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Exzellenz: Eine Frage des Geschlechts?  
  Ob ein Forscher als exzellent angesehen wird, lässt sich objektiv etwa durch Publikationen und Zitierungen bestimmen - so zumindest der "Common Sense" unter Wissenschaftlern. Dennoch wird Exzellenz aber eher Männern als Frauen zugeordnet, selbst wenn die Fakten dagegen sprechen. Die Harvard-Forscherin Eva Schernhammer beschreibt in einem Gastbeitrag, wie US-Unis mit der Diskriminierung von Wissenschaftlerinnen umgehen und welche Methoden bereits Erfolge gezeigt haben.  
Exzellenz und Geschlecht: Der aktuelle Diskurs in den USA
Von Eva Schernhammer

Anfang 2005 versetzte eine unüberlegte Aussage Larry Summers, Präsident der Harvard Universität, die ForscherInnenwelt Nordamerikas in Aufruhr. In seinem mittlerweile legendärem Statement versuchte er, den relativen Frauenmangel an Amerikanischen Universitäten schlichtweg darauf zurückführte, dass es "scheinbar auf vielen Ebenen, und für die verschiedensten menschlichen Eigenschaften, wie etwa Körpergrösse und -gewicht, kriminelle Tendenzen, Intelligenzquotient, sowie mathematische und wissenschaftliche Fähigkeiten im Allgemeinen - dass es da recht klare Evidenze für einen inhärenten Unterschied zwischen Mann und Frau gibt."

Dem muss hinzugefügt werden, dass unter Summers' Präsidentschaft die Anzahl jener Frauen welche Tenure (gleichzusetzen mit der Pragmatisierung) erhielten, deutlich rückläufig war; die Entscheidung, wem Tenure verliehen wird, obliegt jedoch alleiniglich der Entscheidungsgewalt des Präsidenten.
US-amerikanischer Diskurs Europa voraus
Die Benachteiligung von Wissenschafterinnen, insbesondere bei Beschäftigungsquoten, beruflichen Anforderungen und beruflicher Beförderungen, ist ein weit unterschätztes Problem das nicht nur in europäischen Ländern sehr prävalent ist. Durch Summers Bemerkung wurde es auch wieder vermehr in den Vordergrund des amerikanischen Diskurses gerückt.

Glaubt man den Daten, so besteht auch in den USA bis heute noch eine deutliche Benachteiligung für Frauen auf nahezu allen universitären Ebenen. Dass die Situation dennoch nicht ganz so traurig wie in Europa ist, lässt darauf schliessen, dass die Amerikaner in mancher Hinsicht dem europäischen Diskurs voraus sind. So lassen sich klare Unterschiede im universitären System identifizieren, die durchaus eine tragende Rolle spielen mögen.
->   Frauenarme Wissenschaften an US-Universitäten (24.8.05)
Deutliche Unterschiede zwischen Europa und USA
Während in den USA, ähnlich wie in Europa, seit geraumer Zeit gut definierte Kriterien festgelegt wurden, die zur beruflichen Beförderung und Neurekrutierung von Universitätsprofessoren herangezogen werden, unterscheidet sich das amerkanische System von unserem dennoch deutlich.
Diskriminierende Details aus Lebenslauf entfernen
Es müssen zum Beispiel in den USA alle Details aus dem Lebenslauf entfernt werden, die auch nur in geringster Weise zu Diskriminierung führen könnten. Das Alter, die ethnische Zugehörigkeit, und das Geschlecht einer Person sind anonymisiert.

Da aber das Geschlecht aufgrund des Vornamens häufig selbstexplizit ist, stellt die Vermeidung von geschlechtsspezifischer Diskriminierung eine besondere Herausforderung dar und wird in den USA vor allem mittles objektiver und geschlechtsneutraler Kriterien bekämpft, die bei der Postenvergabe und Beförderung für Mann und Frau gleichermassen eingesetzt werden müsssen.
Messung von Exzellenz durch mehrere Ansatzpunkte
Diese richten sich vor allem auf die Messung und Bewertung von Exzellenz an der Universität aus und beinhalten Faktoren, welche sich hauptsächlich auf die Anzahl von Trainingsjahren nach der Universitätsausbildung, Anzahl von Autorenschaften, Lehrtätigkeit, dem Nachweis des Erbringens externer Fördermittel, sowie der effektive Rolle als Mentor für Studenten und Kollegen stützen.
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Kriterienliste von Harvard
Für Harvard wurde eine detaillierte Liste der Bewertungskriterien im öffentlich zugänglichen ¿Purple Handbook¿ publiziert:

Im Zentrum stehen:
- Anzahl der Trainingsjahre nach Universitätsausbildung
- Anzahl der Autorenschaften (Erst-, Letzt-) in wissenschaftlichen Journalen die sich peer-review unterziehen
- Unabhängigkeit vom wissenschaftlichen Seniormentor
- Lehrtätigkeit
- Mitgliedschaft in reputablen Berufsverbänden
- Nachweis des Einbringens externer Fördermittel
- Effektive Rolle als Mentor für Studenten und Kollegen
- Auszeichnungen und Preise, sowie andere bemerkenswerte akademische Errungenschaften
->   Das "Purple Handbook" als .pdf-Handbuch
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Mentoring wird hohe Bedeutung beigemessen
Darüber hinaus kommt in den USA, im Unterschied zu Europa, vor allem dem Mentoring von Studenten und jüngeren Kollegen eine zentrale Bedeutung zu. De facto sind in jedem akademischen Lebenslauf die zum Teil unzähligen Mentees detailliert aufgelistet, wobei auch immer auf die gegenwärtige Position der jeweiligen Personen Bezug genommen wird.

Das aktive und erfolgreiche Mentoring ist nicht nur ein fixer Bestandteil der Evaluierung, sondern auch Grundvoraussetzung um Tenure zu erlangen.
Joberfolg des Mentees als Referenz für MentorIn
Da Mentoring bereits im frühen Studentenalter einsetzt, ergeben sich wenige Anhaltspunkte für eine geschlechtsspezifische Diskriminierung.

Die Hilfe bei der Jobsuche stellte eine weitere, sehr wichtige Funktion des Mentors/der Mentorin dar, was insoferne eine Selbstvertändlichkeit ist, da an amerikanischen Universitäten der berufliche Erfolg eines Mentees von seinen Mentoren in der Regel als Prestige betrachtet wird und in die Evaluierung des Mentors bei dessen Beförderung miteinbezogen wird.
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Alpbach-Arbeitskreis zum Thema
Eva Schernhammer wird ihre Thesen bei den Alpbacher Technologiegesprächen im Rahmen des Arbeitskreises "Wissenschaftliche Exzellenz - eine Frage des Geschlechts" am 26. August 2005 präsentieren.

Der Arbeitskreis beschäftigt sich mit Begriffen der wissenschaftlichen Exzellenz vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Zuschreibungen und thematisiert Bewertungsverfahren, Karriereverläufe und Stereotypen.
->   Details zu Arbeitskreis und Vortragenden
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Prinzip Aufklärung auch erfolgreich
Andere, wichtige Ansatzpunkte im Versuch, Geschlechterdiskriminierung an den Universitäten hinan zu halten, lassen sich am Besten anhand der Universität von Wisconsin illustrieren.

Dort wurde nach dem Motto "Aufklärung" vorgegangen: Vorstand Christopher de Marco folgte dem Prinzip "What really wins over academics is science" und verteilte Kopien der rezenten Literatur zu Geschlechterbias an seine Fakultätssuchkomission.

Gleichzeitig überreichte er eine Liste aller weiblichen Hochschulabgängerinnen. Unter seiner vorbildlichen Leitung gelange es, den Frauenanteil der Fakultät signifikant zu erhöhen.
Aktuelle Probleme: Zurückweisung durch die Kollegen ...
Obwohl, wie mittlerweile mehrfach belegt, ein gehobenes Problembewusstsein zur Reduzierung von Geschlechterdiskriminierung wohl beizutragen mag, so bleibt zusammenfassend dennoch zu befürchten, dass andere, tiefer verwurzelte Probleme, die mehr mit dem traditionellen Mann-Frau Bild zu tun haben mögen, wahrscheinlich noch für längere Zeite bestehen bleiben werden.

Die Literatur beschreibt, wie sich erfolgreiche Frauen häufig mit neuen Problemen konfrontiert sehen, die nun vor allem auf der sozialen Zurückweisung durch ihre männlichen Kollegen basieren.
... und Geschlechterstereotypien
Immer noch wird es in unserer männerorientierten Gesellschaft oftmals nicht gerne gesehen, wenn Frauen typisch männliche (und für Männer auch durchaus positiv bewerte) Eigenschaften, wie etwa Durchsetzungvermögen und Erfolgsorientierung, zur Schau stellen. Wie man als Frau damit umgeht, bleibt wohl letztlich jeder einzelnen selber überlassen.

Sollte dies jedoch das einzige verbleibende Problem für Frauen in der Wissenschaft darstellen, so ist wohl bereits ein grosser Durchbruch gelungen.

[24.8.05]
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Informationen zu Eva Schernhammer
Eva Schernhammer ist Assistant Professor für Medizin an der Harvard Medical School. Sie machte sich bisher vor allem mit Publikationen auf dem Gebiet der Krebsepidemiologie mit Schwerpunkt Brustkrebs, gastrointestinale Tumore sowie Biomarker einen Namen. Sie ist Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Vereinigungen (u.a. der American Association for Cancer Research) und wurde für Ihre Arbeit bereits mehrfach ausgezeichnet.
->   Eva Schernhammer: Krebsforschung in Harvard (6.11.03)
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Mehr über die Arbeit von Eva Schernhammer in science.ORF.at:
->   Studie: Nachtarbeit erhöht Dickdarmkrebsrisiko (13.6.03)
Weitere Gastbeiträge in science.ORF.at zum Forum Alpbach 2005:
->   Über smarte Technologien und ihre Nutzer (22.8.05)
->   Völkerrecht: Hin zur Weltverfassung? (18.8.05)
->   Wie Tiere denken (12.8.05)
->   Neustart der Lissabon-Strategie bringt nichts Neues (5.8.05)
->   Handeln: Zwischen Eigeninteresse und Gemeinwohl (1.8.05)
 
 
 
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01.01.2010