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Soziologin: Liebe und Konsum vertragen sich gut  
  Die landläufige Konsumkritik geht davon aus, dass einander exzessiver Warenkonsum und die Entwicklung romantischer Liebe widersprechen. Ganz im Gegenteil, meint nun eine israelische Soziologin, die Verliebte hinsichtlich ihrer Erlebnisse befragt hat. Liebe und Konsum hängen ihrzufolge voneinander ab und verstärken sich gegenseitig. Und: Ausgerechnet die schärfsten Kritiker des Massenkonsums, die gut gebildeten Oberschichten, erleben die romantische Liebe besonders stereotyp.  
Zu diesem Schluss kommt die Soziologin Eva Illouz von der hebräischen Universität in Jerusalem in einem jüngst veröffentlichten Artikel.
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Der Artikel "Vermarktung der Leidenschaft" von Eva Illouz ist in "WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung" (Heft 1, 2005) erschienen.
->   WestEnd
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Neue Romantik zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, so die These von Illouz, haben sich die bis heute gültigen Veränderungen in Liebesdingen ergeben. An die Stelle der klassischen romantischen Liebesbeziehungen trat ein "neues romantisches Idiom, in dem sich Abenteuer, Erotik Überraschung, Geschwindigkeit und Erregung mischten".

Diese neue Romantik setzte eine Art des Erlebens voraus, die von Freizeitwaren herbeigeführt wurde: Aktivitäten wie ins Restaurant gehen, Kinobesuche, Ausflüge oder Geschenke kaufen - wie sie seit dem Beginn von Massenkultur und
-konsum gang und gäbe sind.
Warenaustausch: Von der Familie zum Markt
Erfolgreiches Liebeswerben hing von nun an davon ab, "dass man ein zahlungskräftiger Konsument war", schreibt Illouz. Aber auch umgekehrt habe fortan gegolten: Waren wurden nur mehr dann "richtig konsumiert, wenn sie mit einer romantischen Aura besetzt waren und Gefühle erzeugten".

Der Tausch von Waren oder Geld fand nicht mehr wie früher zwischen den Familien der Liebenden statt, sondern über den anonymen Markt - Inhalt sind konsumierbare Waren des Freizeitkonsums.
Vier entscheidende Grenzen: Raum, Zeit ...
Um nun den Ist-Zustand der Gefühle zu überprüfen, hat die Soziologin quer durch die sozialen Schichten 50 Menschen nach "romantischen Augenblicken" ihres Lebens befragt. Dabei fallen vier symbolische Grenzen auf, die laut den subjektiven Einschätzungen überschritten werden.

Zum einen räumliche und zeitliche Grenzen: Romantische Augenblicke finden in der Regel an anderen Orten und zu anderen Zeiten als jene des Alltags statt - etwa, indem man sich "füreinander Zeit nimmt und in ein schickes Restaurant" geht.
... Emotion und Dinge
Zum anderen emotionale und dingliche Grenzen: Romantische Liebe gilt als "das einzigartige" Gefühl, besondere Augenblicken entstehen durch das "Aufladen" von Alltagsgegenständen mit Emotionen.

So intensiviert beispielsweise die Auswahl spezieller Musik, von Speisen oder von Beleuchtung die Gefühle der Beteiligten, weshalb Liebesromantik durchaus mit religiösen Ritualen zu vergleichen sei.

Der Überschreitung aller vier Grenzen gemeinsam ist es, den Liebenden für einen gewissen Zeitraum einen Rückzug aus dem Alltagsverhalten zu ermöglichen.
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Buch-Hinweis
Schon vor zwei Jahren hat Eva Illouz ein Buch zu dem Thema veröffentlicht: Der Konsum der Romantik, Campus Verlag 2003.
->   Mehr über das Buch (Campus)
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Luxusgüter fördern Kommunikation
Eine klassische Kritik des Konsums geht davon aus, dass der Konsum von Waren die intensive Verbundenheit im romantischen Erleben gefährdet oder verunmöglicht. Illouz ist da gegenteiliger Ansicht: Waren - speziell Luxus- und Reisegüter - seien den romantischen Gefühlen sogar förderlich.

Der Gebrauch von Luxuswaren - etwa der sprichwörtliche Champagner im teueren Restaurant - verschönere den Augenblick, erhöhe dadurch die emotionale Verbundenheit und verstärke auch die Kommunikation. Eine Reihe der Befragten gab an, dass man in einer teuren Umgebung auch "gleich viel besser reden kann".
Exotische Natur vs. konsum-orientierte Stadt
Eine wichtige Rolle spielen auch fremde oder exotische Orte: Zwei Drittel der Befragten erklärten, dass sich romantische Augenblicke an ebensolchen abgespielt hätten. Dahinter stehen laut Illouz Vorstellungen von "Abgeschiedenheit" und einer naturgegebenen ländlichen Idylle, die sich vom "falschen Stadtleben" (und seinem Konsumverhalten) unterscheidet.

Diese "anti-modernistische" Sehnsucht nach der Natur ist natürlich nicht frei von Widersprüchen: Sind doch sowohl Reisen als auch die dazu benötigte Mobilität Ausdruck einer der am stärksten boomenden Wirtschaftszweige schlechthin - der globalen Tourismusindustrie und ihrer Warenproduktion.
Drei Postkarten zur Liebe
Die Kritik am Massencharakter von Produkten, die der Liebe förderlich sind, ist weit verbreitet, schreibt Illouz. Besonders Personen mit hohem Bildungsstand kritisieren den Warencharakter der Liebesromantik. Durch eine List der Vernunft greifen aber ausgerechnet sie am tiefsten in die Kiste der Stereotype, wenn es um romantische Schilderungen geht.

Um dies zu überprüfen, hat sie den Befragten drei "Liebes-Postkarten" mit der Bitte um Beurteilung vorgelegt: die erste hatte ein konventionelles Motiv - Sonnenuntergang mit Liebesgedicht -, die zweite war eine ironisch-humoristische, die dritte zeigte ein abstraktes Bild von Matisse.
Arbeiter bevorzugen Sonnenuntergang
Das Ergebnis: Befragte aus der "Arbeiterklasse" sprachen sich für die erste Postkarte aus, da sie für sie die "echteste" war, die ihre Gefühle am besten zum Ausdruck brachte. Personen aus den mittleren oder oberen Schichten votierten hingegen eher für die zweite Karte, da ihre Ironie der Romantik der Massenkultur zu widersprechen scheint.

Speziell Menschen mit hohem kulturellem Kapital sprachen sich schließlich für die dritte Karte aus: Da sie den Schindluder, den die Massenkultur mit individuellen Gefühlen treibt, zu durchschauen glauben, beurteilen sie nach ästhetischen und nicht nach emotionalen Kriterien - "Verachtung für Konvention und Konsum ist auch ein Verachtung für den emphatischen Ausdruck von Gefühlen", schreibt Illouz.
Oberschichten besonders materialistisch - und stereotyp
Mit dieser bewussten und pikierten Distanzierung von den Produkten der Massenkultur ist es für die Angehörigen der oberen Schichten aber noch nicht getan: Werden sie nach konkreten "romantischen Augenblicken" befragt, fallen ihre Schilderungen genauso stereotyp aus wie die anderer Leute.

Mit einem Unterschied freilich: Sie betonen laut Illouz sehr viel stärker die materiellen Aspekte des romantischen Settings ("sich schön anziehen" oder "Champagner trinken"). Befragte der Arbeiter- oder Mittelklasse hingegen erinnerten sich mehr an Gefühle von Nähe oder Sich-Wohlfühlen ("auf der Straße Hand in Hand gehen" oder "zusammen ein Feuerwerk anschauen").

Das Fazit von Illouz: Ausgerechnet die Angehörigen der oberen Mittelklassen, die den Kommerz von Massenkultur und Liebesromantik besonders kritisieren, erwiesen sich in den Schilderungen ihrer "romantischer Augenblicke" als besonders stereotyp und marktabhängig.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 7.9.05
->   Eva Illouz (Universität Jerusalem)
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01.01.2010