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Erbgut des Schimpansen entziffert  
  Was macht den Menschen zum Menschen? Das Erbgut alleine mit Sicherheit nicht: Teilen wir doch mit Hühnern rund 60 Prozent und mit Nagetieren 88 Prozent aller Gene. Ein internationales Forscherteam hat nun die DNA des Schimpansen entziffert, dem nächsten Verwandten des Menschen. Je nach Definition ist sie bis zu 99 Prozent mit dem Erbgut des Menschen identisch - die größten Unterschiede gibt es nicht im Gehirn, sondern im Hoden.  
Bild: Yerkes National Primate Research Center
"Clint"
Das ist das Resultat eines Sequenzierungsprojekts von insgesamt 67 Forschern aus fünf Ländern, das sie zeitgleich in den beiden großen Fachzeitschriften "Nature" und "Science" veröffentlicht haben.

Die Federführung lag bei der Harvard Universität und dem benachbarten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston.

Die DNA zur Sequenzierung stammte vom Blut eines männlichen Schimpansen namens "Clint" vom Yerkes National Primate Research Center, der im Vorjahr im relativ jungen Alter von 24 Jahren gestorben war.
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"Nature" hat der Entzifferung des Schimpansen-Erbguts einen "Web-Focus" (1.9.05) gewidmet.
->   Nature-Web-Focus
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"Buchmetapher des Lebens" wieder bemüht
Zu dem Katalog von rund drei Milliarden Gensequenzen, welche die DNA des Schimpansen (Pan troglodytes) ausmachen, sagte der Direktor des amerikanischen Instituts für die Erforschung des menschlichen Genoms (NHGRI), Francis Collins: "Wir haben jetzt das Buch der Instruktionen für unseren nächsten Verwandten."

Die Arbeit werde dabei helfen, die menschliche DNA nach den Ursachen für bestimmte Krankheiten zu untersuchen, sagte Collins.
Gemeinsame Vorfahren vor sechs Mio. Jahren
Menschen und Schimpansen haben gemeinsame Vorfahren und sich vor etwa sechs Millionen Jahren auseinander entwickelt. Seitdem veränderte sich ihr genetischer Bauplan ungeachtet der Evolution kaum.

Jüngste Fossilienfunde aus dem heutigen Kenia lassen erkennen, dass die Vorfahren des modernen Menschen noch vor etwa 500.000 Jahren in Afrika Seite an Seite mit den Schimpansen lebten.
40 Millionen Gensequenzen unterschiedlich
Ihr Erbgut ist zwar je nach Messweise zu 96 bis 99 Prozent identisch. Die genetischen Unterschiede sind aber zehn Mal so groß wie die Unterschiede zwischen zwei Menschen.

Jetzt wollen sich die Wissenschaftler auf etwa 40 Millionen Gensequenzen konzentrieren, die bei Menschen und Schimpansen verschieden sind.
Am wenigsten Unterschiede im Gehirn
Bild: Nature
"Nature"-Cover
Die relativ wenigen Veränderungen zwischen beiden haben sich meist zufällig entwickelt und üben keinen Einfluss auf die Funktion der Gene aus, schrieb das deutsche Genomforschungsnetz (NGFN) in einem am Mittwoch veröffentlichten Vorabbericht.

Die wenigsten Unterschiede - zumindest im Aufbau und der Aktivität der Gene - fand man ausgerechnet beim Gehirn, obwohl sich der Mensch gerade durch Gehirnfunktionen wie Sprache und Gedächtnis vom Schimpansen unterscheidet.

Die meisten Unterschiede gibt es im Hoden, dort sind 32 Prozent der Gene unterschiedlich aktiv, im übrigen Gewebe sind es durchschnittlich acht Prozent.
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Hoden anders aktiv
Im Hoden entfaltet bei dem Menschenaffen jedes dritte Gen eine andere Aktivität als beim Menschen. Den Grund dafür sehen die Forscher in der ausgeprägten Promiskuität der Schimpansenweibchen. Sie zwinge die Männchen, mehr Samenzellen zu erzeugen, um sich gegen die starke Konkurrenz durchsetzen und das Rennen um die Vaterschaft gewinnen zu können.

Unter diesem Reproduktionsdruck geben Schimpansen allerdings häufiger schädliche Genmutationen an ihren Nachwuchs weiter, stellten US-Forscher fest. Dagegen habe die Spezies Mensch mehr Zeit und dadurch auch bessere Chancen, genetische "Ausrutscher" durch natürliche Selektion zu eliminieren, heißt es in den Fachjournalen.
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Verschiedene Genregulation
Untersucht wurde die Aktivität von insgesamt 21.000 Genen aus Herz, Leber, Niere, Hoden und Gehirn. Die relativ wenigen Unterschiede im Gehirn haben sich während der Evolution des Menschen entwickelt.

Das Gehirn des Schimpansen weicht weniger stark von dem des gemeinsamen Vorfahren ab. Die Studie legt nahe, dass der Unterschied zwischen beiden Arten nur durch das Zusammenspiel von unterschiedlicher Nutzung der Gene (Genregulation) und Veränderungen in den Genen erklärt werden kann.
Gehirn: Komplexe Netzwerke
Dass sich die Gehirne von der genetischen Aktivität her am wenigsten unterscheiden, könnte darauf zurückzuführen sein, dass es sich hier um komplexe Netzwerke handelt, wie der Direktor des am Projekt beiteiligten NGFN, Svante Pääbo, erklärte.

Wenn sich ein Genprodukt ändern würde, müssten sich seine Partner anpassen, was einen großen Aufwand bedeuten würde.

In anderen Geweben, beispielsweise der Leber, seien viele Netzwerke wesentlich einfacher aufgebaut und könnten sich deshalb auch leichter verändern.

[science.ORF.at/APA/AP/dpa, 31.8.05]
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01.01.2010