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Ärztekammer fordert Handyverbot für Kinder  
  Ob Mobilfunkstrahlen schädlich für die Gesundheit sind oder nicht, ist seit Jahren Gegenstand widersprüchlicher Untersuchungen. Eine EU-Studie kam im Vorjahr zu dem Schluss, dass zu viel Handytelefonieren zu Schädigungen des Erbguts führen kann. Die Wiener Ärztekammer fordert nun drastische Konsequenzen - unter anderem ein Handyverbot für Kinder.  
Grundlage für den am Freitag vorgestellten Leitlinienkatalog der Ärztekammer ist die "Reflex-Studie", in der eindeutig ein gentoxischer Effekt von Mobilfunkstrahlen nachgewiesen wurde.
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Reflex steht für "Risk Evaluation of Potential Environmental Hazards from Low Energy Electro-magnetic Field (EMF) Exposure Using Sensitive in vitro Methods". Die von der EU mit mehr als zwei Millionen Euro geförderte Untersuchung wurde an mehreren Forschungszentren in Europa - unter anderem auch am Wiener AKH - durchgeführt. Federführend bei der im Mai 2004 beendeten Studie war die Münchner Stiftung für Verhalten und Umwelt (Verum).
->   Die Reflex-Studie (Verum)
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Gentoxischer Effekt nachgewiesen
Bei der Studie wurde die so genannte Mutagenität von Einflüssen, in diesem Fall von elektromagnetischen Feldern, überprüft. Man untersuchte Veränderungen in der Erbsubstanz, die der mögliche Beginn einer Tumorerkrankung sind. Ein Teil der Tests wurde an menschlichen Promyelozyten - einer Vorstufe von Zellen der Blutbildung - durchgeführt.

Eine Mutation solcher Zellen kann in weiterer Folge zu Leukämie und ähnlichen Erkrankungen des blutbildenden Systems führen.

Die Ergebnisse kurz gesagt laut Ärztekammer: Es gibt tatsächlich einen gentoxischen Effekt auf menschliche Zellkulturen von Mobilfunkstrahlen in der Stärke, wie sie von jedem GSM-Handy erzeugt werden.
->   Mehr dazu: Studie belegt DNA-Schäden durch Handys (16.12.04)
Trifft sich mit früheren Studien
Wie die Ärztekammer am Freitag in einer Aussendung betonte, zeigten Tierversuche schon früher gentoxische Wirkungen unter hochfrequenter Strahlung. Weiters seien in Gehirnen von Ratten nach zweistündiger Handybestrahlung vermehrt funktionslose Nervenzellen gefunden worden.

Zwei epidemiologische Untersuchungen hätten übereinstimmend ein drei- bis vierfach erhöhtes Risiko für Tumoren nach zehnjähriger Handynutzung gezeigt.

Mit der "Reflexstudie" wurde laut Ärztekammer für alle diese Ergebnisse ein zellbiologischer Zusammenhang nachgewiesen. Erik Huber, Referent für Umweltmedizin der Ärztekammer für Wien: "Würden Medikamente dieselben Prüfergebnisse wie Handystrahlen liefern, müsste man sie sofort vom Markt nehmen."
Kinder besonders gefährdet
Die Wiener Ärztekammer ruft die Bevölkerung deshalb zu mehr Sorgfalt im Umgang mit Mobilfunkgeräten insbesondere bei Kindern auf. Huber: "Wir müssen davon ausgehen, dass Kinder gegenüber hochfrequenter Strahlung empfindlicher sind als Erwachsene, da der Schädelknochen dünner ist und die kindlichen Zellen eine erhöhte Teilungsrate, in der sie auf gentoxische Effekte empfindlicher sind, aufweisen."

Daher habe man sich entschlossen, dem Beispiel des britischen Gesundheitsministeriums und des dänischen Gesundheitsrates zu folgen und auch in Österreich vor übermäßigem Handytelefonieren insbesondere von Kindern zu warnen.
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Leitlinien für das Handytelefonieren
Die folgenden Ärztekammer-Leitlinien für mobiles Telefonieren sollen laut Huber "ausdrücklich nicht nur für Kinder" gelten:

- Kinder unter 16 Jahren sollten Handys nicht benutzen.
- Nur in dringenden Fällen und dann nur kurz telefonieren.
- Handy in der Hosentasche und auch SMS-Versenden unter der Schulbank unterlassen.
- Beim Versenden von SMS das Handy vom Körper fernhalten.
- Handy nachts ausschalten, wenn eingeschaltet, nicht in Kopfnähe aufbewahren.
- Nicht in Fahrzeugen telefonieren, da hier das Handy mit höherer Leistung strahlt.
- Keine Spiele am Handy spielen.
- Handy während des Gesprächsaufbaus nicht an den Kopf halten.
- Ein paar Meter Abstand von anderen Personen halten, sie werden mitbestrahlt.
- Internet nur über Kabelverbindungen - UMTS und WLAN bedeuten hohe Strahlenbelastungen.
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Studienautor warnte vor Panikmache
Als die Reflex-Studie im Dezember 2004 vorgestellt wurde, warnte ihr Koordinator, Franz Adlkofer, vor Panikmache. Versuche im Reagenzglas seien nicht auf Lebewesen übertragbar, folglich sei kein Beweis erbracht, dass Handy-Strahlung für Menschen schädlich sei, sagte der Wissenschaftler damals in einem Interview.

Nach Ansicht Adlkofers, Geschäftsführer der Verum-Stiftung in München, wird es auch unter guten Voraussetzung sicherlich noch vier bis fünf Jahre dauern, bis ernsthafte Ergebnisse zu den Auswirkungen von Handy-Strahlung auf den Menschen vorhanden seien.
Mobilfunkbetreiber weisen Aussagen zurück
Die österreichischen Mobilfunkbetreiber weisen die Warnung der Wiener Ärtztekammer indessen zurück. "Dies sind Schauermärchen", meinte am Freitag der Geschäftsführer des Forums Mobilkommunikation (FMK) Thomas Barmüller.

Mit ihren Aussagen stelle sich die Wiener Ärtzekammer gegen den erzielten Konsens, nach dem es "nach derzeitigem Stand der Wissenschaft keinen Nachweis für eine Gefährdung der Gesundheit durch elektromagnetische Felder des Mobilfunks" gibt, wenn diese unterhalb der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Grenzwerte lägen.

[science.ORF.at/APA/OTS, 5.8.05]
->   EU-Projekt Reflex
->   Wiener Ärztekammer
->   science.ORF.at-Archiv zum Thema Handy
 
 
 
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01.01.2010