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Von wegen Mars und Venus: Frauen und Männer denken ähnlich  
  Denken Frauen grundsätzlich anders als Männer? Folgt man dem Bild, das in populären Büchern und Medien gezeichnet wird, heißt die Antwort eindeutig "Ja". Alles Klischee, meint eine US-Psychologin, die nun 46 Metaanalysen zu diesem Thema ausgewertet hat: Es gibt zwar mitunter psychische Differenzen zwischen den Geschlechtern, aber sie sind - so überhaupt vorhanden - auffallend gering.  
Klare Unterschiede gebe es lediglich bei den Themen Sexualität, Aggression sowie in motorischer Hinsicht, berichtet Janet Shibley Hyde von der University of Wisconsin.
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Die Studie "The Gender Similiarities Hypothesis" von J.S. Hyde erschien im Fachjournal "American Psychologist" (Band 60, S. 581-592; 10.1037/0003-066X.60.6.581).
->   American Psychologist
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Planetenlehre als Bestseller
Männer stammen vom Mars und Frauen von der Venus. Er kann nicht zuhören, sie hat Probleme beim Einparken.

Stereotypen dieser Art verkaufen sich: Von John Gray's Buch "Men Are From Mars, Women from Venus" etwa wurden mehr als 30 Millionen Exemplare in 40 verschiedenen Sprachen abgesetzt. Und Gray ist keineswegs der einzige, der die Geschlechter als völlig unterschiedliche Wesen betrachtet.
Die Summers-Affäre
So hat etwa im Jänner dieses Jahres Lawrence Summers, Präsident der Harvard University, Frauen die "innere Befähigung" zu besonderen Leistungen in Naturwissenschaften und Mathematik öffentlich abgesprochen. Summers' Begründung: Seine Tochter habe Spielzeugautos "Daddy Truck" und "Baby Truck" genannt und mit ihnen wie Puppen gespielt.

Das genügte offenbar für den Ökonomen, um ein Kind und die halbe Menschheit für gewisse Karrierewege zu disqualifizieren. Zwar hat sich Summers nach heftiger Kritik mehrmals entschuldigt, dennoch stellt sich die Frage, ob seine fragwürdigen Theorien nicht eine gewisse Tendenz der öffentlichen Meinung abbilden. Die Tendenz nämlich, Unterschiede zwischen Frauen und Männern größer zu machen, als sie tatsächlich sind.
->   Harvard-Präsident verliert Vertrauen einer Fakultät
Öffentliches Bild verzerrt
Für Janet Shibley Hyde von der University of Wisconsin ist die Antwort klar: In populären Medien dominiert tatsächlich eine Darstellung der Geschlechter, die Psychologen als Differenz-Modell bezeichnen.

Demzufolge sind Frauen und Männer bezüglich ihrer Fähigkeiten, Wahrnehmung und Denkweise so unterschiedlich, dass sie gewissermaßen zur anderen kulturellen Spezies gehören. Nur stimmt dieses Bild keineswegs mit den Fakten überein.

Bei der Mehrzahl psychologischer Tests lassen sich kaum Differenzen zwischen den Geschlechtern ausmachen. Das ist das Ergebnis einer Überblicksstudie, in der Janet Hyde 46 Metaanalysen zusammengefasst hat.
Wenn Differenzen, dann meist geringe
Die Resultate im Überblick: 78 Prozent der untersuchten Parameter sind nicht oder sehr schwach unterschiedlich. Dazu gehören etwa Fähigkeiten zur mathematischen Problemlösung, das Übernehmen von Führungsrollen, Impulsivität, Selbstwertgefühl und Redseligkeit.

Klare Differenzen traten lediglich in einigen wenigen Bereichen zutage. Männer sind Frauen in manchen motorischen Belangen überlegen (im Weitwurf etwa), sie masturbieren häufiger und neigen eher zu körperlicher Aggression.
Vernachlässigter Kontext
Wie Hyde betont, ist der Kontext von Untersuchungen häufig eine entscheidende, leider jedoch unbeachtete Größe. So wies etwa Deborah Prentice von der Princeton University nach, dass Männer bei Videospielen nur dann aggressiver als Frauen agieren, wenn sie dem Experimentator bekannt gemacht wurden. In anonymisierten Testsituationen verhielten sich hingegen Frauen aggressiver.

Ähnliches lässt sich auch für die Bewältigung mathematischer Aufgaben berichten. Claude Steele von der Stanford University fand heraus, dass Frauen nur dann schlechter als Männer abschnitten, wenn sie vor den Tests auf - scheinbar - bestehende Begabungsnachteile hingewiesen wurden. Wurde dieser Hinweis unterlassen, waren auch die Testergebnisse gleichwertig.
Stereotpyen erzeugen soziale "Kosten"
Das zeige, so Hyde, dass die stereotypen Rollenbilder oft das Ergebnis von Untersuchungen beeinflussen, ja sogar erst Unterschiede erschaffen, die unter objektiven Testbedingungen gar nicht vorhanden sind. Wie die Psychologin betont, ist das jedoch keineswegs nur von akademischem Interesse, weil dadurch soziale "Kosten" verursacht werden.
Fürsorglichkeit vs. Gerechtigkeit
Ein Beispiel dafür ist die von der Psychologin Carol Gilligan vertretene Ansicht, dass Männer und Frauen mit verschiedenen moralischen "Stimmen" sprechen. Demzufolge sind weibliche moralische Urteile eher an Fürsorge orientiert, während männliche auf Gerechtigkeit abzielen.

Davon abgesehen, dass dieses Bild von Metaanalysen keineswegs gestützt werde, so Hyde, führe das zu der fatalen Fehleinschätzung von Männern, dass sie prinzipiell nicht fürsorglich sein könnten - zumal in ihrer Rolle als Väter. Frauen seien dadurch wiederum mit dem Nachteil konfrontiert, dass zu wenig "weibliches" Sozialverhalten in der Berufswelt sanktionert wird.
Pubertäres Tief - ein weibliches Problem?
Ebenso eine Mär dürfte die verbreitete Ansicht sein, dass nur Mädchen in der Pubertät unter geringem Selbstbewusstsein leiden würden. Tatsächlich zeigen Studien, dass dieses Problem sogar bei Jungen leicht stärker ausgeprägt ist.

Da dieses Faktum in weiten Teilen der Gesellschaft schlichtweg nicht bekannt sei, betont Hyde, hätten auch männliche Jugendliche wenig Chance auf die Zuwendung und Betreuung, die sie in solchen Krisensituationen benötigen würden.
Plädoyer für ein korrektes Modell
Die US-amerikanische Psychologin plädiert daher dafür, das populäre Differenzmodell endlich durch die so genannte Ähnlichkeitshypothese ("gender similarities hypothesis") zu ersetzen, da letztere viel besser von den empirischen Daten gestützt wird.

Dabei geht es freilich nicht darum, etwaige psychische Unterschiede unter den Teppich zu kehren: Es gibt sie, aber sie sind kleiner als gedacht. Von verschiedenen Planeten stammen Frauen und Männer jedenfalls nicht.

Robert Czepel, science.ORF.at, 19.9.05
->   Website von Janet Hyde (Univ. Wisconsin)
 
 
 
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01.01.2010