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Zaunkönige sind die Meistersinger des Tierreichs  
  Was Anna Netrebko und Rolando Villazón in der Opernwelt, sind Männchen und Weibchen des Fraser-Zaunkönigs im Tierreich: Wie schottische Biologen berichten, sind die Vögel zu außergewöhnlich komplexen Gesängen im Stande - im Duett, im Chor und mit einem Repertoire von rund 80 verschiedenen Phrasen.  
Erstaunlich an deren Chorgesang ist vor allem, dass die Tiere die jeweiligen Phrasen zeitgleich auswählen und annähernd perfekt synchronisieren. Die Lieder dienen, wie die Forscher von der University of St Andrews vermuten, der Territoriums-Markierung oder der Fortpflanzung.
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Die Studie "Antiphonal four-part synchronized chorusing in a Neotropical wren" von Nigel I. Mann et al. erscheint im Fachjournal "Proceedings of the Royal Socitey: Biology Letters" (doi:10.1098/rsbl.2005.0373).
->   Zum Artikel (sobald online)
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Viele Sänger, wenige Könner
Gesang ist im Tierreich durchaus verbreitet: Viele Amphibien und Säugetiere tun es, Insekten ebenfalls, und selbst bei manchen Fischen wird im weitesten Sinn gesungen.

Zwar ist nicht alles Musik in unseren Ohren, was da an Lautäußerungen produziert wird - bei Brüllaffen und Fröschen beispielsweise -, aber schließlich sind die Gesänge auch nicht für uns bestimmt, sondern für die jeweiligen Artgenossen. Sie dienen der innerartlichen Kommunikation - der Partnerfindung, dem Territorialverhalten und anderem mehr.

Die wahren Meistersänger im Tierreich sind freilich die Singvögel, was sich auch in der Namensgebung mancher Arten niederschlägt: Der Zilpzalp beispielsweise heißt so, weil er eben "Zilp Zalp" singt, und die Gattung der Spottdrosseln, die sich immer wieder als Stimmenimitatoren betätigen, heißt "Mimus", also wörtlich übersetzt: Komödiant.
->   Singvögel - Wikipedia
Meist Männersache
In unseren Breiten ist der Vogelgesang meist eine reine Männersache, in den Tropen ist die Situation jedoch anders. Dort stimmen mitunter auch die Weibchen in das Gezwitscher ein, wobei es in seltenen Fällen sogar zu einer Art von Duett kommt.

Forscher um Peter Slater von der University of St Andrews haben nun einen Fall entdeckt, der alle bisher bekannten tierischen Sangeskünste in den Schatten stellt.
Vier Strophen, 80 Phrasen
Bild: Nigel I. Mann et al.
Die Männchen und Weibchen des Fraser-Zaunkönigs (Thryothorus euophrys) singen fast immer gemeinsam und folgen dabei offenbar einer artspezifischen Partitur.

Wie die schottischen Biologen berichten, haben die Lieder der Zaunkönige die zyklische Struktur ABCDABCD..., wobei Männchen immer die Liedteile A und C, Weibchen die Teile C und D beisteuern (siehe Bild rechts).

Dabei schöpfen die Tiere aus einem reichen Repertoire von rund 80 (4 mal 20) verschiedenen Phrasen und musizieren bis zu zwei Minuten lang.
Synchroner Chorgesang
Bild: Nigel I. Mann et al.
Das ist an sich schon erstaunlich, doch wenn mehr als zwei Tiere zusammenkommen, wird es erst richtig interessant. Dann singen Männchen und Weibchen in vielstimmigen Arrangements, und das erstaunlich fehlerlos: Die Tiere entscheiden sich offenbar gleichzeitig für eine der möglichen Phrasen und singen diese dann in fast perfekter Synchronizität (Bild rechts).

Wie Slater und Kollegen betonen, dürfte dieser einzigartige Chorgesang durch die soziale Umgebung gefördert worden sein. Während die anderen Vertreter der Gattung Thryothorus in Paaren leben, liebt es der Fraser-Zaunkönig variabel. So wurden neben klassischen Zweiergruppen auch solche mit vier, fünf und sieben Mitgliedern beobachtet, die alle miteinander fröhlich musizierten.
Wozu der Aufwand?
Der Sinn des Ganzen? Vermutlich derselbe wie auch bei weniger kunstvollen Vogelgesängen: Wurden im Lebensraum der Zaunkönige Gesänge fremder Artgenossen via Lautsprecher verbreitet, rückten die Tiere näher an die Schallquelle heran und versuchten mit ihr - gesanglich - zu konkurrieren. Das spricht dafür, dass auf diese Weise das Territorium markiert wird.

Peter Slater hat jedoch noch eine zweite Hypothese auf Lager: Die Wechselgesänge der Zaunkönige könnten auch für die Synchronisierung des Fortpflanzungsverhaltens sorgen. Das könnte überdies erklären, warum Duette auf die Tropen beschränkt sind.

Da es in diesen Breiten keine echten Jahreszeiten und damit weniger saisonale äußere Einflusse gibt, bedarf es einer gegenseitigen Stimulierung, um sich gleichzeitig dem Nachwuchs zu widmen (Journal of Avian Biology 35, 289).

Robert Czepel, science.ORF.at, 7.9.05
->   Arbeitsgruppe von Peter Slater (Univ. of St Andrews)
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01.01.2010