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ORF ON Science :  News :  Umwelt und Klima 
 
Schutzmaßnahmen gegen alpine Naturgefahren  
  Der alpine Lebens- und Kulturraum wird von zahlreichen Naturereignissen, wie Hochwasser, Muren, Lawinen und Steinschlag bedroht. Diese Gefahren machen es in zunehmendem Maße notwendig, die Gestaltung des alpinen Raumes samt Schutzmaßnahmen zu planen. Bei der "Langen Nacht der Forschung" zeigen Forscher Wege auf, die verhindern sollen, dass natürliche Prozesse in Katastrophen enden.  
Wasserinput plus verfügbares Material
Laut Johannes Hübl, Leiter des Instituts für Alpine Naturgefahren an der Universität für Bodenkultur in Wien, sind prinzipiell große Wassermengen und genügend verfügbares Material die natürlichen Bestandteile für Rutschungen aller Art.

Muren etwa seien nur lokale Gefahren, die hauptsächlich von so genannten konvektiven Schauerzellen ausgelöst werden, bei denen viel Feststoff in Form einer Massenbewegung kurzzeitig umgesetzt wird.

"Das auslösende Moment liegt aber immer im Zusammentreffen ungünstiger Faktoren und ist von Region zu Region unterschiedlich zu beurteilen. Vereinzelt kann auch eine schlechte Bewirtschaftung des Bodens lokal Muren und Rutschungen begünstigen", so Hübl gegenüber science.ORF.at.
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Lange Nacht der Forschung
Die erste Lange Nacht der Forschung findet am 1. Oktober in Innsbruck, Linz und Wien statt. Die Stationen, die den Themen dieses Artikels entsprechen, befinden sich an der Universität für Bodenkultur in Wien und dem "alpS - Forschung für ein modernes Naturgefahren Management" - Competence Center in Innsbruck.
->   Lange Nacht der Forschung
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Materialzufuhr durch Gletscherabschmelzen
"Ein besonders ungünstiger Faktor, der die Auswirkungen von Extremniederschlägen verstärkt, ergibt sich aus der Tatsache, dass die alpinen Gletscher und der Permafrostbereich im Boden deutlich abschmelzen" erklärt Johann Stötter, Geograph an der Uni Innsbruck und Projektleiter bei alpS, Zentrum für Naturgefahren Management in Innsbruck.

Dadurch stehe mehr Material zur Verfügung, das verfrachtet und in den Erosionskreislauf eingebunden werden könne. Die Gletscherflächen im Alpenraum seien seit Mitte des 19 Jahrhunderts bereits um etwa 50 Prozent abgeschmolzen, so Stötter.
Augusthochwasser nach hoher Schneefallgrenze
Beim diesjährigen Hochwasser im Westen Österreichs sei ein weiteres Problem darin gelegen, dass die Schneefallgrenze sehr hoch lag und somit mehr Niederschläge niedergegangen sind, die normalerweise als Schnee liegen bleiben würden.

Dadurch begünstigt konnten in Teilen Tirols, Vorarlbergs und Bayerns Niederschlagsmengen teilweise über 140 Millimeter pro Tag akkumuliert werden, so beide Experten.
Zubringerflüsse überlagerten sich zu Inn-Welle
"Vor allem das Andauern dieser Niederschläge über ein bis zwei Tage und die Ausbreitung über ein großes Einzugsgebiet überstiegen ganz einfach die Grenzen der natürlichen Speicherkapazität des Bodens um ein Mehrfaches.

So haben sich in weiterer Folge die Hochwasserwellen mehrerer kleinerer Zubringerflüsse überlagert und zu einer großen Inn-Welle aufgebaut", schildert Hübl, der sich im Zuge einer aktuellen Studie auch vor Ort ein Bild über die Auswirkungen der Niederschlagsereignisse vom August gemacht hat.
Schutz: Kleinere Bäume neben Wildbächen
Hübl im Gespräch mit science.ORF.at weiter: "Im Wasserbau sind die Einsatzkräfte derzeit noch eingedeckt mit Aufräumarbeiten, bei denen das in den Bächen angeschüttete Geschiebe ausgeräumt werden muss. Gerade die erreichten Geschiebemengen wurden in diesem Ausmaß nicht erwartet und eingeplant."

"Daher sollten im Zuge von Langzeitmaßnahmen Bereiche von vornherein freigehalten werden, in denen Geschiebe angeräumt werden kann. Das betrifft beispielsweise Hänge unmittelbar neben eines Wildbaches, an denen nur mehr kleinere Bäume und Büsche längs wachsen sollten, damit im Hochwasserfall ein Verlegen mit Baumstämmen möglichst verringert wird", erklärt der Wissenschaftler von der Boku.
Versicherungspflicht nach Schweizer Vorbild?
Stötter ganz im allumfassenden Auftrag von alpS über weitreichende Maßnahmen: "Die bedrohten Bereiche müssen in der Raumplanung besser zur Geltung gebracht werden und zusätzlich die Auswirkungen der Gefahrenzonenpläne verstärkt werden.

Darüber hinaus könnte die Einführung einer Versicherungspflicht gegen Naturgefahren nach Schweizer Vorbild ein erster Schritt sein, dass derartige Versicherungen einerseits im finanziell erschwinglichen Rahmen bleiben und andererseits die Einhaltung der Gefahrenzonen besser vollzogen werden kann."
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Radio-Tipp: Lange Nacht der Forschung in Ö1
Radio Österreich 1 widmet dem Thema der "Langen Nacht der Forschung" Sicherheit zahlreiche Sendungen. Die Inhalte sind breit gestreut: Der "gläserne Bürger", dessen Spuren durch moderne Technologien überall verfolgt werden können, wird ebenso zum Thema gemacht wie der Versicherungsfall Naturkatastrophe u.v.a.
->   Mehr dazu in oe1.ORF.at
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Klimatologischer Hintergrund ...
Aufgetreten seien extreme Niederschlagsereignisse in den Alpen schon immer. Genauso sei die Abfolge der Hochwasserereignisse im alpinen Raum im Laufe der jüngsten Erdgeschichte ähnlich der heutigen gewesen, vermuten Hübl und Stötter.

Extremniederschläge hat es nachweislich bereits in historischer Zeit gegeben. Die gegenständliche Frage zahlreicher wissenschaftlicher Diskussionen ist nun, ob die Häufigkeit der Ereignisse gleich bleibt oder ob es möglicherweise zu einer Anhäufung von Niederschlägen mit hoher Intensität kommt.
... statistisch schwierig zu beleuchten
Stötter bringt das Problem der Beweisführung dabei auf den Punkt: "Es sind keine entsprechend homogenen Zeitreihen über mehr als hundert Jahre unter gleichen Rahmenbedingungen vorhanden. Noch dazu gestalten sich genaue Niederschlagsmessungen speziell im alpinen Gelände als schwierig und fehleranfällig.

Wasserbilanzierungen, die festlegen sollen, wie viel Wasser unter Berücksichtigung des Abflusses, der Verdunstung und des gemessenen Niederschlages im Umlauf war, sind daher oft nicht eindeutig."
Sozioökonomische Entwicklung belastet Natur
Das Gefahrenpotenzial in den Alpen entsteht im Grunde dadurch, dass viele Menschen auf begrenztem Raum leben. Der Druck, sich in Regionen anzusiedeln, die früher nicht besiedelt wurden, wächst, der Platzbedarf steigt heutzutage stetig.

"Der Siedlungsraum ist und bleibt gerade in den Alpen begrenzt, dennoch will ihn der Mensch ausweiten", zeigt Hübl die siedlungspolitische Zwickmühle auf, in der sich unsere Gesellschaft befindet.

"Das Problem in den Alpen liegt nicht beim Naturraum an sich, sondern auf Seiten des Menschen. Die sozioökonomische Entwicklung des alpinen Lebensraums im 20. Jahrhundert war geprägt durch den Wandel von landwirtschaftlicher Bebauung mit geringer Verkehrsinfrastruktur, hin zu einem touristischen Gebiet mit höheren finanziellen Sachwerten", umreißt der Innsbrucker Geograph Stötter die Situation.
Siedlungsdruck steigt
Der Siedlungsdruck war in früheren Jahrhunderten einfach nicht gegeben, sei aber spätestens seit Mitte des letzten Jahrhunderts bis heute definitiv vorhanden, sind sich die Experten darüber einig. Besonders der wirtschaftliche Druck in der Dienstleistungsgesellschaft führe dazu, dass Naturräume erschlossen werden, die früher aus guten Gründen unbesiedelt blieben.

Die menschlichen Aktivitäten haben wesentlich größeren Einfluss auf das Gefahrenpotenzial in den Alpen als natürliche Prozesse wie Niederschlag oder Erosion.
Mit Naturgefahren und Evakuierungen leben
Laut Stötter ist der Punkt bereits erreicht, an dem der Versuch, die natürlichen Prozesse durch künstliche Schutzmaßnahmen zu verhindern, zuviel Geld kostet.

Daher werde die Bereitschaft der Menschen mit den Naturgefahren und Evakuierungen leben zu lernen immer größer und auch in Zukunft bis zu einem gewissen Grad notwendig sein.

Christoph Urbanek, 28.9.05
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Themenverwandtes in der "Langen Nacht der Forschung":
- "Der Berg ruft ... und kommt" - TU Wien im "Freihaus"
- "Sicherheit - Naturgefahren" - Universität für Bodenkultur Wien
- "Ins Hochwasser hineinschauen" - Ingenieurwissenschaften, Wien
- "Absolute Sicherheit im alpinen Raum ?!" - Baufakultät, Innsbruck
- "alpS - Forschung für ein modernes Naturgefahren Management" - Competence Center, Innsbruck
- "Lawinen: Simulation und Suche" - Hofburg, Innsbruck
- "Schutzwald und Naturgefahren" - Hofburg, Innsbruck
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->   Institut für Alpine Naturgefahren, Boku
->   alpS
science.ORF.at zur "Langen Nacht der Forschung":
->   Forschungsprogramm zum Schutz von Infrastrukturen
->   Moderne Elektronik für mehr Verkehrssicherheit
->   Die Zukunft der sozialen Sicherheit
->   Ö1-Radiokolleg zum Thema "Versicherungsfall Katastrophe"
 
 
 
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01.01.2010