News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Spitzenmedizin: Bekommt jeder, was er braucht?  
  Bekommt jeder Patient in Österreich, was er oder sie braucht? Vor zwei Wochen haben Krebsspezialisten aus dem Wiener AKH Alarm geschlagen: Es fehle Geld für moderne und effiziente, aber teure Krebsmedikamente. Der Aufschrei der Spitzenmediziner wird in Wissenschaftlerkreisen nicht nur als mutiger Schritt in die Öffentlichkeit gesehen, sondern auch als Panikmache. Denn "neu und teuer" heiße bei Medikamenten nicht unbedingt auch "besser".  
Medizinunis, Spitäler: Weniger Geld - mehr Geld
Einschnitte schmerzen. Die Medizinunis in Österreich bekommen z.B. weniger so genannten "klinischen Mehraufwand" vom Bund, sagt Maria Hofmarcher vom Institut für Höhere Studien (IHS).

Doch die Gesundheitsreform habe 300 Millionen Euro an zusätzlichem Geld gebracht, die Hälfte davon für die Spitäler. Die Gesundheitsökonomin Hofmarcher versteht den Schmerzensschrei der Wiener Krebsspezialisten, relativiert ihn aber auch.
Nicht innovativ, aber neu
Weniger übers Geld reden, denn über die Effizienz von Medikamenten - meint Claudia Wild vom Institut für Technikfolgenabschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Nicht alle neuen Medikamente, die auf den Markt kommen, werden auch gebraucht, so Wild im ORF-Radio: Denn nicht alle neuen Präparate seien auch innovativ.

"Ein deutsches Pharmakologen-Team der Uni Köln hat ermittelt, dass pro Jahr 460 Human-Arzneimittel am deutschen Markt zugelassen werden - davon sind 17 neu und davon wiederum hat die Hälfte ein neues Wirkstoffprinzip. Die anderen sind Analogpräparate - das heißt sie sind wirkungsident. Hier besteht ein riesiges Einsparungspotential, ohne dass der Patient es spürt", meinte Wild.
Klinische Studien stammen meist von Firmen
In der Diskussion um die "besten" Medikamente gibt Claudia Wild zu bedenken, dass Studien, die die Wirksamkeit eines Präparates testen sollen, im Regelfall nicht von unabhängigen Wissenschaftlern durchgeführt werden, sondern von Firmen: "Die haben hochselektives Patientengut, werden unter Idealbedingungen durchgeführt und entsprechen nicht immer den Patienten, die im normalen klinischen Alltag behandelt werden."
Längeres Abwarten wäre angebracht
Wie könnte man sicherstellen, dass ein Patient das für ihn beste Medikament bekommt: "In vielen Bereichen wäre ein längeres Abwarten angebracht. Der nächste Schritt ist der, dass man sich anschaut, welche neuen Medikamente bzw. welchen neuen Operationsmethoden auch in einem solidarisch finanzierten System einen Mehrwert bringen - also besser sind als herkömmliche Methoden, die schon länger eingeführt sind und im Regelfall kostengünstiger sind. Länger eingeführte Methoden haben eine Lernkurve hinter sich und werden auch ganz gut durchgeführt."
Heikle Kosten-Nutzen-Rechnungen
Einige der diskutierten teuren Krebs-Medikamente brächten laut Claudia Wild den Patientinnen vier bis fünf Lebensmonate - die Bewertung von vier bis fünf zusätzlichen Lebensmonaten sei weniger eine medizinische Frage, sondern eine gesellschaftspolitische Frage.

Claudia Wild im Ö1-Mittagsjournal: "Das ist eine Prioritätenfrage: Wohin lenken wir das vorhandene Budget? Eher in Forschungsrichtungen, die zu heilen versuchen, oder eher in die Richtung, dass wir versuchen, Leben unter allen Umständen zu verlängern?"
Gesundheitsausgaben steigen weiter an
Was kann sich Österreich überhaupt leisten? Im Jahr 2002 wurden laut dem Institut für Höhere Studien 19,6 Milliarden Euro für Gesundheit ausgegeben.

Österreich könne es sich leisten, jedem Patienten das zu geben, was er braucht, meint die Gesundheitsökonomin Maria Horfmarcher im ORF-Radio: "Wir wissen aus eigenen Berechnungen, dass der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP bis zum Jahr 2050 um 30 Prozent steigen würde - allein bedingt durch die Altersentwicklung in den nächsten Jahren. Wenn andere Faktoren - z.B. technischer Fortschritt - berücksichtigt werden, dann wäre die Steigerung höher."
Patientenschreck ...
Die Kritik der Krebsspezialisten vom Wiener AKH - es gäbe zwar die neuesten Medikamente, aber sie seien zu teuer und könnten daher nicht jedem Patienten und jeder Patientin verschrieben werden - hält Claudia Wild für nicht unbedingt gerechtfertigt:

"Zum Teil ist der Aufschrei ein willkürlicher, weil man seit vielen Monaten weiß, dass die monoklonalen Antikörper auf den Markt kommen werden. Einige Präparate sind zugelassen, andere sind es noch nicht einmal. Es ist ein Druckmachen - ein Unterdrucksetzen der Politik und gleichzeitig eine große Verunsicherung der Patienten. Und das ist unfair."
... oder gerechtfertigter Aufschrei?
Der Wiener Sozialmediziner Michael Kunze wiederum von der Medizinuni Wien versteht den Aufschrei der Onkologen. Es seien seriöse Mediziner, die wüssten was sie tun. Es gebe in Österreich kein Finanzierungsproblem, sondern ein Verteilungsproblem, sagt Kunze.

Derzeit bekomme jeder Patient, was er braucht. Damit es auch in Zukunft so bleibe, müsse vorbeugend die Diskussion öffentlich geführt werden.

Barbara Daser, Ö1-Wissenschaft, 22.8.05
->   Institut für Höhere Studien
->   Institut für Technikfolgenabschätzung (ÖAW)
->   AKH Wien
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010