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Plagiatsforscher wurde plagiiert  
  Der Salzburger Medienwissenschaftler Stefan Weber publiziert regelmäßig zum Thema Plagiarismus. Kurioserweise wurde nun gerade er von einem Absolventen der Universität Tübingen plagiiert.  
Weil der deutsche Landesbeamte von der Doktorarbeit des Salzburgers abgeschrieben hat, wurde ihm im Juli der akademische Grad aberkannt. "Er hat 110 Seiten aus meiner Dissertation weitestgehend abgeschrieben", erzählt Weber im APA-Gespräch.
"Freud'sche" Einladung
Verdacht schöpfte Weber, als ihm der Tübinger Absolvent im April per Mail anbot, ihn als Referenten für zwei Lehrerfortbildungsseminare vorzuschlagen. In dem Schreiben entschuldigte sich der Informatiker und Beamte des Landes Baden-Württemberg, dass er den Salzburger Kollegen in seiner "philosophisch-theologischen Abhandlung nicht angemessen erwähnt" habe.
Vier Kapitel wörtlich übernommen
Dieser Satz machte den Österreicher stutzig. "Vielleicht drückte ihn das schlechte Gewissen. Oder er wollte mich milde stimmen", vermutet der Akademiker. Er bestellte sich das vermeintliche Plagiat im Buchhandel und las Wort für Wort nach. "Vier von fünf Kapitel meiner 270 Seiten umfassenden Arbeit sind weitgehend wörtlich übernommen worden. Der Umfang der Übernahme ist nahezu ein Totalplagiat."
Doktorgrad entzogen
Hartnäckig konfrontierte der Salzburger die Universität Tübingen mit seinem Fall. Am 18. Juli kam die Antwort. "Der Promotionsausschuss der Katholisch-Theologischen Fakultät beschließt, Herrn F. den mit Urkunde vom (...) verliehenen Doktorgrad mit Wirkung für die Vergangenheit zu entziehen", heißt es in dem Brief. Die Einspruchsfrist läuft allerdings noch bis zum 19. August.

Wie der Beamte Webers Werk, das 1996 in Buchform erschienen war, zum Großteil abkupfern konnte, erklärt der Salzburger so: "Entweder er hat es in einer Bibliothek gesehen oder über amazon.de bestellt. Promoviert hat der Deutsche dann 'magna cum laude', also mit Sehr Gut."
Bereits zwei Mal plagiiert
Weshalb gerade seine Dissertation mit dem Titel "Die Dualisierung des Erkennens" bereits zum zweiten Mal zum Teil kopiert wurde? "Diese Arbeit fällt wie kaum eine andere unter den Deckmantel der Interdisziplinarität. Da kann jeder aus mehreren Fachbereichen zusammenflicken, wie er will."

Der Kommunikationswissenschaftler gibt dem betreuenden Professor des Tübinger Absolventen nicht unwesentlich Schuld an dem Debakel. "Wenn Betreuer nicht den Riecher für Plagiate haben, dann sind sie eigentlich fehl am Platz."
"Was ist denn jetzt wahr?"
Reue habe der Landesbeamte bisher nicht gezeigt. "Er glaubt, das Richtige getan zu haben. Laut Dekan fühlt er sich unschuldig", sagt der Medienforscher. Noch am 16.8. stand der Name des Deutschen samt akademischem Titel auf einer aktuellen Internetseite. Pikanterweise wurde dort ein Seminar unter seiner Leitung angekündigt. Das Thema lautete: "Was ist denn jetzt wahr?"

[science.ORF.at/APA, 17.8.05]
Beiträge von Stefan Weber in science.ORF.at:
->   Plagiate: "Open Access" als Gegenstrategie?
->   Symposium warnt vor Kurzschlüssen zu Teleportation
->   Mehr zu Plagiarismus im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010