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Alpbach: Biomedizin verändert Krankheitsbegriff  
  Durch die moderne Biomedizin verändern sich die Begriffe von Gesundheit und Krankheit. Die neuen Methoden sind aber nicht per se abzulehnen - vielmehr kommt es auf ihren humanen Gebrauch an.  
Dies erklärten am Donnerstag zu Beginn der Gesundheitsgespräche beim Forum Alpbach die deutsche Medizinhistorikerin Brigitte Lohff (Medizinische Hochschule Hannover) und der Schweizer Geisteswissenschaftler Hans-Peter Schreiber (ETH Zürich).
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Bei den Alpbacher Gesundheitsgesprächen geht es in diesem Jahr besonders um den Vergleich von medizinischer Forschung und der Gesundheitssysteme auf internationaler Ebene.
->   Forum Alpbach
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Veränderung des Begriffs Krankheit
Wie sehr sich der Gesundheits- und Krankheitsbegriff im Laufe der Geschichte verändert hat, betonte die Medizinhistorikerin. Sie zitierte den antiken Arzt Galen: "Die Gesundheit schätzt man erst, wenn man krank ist."

Der Aphoristiker und Philosoph Georg Christoph Lichtenberg stellte hingegen im 18. Jahrhunder fest: "Das Gefühl von Gesundheit erwirbt man erst durch die Krankheit:"
Verantwortung des Staates für "Volksgesundheit"
Bis zum Ende der Aufklärung seien Gesundheit und Krankheit als Schicksal oder selbst verschuldetes Übel angesehen worden. Doch dann setzte sich die Auffassung durch, dass Staat und Gesellschaft entscheidend zur "Volksgesundheit" beitragen könnten - und somit auch die Leistungskraft eines Staates steigern könnten.

Nach dem Irrweg der Eugenik mit ihrem Rassenwahn ab der Wende zum 20. Jahrhundert könnte es jetzt durch die molekularbiologischen Erkenntnisse zu einer Pathologisierung des Lebens von der Geburt bis zum unvermeidlichen Tod kommen.
Moderne Techniken könnten Krankheitsbegriff ausdehnen
Diesen Gedanken unterstützte auch der Schweizer Staatswissenschaftler Hans-Peter Schreiber: "Sie sind alle nur gesund, weil Sie noch zu wenig untersucht worden sind."

Die modernen molekularbiologischen Verfahren in der Krankheitsdiagnostik und die bildgebenden Techniken würden die Gefahren einer Ausdehnung des Krankheitsbegriffes in sich bergen.
"Genetische Belastung"
Schreiber: "Immer mehr Menschen könnten als genetisch belastet dargestellt werden." Erstmals sei es möglich, Krankheitsdispositionen schon Jahre und Jahrzehnte vor dem Ausbruch von Symptomen zu erkennen.

Der Wissenschaftler: "Die gleiche Natur, die dem Menschen immer technische und ethische Grenzen gesetzt hat, scheint auf einmal ihre Geheimnisse preiszugeben."

Doch mit einem Stopp solcher Entwicklungen sei niemandem gedient. Bisher natürliche Gegebenheiten müssten zwar im zunehmenden Maß nicht mehr als schicksalhaft hingenommen werden, doch die künstliche Bildung von Tabus werde nicht die Lösung sein.
Einstellung von Ärzten und Patienten entscheidend
Schreiber: "Eine Resakralisierung (von Bereichen der Natur bzw. des Lebens, Anm.) wird nicht ausreichen."

Das Kriterium der individuellen Selbstbestimmung und die Bindung aller medizinischen Handlungen an den Krankheitsbegriff in der ärztlichen Praxis sei entscheidend. Maßgeblich sei die Einstellung der Patienten und der Ärzte: "Wir sollten unsere humanen Ressourcen aktivieren."

[science.ORF.at/APA, 2.9.05]
->   Mehr zum Forum Alpbach in science.ORF.at
science.ORF.at-Host Ulrich Körtner zum Thema:
->   Krankheit: Eine Inhaltssuche aus Sicht der Medizinethik (30.6.05)
 
 
 
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01.01.2010