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Selbstmitleid: Guter Partner für schwere Zeiten  
  Selbstmitleid ist hilfreicher als Selbstbewusstsein, wenn es darum geht, Rückschläge im Leben wegzustecken. Laut einem US-Psychologen behandelt sich der Selbstmitleidige dann wie einen guten Freund.  
Selbstmitleid ist für den Psychologen Mark Leary von der Wake Forest University auch eine Fähigkeit, sich selbst bei Fehlern, erfahrener Ablehnung, Niederlagen und anderen negativen Ereignissen gut zu behandeln.

Obwohl westliche Gesellschaften Selbstbewusstsein nach wie vor sehr schätzten, sei das Selbstmitleid wichtiger. Seine Forschungsergebnisse stellte Leary bei einer Konferenz der Amerikanischen Psychologischen Vereinigung vor.
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Das Paper "Adaptive Self evaluations: Self-compassion vs. Self-esteem" wurde bei der Jahresversammlung der American Psychology Association (18.-21. August 2005, Washington, D.C. ) präsentiert.
->   Meldung der Universität zur Arbeit von Leary
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Ich, mein Freund
Seine Behauptung stützt der Psychologe auf drei Studien, die alle zeigten, dass selbstmitleidige Menschen oftmals das bessere Mittel im Umgang mit negativen Ereignissen zur Hand haben als selbstbewusste.

"Selbstmitleid beinhaltet, sich selbst mit derselben Freundlichkeit zu behandeln, wie man einen Freund behandeln würde - unabhängig davon, ob man sich gut fühlt oder nicht", sagt Leary. Selbstmitleid sei einfach, ein gutes Gefühl sich selbst gegenüber zu haben.
Weniger negative Gefühle
In einer ersten Untersuchung konfrontierte Leary männliche und weibliche Studenten mit imaginären Situationen wie dem Durchfallen bei einem wichtigen Test, dem Verlieren eines Leichtathletikwettbewerbs und einem Black-out während einer Vorführung.

Die Studenten, die das meiste Selbstmitleid aufwiesen, erfuhren weniger negative Gefühle beim Sich-Erinnern an die Stresssituation als diejenigen, die mit großem Selbstbewusstsein antraten.

Leary beobachtete, dass die Menschen mit mehr Selbstmitleid die unangenehmen Erfahrungen leichter wegsteckten. Sie würden weniger oft denken, welch ein Verlierer sie seien oder dass sie am liebsten sterben wollten.
Eher glücklich
Auch bei der Konfrontation von Studenten mit weniger schmeichelhaften Kommentaren nach ihrer persönlichen Vorstellung sammelte das Selbstmitleid Pluspunkte.

Die selbstmitleidigen Teilnehmer waren glücklicher und weniger wütend als diejenigen mit weniger Selbstmitleid.

"Selbstmitleid könnte Menschen helfen, negative Ereignisse abzufangen und positive Gefühle einem selbst gegenüber zu erzeugen", schlussfolgert Leary. Selbstbewusste Menschen würden eher Gefahr laufen, sich selbst verteidigen zu wollen oder Ansprüche zu erheben.
Selbstmitleid ist erlernbar
In einer dritten Studie versuchte der US-Psychologe, das Selbstmitleid durch mehrere Übungen zu steigern. Die Teilnehmer wurden gebeten, sich an eine negative Erfahrung aus ihrer Schul- oder Universitätszeit zu erinnern. Dann sollten die Teilnehmer einen "Brief" an sich selbst schreiben, so wie sie ihn an einen guten Freund schreiben würden - mit entsprechender Güte und Verständnis.

"Die dritte Studie zeigte, dass Selbstmitleid erlernt werden und dieser Gedankenzustand, wenigstens kurzfristig, positive Effekte haben kann", sagt Leary.
Selbstmitleid mit Verantwortung
Aber übernehmen selbstmitleidige Menschen auch Verantwortung für ihre Probleme? Ein überraschender Befund: Laut den Ergebnissen des Psychologen gehen stark selbstmitleidige Personen sogar verantwortlicher mit ihren Problemen um. Sie seien eher fähig, sich ihre Fehler einzugestehen.

Fazit für Leary: Gerade positive Eigenschaften, die in der Vergangenheit dem Selbstbewusstsein zugeschrieben wurden, sind eher dem Selbstmitleid zuzuordnen.

[science.ORF.at, 22.8.05]
->   American Psychological Association
->   Department of Psychology, Wake Forest University
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   PC-Spiele sollen Selbstbewusstsein stärken (6.5.04)
 
 
 
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01.01.2010