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Handeln: Zwischen Eigeninteresse und Gemeinwohl  
  Wirtschaftlich sinnvolles Handeln setzt auf Egoismus. Dass die Menschen in der Realität aber sehr oft kooperieren, bringt rein ökonomische Verhaltenstheorien ins Wanken. Der Wirtschaftspsychologe Simon Gächter untersucht beim Europäischen Forum Alpbach 2005 im August die Schnittmengen zwischen Eigeninteresse und Gemeinwohl - vorab präsentiert er einen Überblick über die ökonomische Verhaltensforschung.  
Die Ökonomische Verhaltensforschung
Von Simon Gächter

Während des Bergarbeiterstreiks in Großbritannien 1984 kam es häufig zu Ausschreitungen gegen Streikbrecher. Sie wurden von den Streikenden mit Verachtung und oft auch mit dem Ausschluss aus Vereinen und Dorfgemeinschaften sanktioniert.

Ähnlich erging es jenen "übereifrigen" Arbeitnehmern der Hawthorne-Werke (USA), die in ihrem Team mehr Leistung erbrachten, als die gültige Mindestmenge von ihnen verlangte. Dieses Verhalten wurde vom Team als "sozial schädlich" aufgefasst und deshalb bestraft.
Bestrafung für abweichendes Verhalten
Beispiele wie diese lassen sich viele finden. Sie illustrieren, dass häufig soziale Sanktionen unterschiedlicher Härte - von der Zurechtweisung bis hin zur völligen sozialen Isolierung - eingesetzt werden, um Normabweichungen und "Trittbrettfahrerverhalten" in "sozialen Dilemma-Situationen" zu bestrafen.

Soziale Dilemmata sind durch ein Auseinanderklaffen von Eigen- und Kollektivinteresse gekennzeichnet. Sie sind allgegenwärtig: So unterschiedliche Dinge wie Teamarbeit, die Teilnahme an Streiks und Demonstrationen, die freiwillige Mitarbeit bei der Landesverteidigung, das Engagement in Interessenvertretungen, private Umweltschutzmaßnahmen, die Bewirtschaftung von Allmende-Ressourcen, oder die Aufrechterhaltung eines Kartells, haben Elemente eines sozialen Dilemmas.
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Seminar beim Europäischen Forum in Alpbach
Simon Gächter von der Universität Nottingham leitet beim Europäischen Forum Alpbach 2005 gemeinsam mit Catherine C. Eckel vom Virginia Polytechnic Institute and State University, Blacksburg das Seminar "Experimental Economics" (19.-25.8.2005). science.ORF.at stellt dieses und weitere Seminare in Form von Gastbeiträgen vor.
->   Europäisches Forum Alpbach
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Ökonomische Theorie malt düstere Prognosen
Für all diese Situationen gilt, dass jedes Individuum von der Kooperation der anderen profitiert, auch wenn es sich selbst "unkooperativ" verhält. So kann ich von den Umweltschutzanstrengungen anderer profitieren, ohne selbst aktiv zu einer besseren Umweltqualität beizutragen.

Ähnliches gilt für die anderen Beispiele. Die ökonomische Theorie macht deshalb eine düstere Prognose: Jeder hofft darauf, dass andere "kooperieren" und trägt selbst nichts oder zu wenig zum "Gemeinwohl" bei, welches höher wäre, wenn jeder seinen Beitrag leisten würde.
Dennoch viele kollektive Aktionen
Dieser Vorhersage zum Trotz beteiligen sich viele Menschen an "kollektiven Aktionen", sie leisten ihren Beitrag zur Teamarbeit, tragen aktiv zum Umweltschutz bei und setzen sich in karitativen Organisationen und in Vereinen für das Gemeinwohl ein.

Natürlich kann Kooperation für die Gesellschaft als Ganzes auch schädlich sein, beispielsweise wenn dadurch Kartelle oder kriminelle Organisationen aufrechterhalten werden.
Ökonomische Verhaltensforschung erklärt
Wie kann nun dieses hohe Ausmaß an erfolgreicher Kooperation erklärt werden? Die neue ökonomische Verhaltensforschung ist dabei, Licht ins Dunkel zu bringen. Laborexperimente leisten hier einen wertvollen Beitrag.

Mit ihrer Hilfe können die Bestimmungsgründe des Kooperationsverhaltens unter kontrollierten Bedingungen ermittelt werden.
Beispiel: Das "öffentliche Gut-Spiel"
Ein Beispiel ist das "öffentliche Gut-Spiel". In diesem Spiel erhalten die Versuchspersonen eine bestimmte Geldausstattung, die sie in ein Gemeinschaftskonto investieren oder aber für sich behalten können. Wenn sie das Geld ins Gemeinschaftskonto investieren, profitieren alle Gruppenmitglieder. Ein "Trittbrettfahrer", der das Geld für sich behält, profitiert ebenfalls vom Gemeinschaftskonto, verfügt aber zusätzlich noch über das behaltene Geld.

Wenn also alle Spieler möglichst viel Geld verdienen wollen tragen sie nichts zum Gemeinschaftskonto bei. Allerdings führt dies dazu, dass die Gruppe als Ganzes weniger verdient, wie wenn alle ihr Geld ins Gemeinschaftskonto legen würden.

Dieses einfache Spiel bildet den Kern der oben beschriebenen "sozialen Dilemmata" ab, weil auch in diesem Spiel Eigen- und Gemeinschaftsinteresse auseinanderklaffen.
Kooperation hört nach Enttäuschungen auf
Zahlreiche Experimente mit diesem "öffentlichen Guts-Spiel" haben gezeigt, dass es wesentlich mehr Kooperation gibt, als von der Theorie prognostiziert wird. Also ist der Mensch doch kein Egoist, sondern dem Gemeinwohl verpflichtet?

Weitere Experimente zeigen, dass diese Schlussfolgerung zu kurz greift. Es scheint im Wesentlichen tatsächlich zwei "Typen" von Spielern zu geben, solche die Trittbrett fahren und nichts zum Gemeinschaftsprojekt beitragen und solche, die nur dann beitragen, wenn sie davon ausgehen, dass andere auch beitragen.

In Experimenten, in denen dieses Spiel wiederholt durchgeführt wird, bricht die anfänglich hohe Kooperation auch regelmäßig rasch zusammen, weil diejenigen, die beigetragen haben, merken, dass sie von den Trittbrettfahrern "ausgebeutet" werden.
Strafen ändern Verhalten
Dieses Ergebnis dreht sich rasch um, wenn man in den Experimenten den Spielern Sanktionsmöglichkeiten gibt. Konkret können die Spieler durch Bezahlen eines Geldbetrages das Einkommen der anderen Gruppenmitglieder reduzieren. Bestrafung ist für den Bestrafenden kostspielig und mit keinerlei materiellem Vorteil verbunden.

Trotzdem sind vor allem die kooperativ eingestellten Spieler bereit, Kosten auf sich zu nehmen, um Trittbrettfahrer zu strafen. Diese merken, dass sie bestraft werden, wenn sie nichts zum Gemeinschaftskonto beitragen und ändern deshalb ihr Verhalten.
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Lesehinweis
Fehr Ernst, & Simon Gächter (2002): Altruistic Punishment in Humans. Nature 415, 137-140.
->   Die Studie (pdf-Datei)
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Ausbeutungsaversionen weit verbreitet
Weitere Forschungen - in jüngster Zeit auch mit neurowissenschaftlichen Methoden - haben gezeigt, dass viele Menschen "ausbeutungsavers" sind, d.h., sie sind nicht bereit "die Dummen" zu sein, die kooperieren und von Trittbrettfahrern ausgenützt werden.

Ausbeutungsaversion ist mit negativen Gefühlen, wie Ärger und Antipathie gegen Trittbrettfahrer verbunden, wie die einführenden Beispiele drastisch gezeigt haben. Negative Gefühle führen zu einer "glaubwürdigen Drohung" einer Bestrafung, wodurch die Trittbrettfahrer diszipliniert werden.

Da ein erheblicher Teil der Menschen bedingt kooperativ eingestellt ist und negative Emotionen gegenüber Trittbrettfahrern empfindet und gegebenenfalls in Sanktionen ummünzt, tritt viel mehr Kooperation auf, als vom ökonomischen Modell prognostiziert wird.

[1.8.05]
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Kurzbiografie Simon Gächter
Simon Gächter, geboren 1965 in Nenzing/Vorarlberg, hat in Wien Volkswirtschaftslehre und Philosophie studiert und 1994 in Volkswirtschaftslehre promoviert. Nach Assistententätigkeit an den Universitäten Wien, Linz und Zürich, war er von 2000 bis 2005 ordentlicher Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen. Seit Februar 2005 ist er ordentlicher Professor für die "Psychologie ökonomischer Entscheidungen" am "Centre for Economic Decision Research and Experimental Economics" der Universität Nottingham (Großbritannien). Seine Forschungsinteressen liegen im Schnittbereich von Ökonomie und Psychologie.
->   Homepage Simon Gächter
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01.01.2010