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Erreger der Spanischen Grippe im Labor nachgebaut  
  In der Natur ist das Grippe-Virus von der gewaltigen Pandemie von 1918 längst mutiert, bzw. verschwunden. Forscher haben den Killer der so genannten Spanischen Grippe im Labor nun nachgebaut. Der Sinn der Übung: Der wieder auferstandene Erreger soll bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen die Vogelgrippe helfen.  
Das berichtet ein Team um Terrence M. Tumpey vom National Center for Infectious Diseases, dem auch der an der Mount Sinai School of Medicine in New York lehrende Österreicher Peter Palese angehört. An der Spanischen Grippe waren 1918 bis zu 50 Millionen Menschen gestorben.
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Die Studie "Characterization of the Reconstructed 1918 Spanish Influenza Pandemic Virus" von Terrence M. Tumpey et al. erschien im Fachjournal "Science" (Band 310, S.77-80; doi: 10.1126/science.1119392).
->   Zur Studie (sobald online)
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Erreger aus Grab gewonnen
Terrence Tumpey und Kollegen der Seuchenbehörde CDC in Atlanta entzifferten das Virenerbgut und bauten aus den Genen, die den Erreger der Spanischen Grippe einst so gefährlich machten, ein neues lebendes Virus. Es basiert auf dem Fund des ursprünglichen Erregers in einem Grab in Alaska.

Dort war ein Opfer der Spanischen Grippe vor fast 100 Jahren begraben worden. Sein Leichnam - und das uralte Virus - blieben durch den Dauerfrost im Boden konserviert, wie Trumpey und Kollegen in "Science" schreiben.
Bedenken des "Science"-Herausgebers
"Science"-Chefredakteur Donald Kennedy räumt in einem Kommentar ein, dass er lange gezögert habe, eine genetische Blaupause des Virus zu veröffentlichen.

Am Ende aber habe die Überzeugung gesiegt, dass die Erforschung des Spanische-Grippe-Erregers und die Entwicklung eines Impfstoffs gegen das eng verwandte Vogelgrippe-Virus der Menschheit mehr Vorteile als Nachteile bringen dürfte.
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Pandemie mit 50 Millionen Toten
Die Grippe-Pandemie - eine Epidemie mit globalen Dimensionen - von 1918 forderte innerhalb von drei Monaten bis zu 50 Millionen Tote, sagte Palese, der zur Zeit in Wien ist, gegenüber der APA. Das sind mehr Menschenopfer als erster und zweiter Weltkrieg zusammen forderten. Unter amerikanischen Soldaten starben im ersten Weltkrieg mehr an Grippe als an Feindeinwirkung.
->   Spanische Grippe - Wikipedia
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Mäuse sterben innerhalb von drei Tagen
Beim Menschen verbreiten sie sich die Viren am schnellsten in Lungenzellen. Anders als die meisten anderen Grippeviren ist der Erreger der Spanischen Grippe auch extrem gefährlich für Mäuse:

"Tiere, denen das Virus injiziert wurde, starben innerhalb von drei Tagen, obwohl der Mäuseorganismus eigentlich nicht der bevorzugte Wirt des Virus ist", so Palese. Damit ist das Grippe-Virus von 1918 virulenter, also gefährlicher, als alles, was die New Yorker Experten bisher beobachten konnten.

Weitere Versuche ergaben, dass der Erreger auch Hühnerembryonen - noch im Ei - tötet. Allerdings könne daraus noch nicht mit Sicherheit geschlossen werden, dass sich das Virus seinerzeit aus Vogelgrippe-Erregern entwickelte.
Viren-Evolution nachvollzogen
Parallel haben Forscher des Institute for Genomic Research (TIGR) in Rockville (US-Bundesstaat Maryland) das Genom von zahlreichen Grippeviren entziffert.

Einem parallel veröffentlichten Bericht in "Nature" (doi:10.1038/nature04239) zufolge gelang es ihnen bereits, 209 Varianten des Grippeerregers aus den vergangenen fünf Jahren komplett zu sequenzieren.

Diese Arbeit zeige, "wie schnell sich der Grippeerreger in Menschen verändert", kommentierte die federführende Autorin Elodie Ghedin.
Genetische Information öffentlich zugänglich
Der genetische Katalog der Grippeviren steht Datenbanken wie GenBank zur Verfügung und ist für jedermann zugänglich. Er soll helfen, neue Varianten des Grippeerregers und ihre Gefahr für den Menschen künftig schneller zu erkennen und besser abzuwehren. Schwere Grippeepidemien treten gewöhnlich drei bis vier Mal in einem Jahrhundert auf.
Virus anfällig gegen Medikamente
Laut Palese gibt es aufgrund der Studienergebnisse keinen Grund zur Besorgnis: Sollte ein ähnlicher Erreger irgendwann wieder die Welt erobern, sei die Gefahr für den Menschen begrenzt.

"Das Virus der Spanischen Grippe erwies sich als anfällig für gängige Grippe-Medikamente und könnte mit Sicherheit damit bekämpft werden." Auch die Entwicklung eines Impfstoffes sei möglich, betonte der Wissenschafter.

[science.ORF.at/APA/dpa, 6.10.05]
->   National Center for Infectious Diseases
->   Mount Sinai School of Medicine
 
 
 
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01.01.2010