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Neue Biografie zeigt differenzierten Oskar Schindler  
  Es ist eine der bewegendsten Szenen in Steven Spielbergs preisgekröntem Film: Oskar Schindler - gespielt von Liam Neeson - händigt 1944 dem Verwalter seiner Fabrik in Krakau eine Liste mit den Namen von über 1.000 jüdischen Zwangsarbeitern aus, die vor der Deportation in Sicherheit gebracht werden sollen. "Diese Liste hat es jedoch nie gegeben", sagte Buchautor David M. Crowe am Dienstagabend in Frankfurt.  
Der amerikanische Historiker kommt in seiner fast 900 Seiten starken Schindler-Biografie, die an diesem Donnerstag auf Deutsch erscheint, auf bis zu 13 unterschiedliche Listen.

Schindler selbst war dem Buch zufolge auch nur indirekt an der Aufstellung der Listen beteiligt. Der Fabrikant saß damals in Haft der Gestapo wegen der versuchten Bestechung des berüchtigten SS-Lagerkommandanten Amon Göth.
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David M. Crowe: "Oskar Schindler", Verlag Eichborn, Berlin 2005
->   Mehr über das Buch bei Eichborn
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Differenziertes Bild der Person
Bild: Verlag Eichborn
Die trotz ihres wissenschaftlichen Charakters sehr lesbare und spannende Biografie zeichnet ein weit differenzierteres Bild von der schillernden Person Schindlers als der mit zahlreichen Oscars bedachte Film von 1993.

Auf der einen Seite wollte der Unternehmer aus dem Sudetenland nach dem Überfall von Nazi-Deutschland auf Polen in den besetzten Gebieten das schnelle Geld machen.

Schindler hatte in der damaligen Tschechoslowakei auch für die Nazis spioniert, wie Crowe in den Archiven herausfand.
Bestechung rettete 1.100 Juden das Leben
Auf der anderen Seite war der Kriegsgewinnler Schindler auch der listige Held, der 1.098 Juden vor dem sicheren Tod in den Vernichtungslagern bewahrte.

In hartnäckigen Verhandlungen und durch Bestechung gelang es Schindler, die Juden aus seiner Emailwarenfabrik in Polen in sein Brünnlitzer Werk in seiner sudetendeutschen Heimat zu lotsen. Dort überlebten sie den Krieg.
Positive Bewertung
Mehr als sieben Jahre lang hat Crowe in den Archiven recherchiert und mit zahlreichen Zeitzeugen, darunter den überlebenden Schindler-Juden, gesprochen.

Letztlich kommt der Historiker - wie schon der auf einem Roman basierende Film Spielbergs - zu einer positiven Bewertung Schindlers: "Trotz all seiner menschlichen Fehler ist er zu Recht berühmt geworden. Er hat 1.100 Juden vor dem Holocaust bewahrt. Das ist schon eine einmalige Tat. Man muss dabei berücksichtigen, dass er in Krakau - dem Herzen der Vernichtungsmaschinerie der Nazis - operiert hat."
Moralwandel nicht bloß Opportunismus
Crowe geht davon aus, dass die "moralische Transformation" des Glückritters Schindler ein ganz allmählicher Prozess gewesen sei. Die Rettung der Juden könne - angesichts der sich damals abzeichnenden deutschen Niederlage im Krieg - nicht allein mit Opportunismus erklärt werden.

"Schindler hat mit seiner Fabrik in Krakau sehr viel Geld gemacht. Dies alles hat er dann für die Juden in Brünnlitz ausgegeben und dabei auch sein eigenes Leben riskiert", sagte Crowe bei der Präsentation seines Buches im Jüdischen Museum in Frankfurt.
Nach dem Krieg ging es bergab
Akribisch schildert das Buch auch, wie dem Unternehmer nach 1945 nichts mehr richtig gelingt. Nach einigen Jahren in Argentinien kehrt Schindler, ein Frauenheld mit mehreren unehelichen Kindern, ohne seine Frau Emilie nach Deutschland zurück.

Von 1957 an lebt er in Frankfurt - bis zu seinem Tod 1974 im Alter von 66 Jahren. In seiner kleinen Wohnung am Frankfurter Hauptbahnhof verfällt er immer mehr dem Alkohol. Es sind die Schindler-Juden, die ihren Lebensretter finanziell über Wasser halten.
Erlebte Verfilmung seines Lebens nicht mehr
Nach seinem Tod wurde Schindler als einer der "Gerechten unter den Völkern" in Jerusalem begraben. Die Verfilmung seines Lebens hat er nicht mehr erlebt, obwohl die US-Filmgesellschaft MGM schon in den 60er Jahren darüber mit Schindler verhandelte.

"Amerika war damals noch nicht reif für einen solchen Film. Und man kann sicher auch sagen, dass Deutschland noch nicht reif war für jemanden wie Schindler", sagte Crowe zur Tatsache, dass Schindlers Heldentat jahrzehntelang niemanden hier so richtig interessierte.
Nächstes Projekt: Eichmann-Biografie
Der Historiker, Professor an der Elon University in North Carolina, hat bereits ein neues Projekt im Visier. Es geht um einen anderen Deutschen aus der Nazi-Zeit: Crowe will eine Biografie über den SS-Führer Adolf Eichmann schreiben, der 1962 in Israel wegen seiner Kriegsverbrechen hingerichtet wurde.

Thomas Maier/dpa, 27.5.05
->   Schindler bei Wikipedia
->   The Oscar Schindler Story
->   Schindler in der Jewish Virtual Library
->   David M. Crowe, Elon University
 
 
 
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01.01.2010