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Fernsehen wandelt das Bild der Forensik  
  Die Lupe wurde durch einen bunten Mix an High-Tech-Geräten ersetzt, der logische Zusammenhang durch die lückenlose Beweiskette: Serien wie "CSI" haben das öffentliche Bild der Spurenanalyse deutlich verschoben. Das bemerken auch Wissenschaftler - und beklagen zu hohe Erwartungen von Geschworenen sowie lernfähige Verbrecher.  
Dass es aber nicht immer Hightech sein muss, um zu stichhaltigen Aussagen zu kommen, hat sich zuletzt auch bei der Identifikation der Tsunami-Opfer in Südostasien gezeigt.

Denn entgegen der allgemeinen Erwartungen, dass die DNA der beste Hinweis auf die Identität eines Opfers darstellt, griffen Gerichtsmediziner dort mit großem Erfolg auf eine vergleichsweise alte Methode zurück: die Identifikation durch den Zahnabdruck.
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Dem Thema Forensik widmet der "New Scientist" in seiner Ausgabe von 10. September 2005 zwei Artikel: "Television scrambles the evidence" (S.12) und "Dental records beat DNA in Tsunami IDs" (S.12-13).
->   New Scientist
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DNA-Analysen im Krimi schon fast altertümlich
Wenn die schicken Ermittler von der "Crime Scene Investigation" (CSI) am Bildschirm auftauchen, weiß der geübte Zuseher: Es kann nur mehr knappe 45 Minuten dauern, bis auch der gerissenste Übeltäter mittels einer unüberblickbaren Vielfalt an Hightech-Geräten überführt wird.

Die DNA-Analyse ist in Serien wie "CSI", in denen Kriminalfälle wie naturwissenschaftliche Rätsel gelöst werden, fast ebenso gebräuchlich wie die Lupe zu Sherlock Holmes' Zeiten.
Freude und Zweifel wegen Popularisierung
Einerseits freuen sich Forensiker zwar über das plötzlich ansteigende Interesse an ihrem Fach, gleichzeitig spüren sie in ihrem Alltag aber auch schon erste Auswirkungen der Popularisierung durch Massenmedien.
Geschworene fordern eindeutige Aussagen
"Geschworene, die CSI schauen, glauben tatsächlich, dass forensische Wissenschaftler immer Recht haben", drückt Peter Bull von der Universität Oxford im "New Scientist" sein Unbehagen aus. Dementsprechend werde vor Gericht auch eine eindeutige Sprache gefordert: Das Abwägen von verschiedenen Möglichkeiten und das Umgehen mit Wahrscheinlichkeiten sind nicht gefragt.

Und Erkenntnisse müssten natürlich auch in CSI-Geschwindigkeit geliefert werden, klagt ein Fachkollege von der Universität Strathclyde.
Verhalten der Kriminellen wandelt sich
Aber nicht nur das Bild der Forensik in der Öffentlichkeit habe sich durch Fernsehserien gewandelt, sondern auch das Verhalten der Kriminellen.

Sie versuchen, Spuren zu vermeiden, wenn auch teilweise mit einfachen Tricks: So gehören Plastikhandschuhe bei Einbrüchen schon zum Standard ebenso wie die Entsorgung von Zigarettenstummeln aus gestohlenen Autos.
Perfektes Verbrechen durch Forensiker?
Abschlägig fällt im New Scientist die Antwort auf jene Frage aus, die sich wahrscheinlich jeder CSI-Seher schon einmal gestellt hat: Wären nicht gerade Forensiker imstande, das perfekte Verbrechen durchzuführen, gerade weil sie alle Ermittlungstricks kennen?

Die vorhandenen Techniken seien schlicht zu sensibel für jede Art von Spur, die ein Mensch hinterlassen kann. Selbst die Atemluft kann den entscheidenden Hinweis liefern.
Trotz Hightech auf traditionelle Verfahren nicht vergessen
Aber obwohl die Hochtechnologie - zumindest wenn es nach dem Fernsehen geht - jeden Fall lösen kann, rufen Forensiker dazu auf, auf traditionelle Verfahren nicht zu vergessen.

In Thailand haben moderne Methoden bei der Identifikation der Tsunami-Opfer versagt. Nur bei 0,5 Prozent der Toten führte eine DNA-Analyse zum Ziel. Die Gründe: Durch das warme, feuchte Klima zerfiel das organische Material rasant, und aufgrund der zerstörten Infrastruktur war es kaum möglich, Proben zu verschicken bzw. vor Ort ein Laboratorium aufzubauen.
Thailand: 75 Prozent durch Zahnabdruck identifiziert
In Thailand wurden bisher drei Viertel der Opfer mittels Zahnabdruck identifiziert. Dabei wird das Gebiss eines Toten mit früheren Aufnahmen bzw. Abdrücken etwa beim Zahnarzt verglichen.

Die Methode zeitigte ungleich größere Erfolge als die DNA-Analyse, weil Zähne auch über Wochen und Monate erhalten bleiben.
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3.300 Leichen noch immer namenlos
Bis Februar 2005 identifizierten Forensiker 400 Menschen mittels Zahnabdruck, im April waren es schon 1.200, im Juli 1.700. Der aktuelle Stand identifizierter Opfer beträgt laut "New Scientist" 2.200, 3.300 Leichen sind noch namenlos.
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Provisorische Identifikation aufgrund des Lächelns
Auch bei jenen Toten, von denen keine Aufnahmen oder Abdrücke des Gebisses vorlagen, arbeiteten die Wissenschaftler mit den Zähnen:

Sie erstellten provisorische Identifikationen aufgrund des Lächelns der Opfer, das auf Fotos festgehalten worden war.

[science.ORF.at, 8.9.05]
->   CSI-Handbuch mit forensischen Fachbegriffen (CBS)
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01.01.2010