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Schimpansen-Gene: Freier Zugriff oder ethische Grenzen?  
  Die große Familie der Menschenaffen vereint Schimpanse und Mensch. Mit der Entschlüsselung des Schimpansen-Erbguts wird das gute Familienverhältnis nun aber auf eine harte Probe gestellt. Biomediziner erwarten eine Forschungsoffensive, der nahe Verwandte eignet sich zu gut als Versuchstier. Ethik und Moral? Unter US-Forschern entspinnt sich die Diskussion - über Zuchtbeschränkungen, Zugang zu Gen-Ressourcen, Grenzen genetischer Manipulation und Schimpansen-Altersheime.  
Neben dem menschlichen Erbgut ist nun das des Schimpansen entschlüsselt. Der Zugriff auf die "bio-medizinische" Ressource Schimpanse ist aber nicht genügend gesichert, befürchten Forscher wie John L. VandeBerg und Stuart M. Zola vom National Primate Research Center in Texas bzw. Georgia.

Doch wie weit darf an in Gefangenschaft lebenden Schimpansen geforscht werden? Ich-Bewusstsein, Handwerksgeschick und soziales Verhalten sind nur allzu menschlich. Daher plädieren Pascal Gagneux von der Zoological Society in San Diego und Forscher-Kollegen für eine ethische, rechtliche und soziale Vernunft.
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Die zwei Artikel "The ethics of research on great apes" und "A unique biomedical resource at risk" erschienen in der Zeitschrift "Nature" (Band 437, Nr. 7055, 1.9.2005).
->   Nature: Special Feature
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Des Menschen Gesundheitshelfer
Ob zur Wirksamkeit von Medikamenten, der Behandlung von Krebsarten oder Hepatitis B und C: Bereits in der Vergangenheit war der Schimpanse die beste "Testperson" für den Menschen.

Die Entschlüsselung des Erbguts des Schimpansen wird Forschungsaktivitäten am Schimpansen steigern. In dem Punkt sind sich Gegner wie Befürworter einer rigideren Ethik-Politik einig.
Populationsentwicklung
Doch wie viele Schimpansen braucht der Mensch zur Forschung? Während Populationen wildlebender Menschenaffen schrumpfen, haben sich die Zahlen ihrer in Gefangenschaft lebenden Artgenossen in den USA nach oben bewegt, so skizziert Gagneux die Situation.
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Wilde Menschenaffen: Vom Aussterben bedroht
In der Wildnis lebende Gorillas, Orang-Utans und Schimpansen könnten nach Einschätzung von Experten innerhalb einer Menschen-Generation verschwunden sein. Auf einen Schimpansen kommen bereits mehr als 20.000 Menschen auf der Erde, so die Erhebung des UNEP World Conservation Monitoring Centre. "Alle Arten der großen Menschenaffen werden als gefährdet oder sehr gefährdet eingestuft", sagt die Koautorin der Studie Lera Miles auf der BBC News Website. Der vom UNEP World Conservation Monitoring Centre herausgegebene "World Atlas of Great Apes and their Conservation" erscheint im September.
->   BBC-Artikel
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Schimpansen-Moratorium
Biomediziner fürchten aber die Verknappung der bio-medizinischen Ressource Schimpanse. Ein Zuwachs an gefangenen Affen gehöre der Vergangenheit an, als mit staatlichen Mitteln noch eine "Überproduktion" erfolgte.

Grund war eine umfassende Nachfrage im Rahmen der AIDS-Forschung. Der Schimpanse ist das einzige Tier, das mit HIV-1 infiziert werden kann.

Dagegen hätte der seit 1997 in Kraft stehende Züchtungsstopp von Schimpansen (bei von den "National Institutes of Health" unterstützten Einrichtungen wirksam) eine bedenkliche Abnahme der Schimpansen-Populationen bewirkt.
Kostenintensive Haltung
Schimpansen-Aufzucht ist kostenintensiv, vor allem auf Grund der langen Lebenszeit. Mit jeder Geburt in Gefangenschaft entsteht eine bis zu 50-jährige oder längere Verpflichtung zur Fürsorge.

Länder außerhalb der USA haben sich laut VandeBerg und Zola von den hohen Kosten abschrecken lassen und würden nun verstärkt auf dem US-Markt nach Gen-Ressourcen wie organischen Stichproben von Schimpansen fischen.
Ethisches Dilemma
Doch jenseits der Diskussion um Verfügbarkeit, treten nun auch ethische Fragestellungen zunehmend zutage. Melden sich Menschen als Testpersonen für medizinische Zwecke noch freiwillig, wird der Affe trotz seiner menschlichen Züge entmündigt ¿ ohne Rücksichtnahme auf mögliche Gesundheitsschäden oder den Tod.

Der US-National Research Council beschloss bereits eine optimale und möglichst menschliche Versorgung von Menschenaffen. Zur Populationskontrolle wird Euthanasie abgelehnt.

Doch die Verantwortung für eine menschliche Behandlung muss nach Ansicht von Gagneux und seiner Koautoren auch von Seiten der Bio-Medizin übernommen werden. Es sollten die gleichen ethnischen Prinzipien gelten, wie sie es bei Studien am Menschen der Fall ist.

"Wir glauben, dass das neu produzierte genetische Material niemals dazu genutzt werden sollte, genetische Modifikationen in Menschenaffen herzustellen", sagen die Ethik-Befürworter in ihrem Kommentar.
Gewinn-Maximierung
Die unterschiedlichen Interessensvertreter sind sich einig: Zu viele Affen würden heute ohne eine Autopsie sterben, Ressourcen würden damit vergeudet.

Würde ein gefangener Affe eines natürlichen Todes sterben, sollte eine rasche Autopsie sowie Sammlung von potentiellem Forschungsmaterial durchgeführt werden - organische Stichproben als Basis für genetische, biochemische und histologische Studien, die in großen Datenbanken einer breiteren Forschungswelt zur Verfügung stehen.

Auch die Idee der Einrichtung spezieller Ethik-Gruppen macht die Runde: Diese könnten neue Forschungsanträge für Studien an Menschenaffen diskutieren und absegnen.
Ruhigen Lebensabend?
Für die "ausgedienten" Schimpansen wird bereits jetzt schon im Land gesorgt: So gibt es in den USA eine Reihe von Schimpansen-Sanatorien, Frieden versprechende und staatlich finanzierte Lebensstätten, so zum Beispiel "Chimp Haven".

Wie friedlich der Lebensabend so manch eines in Gefangenschaft lebenden Schimpansen im Angesicht neuster Entwicklungen sein wird, bleibt offen. Doch: Zukünftige Forschung am Menschenaffen scheint nicht mehr ohne eine Auseinandersetzung mit ethischen Grundsätzen möglich.

Lena Yadlapalli, science.ORF.at, 1.9.2005
->   Southwest National Primate Research Center, San Antonio
->   Yerkes National Primate Research Centre
->   Zoological Society of San Diego
->   National Institutes of Health
->   World Atlas of Great Apes and their Conservation
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Erbgut des Schimpansen entziffert (31.8.05)
->   Österreich: Versuchsverbot an Menschenaffen (6.5.05)
 
 
 
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01.01.2010