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Mehr als 300.000 Analphabeten in Österreich  
  In Österreich gibt es offiziell 300.000 Menschen, die weder lesen noch schreiben können. Experten schätzen die tatsächliche Zahl der Analphabeten hierzulande aber doppelt so hoch ein.  
Die Österreichische UNESCO-Kommission fordert deshalb anlässlich des Welt-Alphabetisierungstages am 8. September, dass die Alphabetisierung in Österreich zur Chefsache werden muss. Bisher hätte die Bundesregierung hier zu wenig getan.
Keineswegs nur Kinder
Es sind nicht nur die 5 Prozent Kinder, die faktisch nicht lesen und schreiben können, und die wir aus der PISA-Studie kennen. Bis zu 600.000 Österreicherinnen und Österreicher jeden Alters sind faktisch Analphabeten, schätzen die Experten, und es sind bei weitem nicht nur Migranten, sondern viele Menschen mit deutscher Muttersprache.
UNESCO-Kritik am Bildungsministerium
Die Österreichische UNESCO-Kommission bemängelt, dass es hierzulande nur Schätzungen, aber keine Studie des Bildungsministeriums dazu gibt, da das Thema offenbar nicht wichtig genug genommen werde, sagt Kommissionspräsident Hans Marte:

"Das Bildungsministerium tut nicht nichts. Es gibt ja unter anderem einen Schwerpunkt im Bereich der Leseschwäche bei Kindern und Jugendlichen, es gibt auch Alphabetisierungspädagogen und Lehrgänge für diese. Sehr viele Institutionen engagieren sich in diesem Bereich, aber das ist alles zu wenig."

Es gehe vor allem darum, die Immigrantinnen und Immigranten aus demographischen Gründen zu integrieren, das heißt, ihnen Lesen und Schreiben beizubringen. Von zu Hause bekämen sie häufig keine Hilfe, weil die Eltern oft überfordert seien. Das sei ein Problem, das in den nächsten Jahren exponentiell zunehmen werde.
Auch Hilfe für Erwachsene nötig
Man müsse auch Erwachsenen helfen, die oft aus Scham keine Hilfe in Anspruch nehmen, persönliche Nachteile in Beruf und Privatleben haben. Viele wüssten gar nicht, dass sie auch noch als Erwachsene lesen und schreiben lernen können. Für erwachsene Analphabeten kommen Maßnahmen in den Schulen natürlich zu spät, sagt die Generalsekretärin der UNESCO-Kommission Gabriele Eschig:

"Hier handelt es sich um Defizite der Schule der Fünfziger- und Sechzigerjahre, die aber zum Teil in dieser Form heute noch existieren. Denn die Institution Schule weist solche Personen sozusagen weg oder weist sie in Sonderschulen und bietet keine Unterstützung an."

Das soziale Milieu sei nicht in der Lage, diese Unterstützung zu geben und man habe heute noch keine so wesentlich anderen Zustände, was die Möglichkeiten der individuellen Förderung in den Schulen in diesen Bereichen betrifft.
Alphabetisierung nützt der Wirtschaft
Aber auch die heimische Wirtschaft müsste ein Interesse an der Alphabetisierung haben, sagt Christine Schubert, die in Niederösterreich erwachsene Analphabeten betreut. Denn wer nicht lesen und schreiben kann, könne auch beruflich nicht aufsteigen:

"Mann muss zum Beispiel über Arbeitgeber- oder Arbeitnehmervertretungen in die Firmen hineingehen und so dieses Angebot an die Leute bringen. Das Ganze funktioniert auch nur dann, wenn es genügend Geld dafür gibt. Das ist im Regelfall ¿ es gibt Ausnahmen ¿ nicht die Zielgruppe, die sich teure Bildungsmaßnahmen selbst leisten kann. Es muss Aufgabe der Gesellschaft sein, dafür die Finanzierung sicherzustellen.

So handelt es sich beim Analphabetismus nicht nur um ein Thema der Dritten Welt. Denn von den weltweit 862 Millionen Analphabeten leben geschätzte 45 bis 90 Millionen in EU-Ländern.

Martin Haidinger, Ö1-Wissenschaft, 7.9.05
 
 
 
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01.01.2010