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Völkerrecht: Hin zur Weltverfassung?  
  Der Kosovo-Krieg Ende des 20. Jahrhunderts hat die Weltgemeinschaft vor neue Herausforderungen der Zusammenarbeit gestellt. Welche Tendenzen es für eine Entwicklung hin zur Weltverfassung für das Völkerrecht gibt, beleuchtet der Rechtswissenschaftler Christoph Grabenwarter in einem Gastbeitrag. Er leitet beim Europäischen Forum Alpbach 2005 ein Seminar zu diesem Thema.  
Die Zukunft des Völkerrechts
Von Christoph Grabenwarter

Das Völkerrecht befindet sich gegenwärtig im Umbruch. Tendenzen einer Entwicklung des Völkerrechts hin zu verfassungsrechtlichen Kategorien wurden im späten 20. Jahrhundert theoretisch und zunächst konzentriert auf den Charakter der Charta der Vereinten Nationen geführt.

Auch für den Bereich der Menschenrechte oder im internationalen Wirtschaftsrecht wurden von manchen Umrisse einer Weltverfassung ausgemacht.
Auf dem Weg zur Weltverfassung?
Die Krise am Balkan und die folgende Intervention der Nato-Staaten im Kosovo Ende der neunziger Jahre schied dann die Geister. Für die einen bildete sie einen entscheidenden Schritt weg von einer veralteten staatenzentrierten Völkerrechtsordnung zu einer Weltverfassung verbunden mit der Deutung des Menschen als Weltbürger (Habermas).

Diese Sicht freilich blieb bestritten, gewichtige Stimmen sahen im Vorgehen der Nato-Staaten einen Rückfall in das 19. Jahrhundert.
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Seminar beim Europäischen Forum in Alpbach
Zu diesem Thema werden beim Europäischen Forum Alpbach 2005 zwei führende Experten - Christoph Grabenwarter von der Karl-Franzens-Universität Graz und Christian Hillgruber von der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn - das Seminar "Konstitutionalisierung des Völkerrechts?" (19.-20., 22.-25.08.2005) leiten. science.ORF.at stellt dieses und weitere Seminare in Form von Gastbeiträgen vor.
->   Europäisches Forum Alpbach
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Humanitäre Intervention: Rechtlich zulässig?
Die Diskussion um die Annäherung des Völkerrechts an verfassungsrechtliche Kategorien entspinnt sich heute vor allem am Fall der so genannten "humanitären Intervention", des militärischen Einschreitens zugunsten der Menschenrechte und der Demokratie. Sie wird von vielen auch heute nicht als rechtlich, sondern bloß als politisch zu rechtfertigen angesehen.

Ist die humanitäre Intervention rechtlich zulässig? Lassen sich in Teilbereichen "Konstitutionalisierungstendenzen" festmachen? Das Meer völkerrechtlicher Verträge gibt darauf keine (jedenfalls keine positive) Antwort.

Die Praxis ist uneinheitlich. So wird die Krise in Tschetschenien international wahrgenommen, ohne dass sich die Staatengemeinschaft zum Einschreiten veranlasst sähe.
Militärische Interventionen in staatlicher Hand
Die internationalen Beziehungen und das Völkerrecht entwickeln sich seit 9/11 in einer Weise, die den Staat zunehmend in den Mittelpunkt rückt. Zwar nimmt sich die Staatengemeinschaft gerade auch im Rahmen der Vereinten Nationen des Problems des Terrorismus an.

Militärische Interventionen sind jedoch zunächst und im Ergebnis von einzelnen Staaten initiiert und getragen, mag es auch mehr oder weniger erfolgreiche Versuche geben, rechtliche Deckung im Recht der Vereinten Nationen zu finden.
"Keine Konstitutionalisierung einer Weltgemeinschaft"
Das Vorgehen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten gegen den Irak des Saddam Hussein belegt keine Konstitutionalisierung einer Weltgemeinschaft, sondern vielmehr, dass es nationale Interessen und einzelne Staaten sind, die darüber entscheiden, ob aus Gründen der Wahrung der Menschenrechte oder der Demokratie in die Souveränität anderer Staaten eingegriffen wird.

[17.8.05]
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Der Autor des Gastbeitrages
Christoph Grabenwarter, geb.1966 in Bruck/Mur, studierte Rechts- u. Handelswissenschaft in Wien; 1997 Habilitation für Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht u. Rechtsvergleichung im Öffentlichen Recht an der Universität Wien; 1997-1999 Gastprofessor an der Universität Linz; 1999-2002 Ordinarius für Öffentliches Recht und Direktor des Kirchenrechtlichen Institutes an der Universität Bonn; seit 2002 Universitätsprofessor für Vergleichendes und Europäisches Öffentliches Recht und Wirtschaftsrecht an der Universität Graz; 2001-2005 Mitglied des Bundeskommunikationssenates; seit 2005 Ersatzrichter am Liechtensteinischen Staatsgerichtshof u. Mitglied des Verfassungsgerichtshofes.
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Mehr Gastbeiträge zum Europäischen Forum Alpbach 2005:
->   Wie Tiere denken (12.8.05)
->   Neustart der Lissabon-Strategie bringt nichts Neues (5.8.05)
->   Handeln: Zwischen Eigeninteresse und Gemeinwohl (1.8.05)
 
 
 
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01.01.2010