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ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Kultursensible Medizin für Frauen fehlt  
  Das Gesundheitsrisiko von Frauen ethnischer Minderheiten, die in westlichen Gesellschaften leben, ist höher als von westlichen Frauen. Laut einer Wiener Ethnologin liegt die Ursache darin, dass die moderne Medizin bei Untersuchungen nicht genug auf kulturelle Werte der Frauen eingeht.  
Christine Binder-Fritz vom Institut für Geschichte der Medizin, Medizinische Universität Wien, untersuchte die Folgen einer fehlenden kultur- und geschlechtssensiblen Gesundheitsversorgung am Beispiel Neuseelands und Österreichs. Der Wissenschaftsfonds FWF, Träger des Projekts, stellte in einer Aussendung erste Ergebnisse vor.
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Das FWF Projekt "Transkulturelle Aspekte der Frauengesundheit" beleuchtet die reproduktive Gesundheit von Frauen mittels eines interkulturellen Vergleichs.
->   FWF-Projekt
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Kulturelle Werte ohne Bedeutung
Laut der Projektleiterin Binder-Fritz finden spezielle gesellschaftliche und kulturelle Bedürfnisse in den Gesundheitseinrichtungen der modernen westlichen Welt bisher kaum Berücksichtigung.

Davon betroffen sind vor allem hier lebende Migrantinnen und ethnischen Minderheiten zugehörige Frauen.
Aus Angst keine Krebsvorsorge
Diese Frauen schrecken vor Untersuchungen und Behandlungsmethoden zurück, die nicht ihrer Lebenswelt entsprechen.

Wie Binder-Fritz herausgefunden hat, lehnen sie insbesondere Krebs-Vorsorgeuntersuchungen ab. Damit setzen sie ihre Gesundheit aufs Spiel.
Am Beispiel der Maori-Frauen
Diese Beobachtung machte die Forscherin vor allem während eines insgesamt 16 Monate dauernden Forschungsaufenthaltes in Neuseeland.

Viele, vor allem ältere Frauen der dort lebenden Maori-Urbevölkerung, suchten unter anderem aus Angst, die der eigenen Tradition entsprechenden Schamgrenzen zu verletzen, keinen Arzt oder Gynäkologen auf.

Es ist für die Maori-Frauen unvorstellbar, vor einem Arzt fremder Kultur intime Regionen zu entblößen.
Gesundheitsrisiko steigt ...
Die Konsequenz ist eine ernst zu nehmende Gefährdung der Gesundheit dieser Frauen, wie Binder-Fritz sagt: "Im Gegensatz zur Nicht-Maori-Bevölkerung weisen die Indigenen, die oftmals auch sozial mehrfach benachteiligt sind, eine viel niedrigere Lebenserwartung auf."

Laut der Ethnologin ist die höhere Sterberate bei den Maori-Frauen neben Krankheiten wie Diabetes vor allem auf eine auffallend häufige Erkrankung an bösartigen Tumoren, besonders an Brust- oder Gebärmutterhalskrebs, zurückzuführen.
... Lebenserwartung sinkt
Diese spezifisch weiblichen Erkrankungen enden bei vielen dieser Frauen deshalb tödlich. Eine rechtzeitige Untersuchung, auch im Zusammenhang mit kulturspezifischen Gesundheits- und Krankheitsvorstellungen, wird verabsäumt.

Die anhand der einheimischen Maori-Bevölkerung Neuseelands gewonnenen Erfahrungen stellen dabei nicht die Ausnahme, sondern vielmehr die in westlichen Gesellschaften vorherrschende Regel dar, wie das Projekt ergeben hat.
Situation in Österreich ähnlich
Auch in Österreich kommt es in der gynäkologischen Gesundheitsbetreuung und der Geburtshilfe bei Migrantinnen immer wieder zu Problemen.

Die Ethnologin und Medizinanthropologin Binder-Fritz, die selbst neben ihrem Studium jahrelang als medizinisch-technische Analytikerin in einer Frauenklinik tätig war, konnte in Österreich vor allem Spannungsfelder rund um die Geburtshilfe beobachten.
Negative Folgen für Geburten
Die Vorstellung einer idealen Geburt kann je nach Kultur sehr stark von den westlichen biomedizinischen Praktiken abweichen, so Binder-Fritz: "Viele Frauen sind es nicht gewohnt, während der Schwangerschaft medizinisch begleitet und regelmäßig gynäkologisch untersucht zu werden."

Angst, die eigenen Interessen und Vorstellungen nicht durchsetzen zu können, sowie sprachliche Barrieren bringe viele Migrantinnen in einen Spannungszustand. Dieser kann sich negativ auf die Gesundheit der werdenden Mutter und ihres ungeborenen Babys auswirken. Geburtskomplikationen sind mitunter die Folge.
Öffentliches Bewusstsein steigt
In Neuseeland ist es laut FWF nun bereits zu einem Umdenken gekommen. Nach dem Motto "Mit Maori für Maori" wurden spezielle Gesundheitszentren eingerichtet. Diese gewährleisten eine adäquate Gesundheitsversorgung dank speziell ausgebildeter Maori-Krankenschwestern.
Verbesserte Ausbildung gefordert
Die Studienergebnisse sollen nun auch in Österreich als Grundlage für eine vermehrt kultur- und geschlechtsgerechte medizinische Versorgung dienen.

Diese kann in Zukunft nur durch eine Aus- und Weiterbildung des medizinischen Personals und die Miteinbeziehung von ethnischen Minderheiten und Migrantinnen ermöglicht werden, sagt Binder-Fritz. Ein diesbezügliches Forschungsprojekt ist in Vorbereitung.

[science.ORF.at, 22.8.05]
->   Institut für Geschichte der Medizin
->   Wissenschaftsfonds FWF
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01.01.2010