt an den Tag legen, d.h. die Beine drei Mal pro Sekunde schwingen lassen. Und genau das ist der Punkt, warum der Übergang von Gehen zum Laufen schon bei einer Froud-Zahl von 0,5 passiert, so Usherwood.

Menschen vermeiden beim Gehen in der Regel Frequenzen über zwei bis drei Hertz und erreichen daher eine maximale Gehgeschwindigkeit von 2,3 bis 2,6 Metern pro Sekunde. Wer schneller sein will, hebt ab. Und läuft also.

[science.ORF.at, 29.6.05]
->   Royal Veterinary College
 
 
 
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01.01.2010