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Historiker: Soldatinnen schon im 18. Jahrhundert  
  Lange vor dem Eintritt von Frauen in das Bundesheer - seit 1998 möglich - haben Soldatinnen an vorderster Front gekämpft: Der Grazer Historiker Nikolaus Reisinger spürt den Frauen in den europäischen Heeren nach.  
Ihre Präsenz als Marketenderinnen, "Heerfrauen" und in seltenen Fällen auch als Kämpferinnen während der gesamten Frühen Neuzeit ist nachgewiesen. "Ab Mitte des 18. Jahrhunderts wurden Frauen aus dem gesamten militärischen Bereich verdrängt", erzählt der Historiker vom Institut für Geschichte der Universität Graz in einer Presseaussendung.

"Die Folge davon war ihr verdecktes 'Eindringen' in die Armeen: Als Männer verkleidet machten sie Karriere beim Heer."
Frau trat an Stelle des Bruders in Heer ein
Besonders interessant, weil auch gut dokumentiert, sei der Fall von Francesca Scanagatta (1776-1865). Die in Mailand geborene Frau beschloss 1794, an Stelle ihres Bruders die Ausbildung zum Offizier an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt zu absolvieren.

Das gelang ihr, indem sie die Akademie als "externer Frequentant" besuchte, das heißt, als Rekrut, der außerhalb der Akademie privat wohnte. 1797 wurde sie als Fähnrich ausgemustert und dem Warasdiner St. Georger Grenzregiment Nr. 4 zugeteilt.
Angst vor Entdeckung
Aus Angst, als Frau erkannt zu werden, wechselte die Soldatin immer wieder ihr Regiment. Kurz nach ihrer Beförderung zum Leutnant im Jahr 1800 beendete sie ihre militärische Karriere, ohne dass ihr "Frausein" entdeckt wurde.

Hauptgrund für ihr Austreten aus dem Heer dürften entzündete Druckstellen auf Grund des ständigen Einschnürens der Brüste gewesen sein.
Schließlich wurde Identität doch bekannt
Kaiser Franz II., der schließlich ihre Identität erfuhr, entließ Francesca Scanagatta unter Wahrung ihres militärischen Ranges und mit dem Recht, bei Anlässen ihre Uniform sowie ihre Auszeichnungen zu tragen, aus dem Dienst und gewährte ihr eine lebenslange Leutnantspension.
Verdienst lockte Frauen in Männerberufe
Frauen hatten sich zumeist aus sozio-ökonomischen Motiven entschlossen, ihre "Frauenrolle" abzulegen: "Die Schaffung von Verdienstmöglichkeiten, von sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegschancen in Berufsfeldern, die Männern vorbehalten waren, oder auch die Angst vor Armut und drohender Prostitution, bewogen Frauen zu diesem Schritt", erläutert Reisinger.
Drei Viertel als Marine- oder Landsoldatinnen
"Dieses Phänomen wurde europaweit vereinzelt für das 16. Jahrhundert und verstärkt für das 17. und 18. Jahrhundert untersucht, wobei etwa 75 Prozent aller Frauen in Männerrollen als Marine- oder Landsoldatinnen gedient hatten.

Der Großteil der übrigen 25 Prozent war in handwerklichen Berufen oder als Hausdienerinnen tätig."
Militärgeschichte unter Gender-Aspekt ergänzen
Bisher wurde Militärgeschichte vor allem von Männern für Männer geschrieben und erzählte von männlichen Protagonisten. Reisinger sieht hier ein Forschungsdefizit im Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung.

Durch die gesetzlich legalisierte und allmählich gesellschaftlich akzeptierte Integration von Frauen in die Armeen in Europa seit dem Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart steige nun laut dem Wissenschaftler das Interesse an diesem Forschungsbereich.

[science.ORF.at, 23.9.05]
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->   "Militär und Männlichkeit" in der k.u.k. Monarchie (4.10.04)
 
 
 
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01.01.2010