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Millionenshow: Zwei Drittel auf Sicherheit bedacht  
  Rund eine Million Zuseher verfolgt dreimal in der Woche die "Millionenshow". Die Kandidaten der Quiz-Sendung mit Armin Assinger müssen dabei in erster Linie ihr Wissen unter Beweis stellen, aber auch ihre Risikobereitschaft. Britische Ökonomen haben nun herausgefunden, dass zwei Drittel der Kandidaten Sicherheit wichtiger ist als die Aussicht auf einen noch höheren Gewinn.  
Nur ein Drittel spielt bis zu einem Punkt, wo keine Frage mehr beantwortet werden kann, und das Geld verloren ist.

Das deckt sich laut Ian Walker von der Universität Warwick und seinen Kollegen mit einem gut 60 Jahre alten ökonomischen Modell, wie das Mathematik-Internet-Magazin "plus" von der britischen Universität Cambridge berichtet.
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Die Studie "Who Really Wants to be a Millionaire? Estimates of Risk Aversion from Game Show Data" ist auf der Website der University of Warwick erschienen.
->   Die Studie (pdf-Datei)
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515 Kandidaten untersucht
Warwick und sein Team haben das Spielverhalten von 515 Kandidaten der englischen Ausgabe der "Millionenshow" analysiert. Sie verhielt sich dabei so, wie es der österreichische Ökonom Oskar Morgenstern und sein amerikanischer Kollege John von Neumann vorausgesagt haben.

Diese hatten bereits in den 1940er Jahren gezeigt, dass es möglich ist, menschliches Risikoverhalten mit mathematischen Gesetzen zu beschreiben.
Risiko richtet sich nach relativem Nutzen
Die Risikobereitschaft - so ihre These - richtet sich nicht nach dem absoluten Wert eines Gegenstands oder Geldbetrags, sondern nach seinem relativen.

Dieser relative Wert, der für jedes Individuum unterschiedlich ist, kann in einer mathematischen Funktion ausgedrückt werden - einer Nutzenfunktion.
->   Nutzenfunktion (Wikipedia)
Bei 50:50-Chance überwiegt Sicherheitsgedanke
Zur Illustration ein Beispiel: Bei einem Glücksspiel wird eine Münze geworfen, fällt sie auf Kopf, sind 1.000 Euro zu gewinnen, fällt sie auf Zahl, hingegen 1.000 zu verlieren - die Chancen stehen also 50:50. Spielernaturen werden sich auf ein derartiges Angebot vielleicht einlassen, die meisten Menschen wird das Risiko aber eher abschrecken.

Die Möglichkeit, in Sekundenschnelle 1.000 Euro verlieren zu können, wiegt also weit schwerer, als die Aussicht auf den Gewinn des gleichen Betrags.
Höhere Gewinnaussicht weckt Risikobereitschaft
Bild: plus
Anders sieht das aber aus, wenn bei gleichem Einsatz und gleich bleibenden Chancen - wieder ein Münzwurf - ein Gewinn von 10.000 Euro in Aussicht steht. Hier werden auch die vorsichtigeren Menschen eher bereit sein, ihre 1.000 Euro zu riskieren.

Der mögliche Verlust von 1.000 Euro wiegt also ungefähr gleich stark wie der mögliche Gewinn von 10.000 Euro.

Diese individuell unterschiedlichen Risikobereitschaften lassen sich in einer mathematischen Funktion ausdrücken - siehe Graph rechts.
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Publikums-Joker so wichtig wie Telefon und 50:50
Zwei weitere Erkenntnisse der Studie: Der Publikums-Joker ist für die Entscheidung der Kandidaten genauso wichtig wie der "50:50-Joker" und der Telefon-Joker zusammen. Letztere werden von den Kandidaten als gleich wichtig erachtet.
->   Sendungsinfos zur "Millionenshow"
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Einwände gegen simple Funktionsthese
Nun ist die These von Morgenstern und von Neumann durchaus umstritten: Viele Ökonomen bezweifeln, dass ein komplexes Phänomen wie Risikobereitschaft mit Hilfe einer einzigen mathematischen Funktion sinnvoll begriffen werden kann.

Zumindest die Höhe des auf dem Spiel stehenden Betrags, sollte ihnen zufolge eine entscheidende Rolle für riskantes oder vorsichtiges Verhalten sein.
Millionenshow als ideale Versuchssituation
Um dies zu überprüfen ist nach Ansicht von Ian Walker und seinem Team die "Millionenshow" ein ideales Terrain: Denn hier können die Kandidaten bei jeder der 15 Fragen aufhören zu spielen, sie sind immer exakt darüber informiert, wie viel sie bereits gewonnen haben und was sie durch eine falsche Antwort verlieren können. Und schließlich wird der Wert, der auf dem Spiel steht, im Lauf der Sendung immer höher.
Bestätigung der Theorie
Zu ihrer eigenen Überraschung, so schreiben die Forscher, haben sich die 515 Kandidaten genauso verhalten, wie es die Nutzenfunktion von Morgenstern und von Neumann voraussagt.

Unabhängig vom absoluten Betrag überwog bei zwei Dritteln vorsichtiges Verhalten - d.h. sie verzichteten auf die Möglichkeit einer Verdoppelung ihres derzeitigen erspielten Betrages. Nur ein Drittel ging dieses Risiko ein und verlor auch prompt.

Und schließlich gelang es auch nur drei der Kandidaten, den Originaltitel der Sendung "Who wants to be a millionaire?" nicht nur mit "Ich" zu beantworten, sondern auch Wirklichkeit werden zu lassen.
Risikobereitschaft von Aktionären
Dass es mit diesen Erkenntnissen nicht getan ist, ist klar. Ökonomen wie Ian Warwick wenden ihre Studienergebnisse in einer Reihe von Sektoren an, in denen die Risikobereitschaft oder Vorsicht von Menschen eine zentrale Rolle spielen - die durch die "Millionenshow" bestätigte These könnte so auch als Vorbild gelten für das Verhalten von Investoren auf Aktienmärkten.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 14.9.05
->   plus
->   Ian Walker of Warwick University
->   John von Neumann
->   Oskar Morgenstern
->   Anmeldung zur Millionenshow des ORF
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->   Handeln: Zwischen Eigeninteresse und Gemeinwohl (1.8.05)
->   Vertrauen und Altruismus ökonomisch erforscht (8.4.04)
->   Kooperation: Fairness und Vertrauen wird belohnt (14.3.03)
 
 
 
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01.01.2010